Heute ist internationaler Männertag. Ich habe bisher von der Existenz dieses – was eigentlich? Gedenktages? Freudentages, Trauertages? – nichts gewusst. Habe in fröhlicher Unkenntnis und Bewusstlosigkeit mein Dasein als Mann gefristet, nicht gewahr, dass meinem Geschlecht schon ein Tag angewiesen ist – ähnlich wie bedrohten Arten, Randgruppen oder auch Frauen. Seit 1999 (Danke, Wikipedia) gibt es den Tag schon. Eingeführt in der Karibik (wahrscheinlich unter Abrauchen einer dicken Tüte) und inzwischen von der Unesco anerkannt (wahrscheinlich ohne Tüte).
Hat dieser Tag etwa etwas zu tun mit der Schwäche des „Starken Geschlechts“, die es sich in den letzten 3 Jahrzehnten hat andichten lassen. Angefangen bei Boy George und niveaulos anhaltend mit David Beckham und Justin Bieber? Egal. Warum braucht ein Geschlecht, das ausschließlich Interesse zeigt an „Tittis and Beer“ (Danke, Frank Zappa), in all seinen Dareichungsformen also dem Hedonismus verpflichtet ist, überhaupt einen solchen Tag?
Offizielle Ziele des Manntages sind laut Wikipdia-Eintrag: „… den Fokus auf Männer- und Jungengesundheit zu legen – das Verhältnis der Geschlechter zu verbessern, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern und männliche Vorbildern hervorzuheben.“
Here Ziele.
Aber bedeutet mir dieser Tag etwas? Nö. Ich schreibe hier nur, weil meine Mit-Czyslanskys die Idee gut finden, dass wir alle über diesen Tag etwas absondern. Na ja, man lässt halt seine Kumpels nicht hängen. Ansonsten kann mir der Tag gestohlen bleiben.
Aber Moment. Nur so zum Spaß und weil das hier ein Blog ist, der online erscheint, könnte ich mir jetzt öffentlich überlegen, was das Internet im Lauf der letzten 30 Jahr aus uns gemacht hat.
− Sind wir noch die ganzen Kerle, die wir vorher waren?
− Haben wir uns entwickelt durch die zahllosen Anregungen, auch die im Zappaschen Sinne?
− Sind wir vielleicht sogar Neuromancer geworden, die einst William Gibson in seiner gleichnamigen Trilogie beschrieben hat – jene furchtlosen Cyberkrieger mit Klinkenstecker zwischen Wirbelsäule und Stammhirn, um sich direkt in den Cyberspace einzustöpseln?
Ich möchte das ungern an mir erklären, das ist mir zu persönlich und Ihnen wahrscheinlich zu fad. Also nehme ich Figuren der neueren Zeitgeschichte und versuche, ein paar Veränderungen aufzuzeigen zwischen dem Mann ohne und dem Mann mit Internet.
Ich fang mit Harrison Ford an – ersatzweise funktionieren auch Jean-Paul Belmondo oder Charles Bronson. Sie repräsentieren noch die Männer ohne Netz und doppelten Boden. Ganze Kerle, Kämpfer für Gerechtigkeit und großartige Liebhaber. Überlegene Wesen, die noch mit zwei Kugeln im Bauch ihre Freundin anrufen (aus einer öffentlichen Telefonzelle!) und ihr ohne Rumgejammere sagen, dass heute leider nichts aus der Verabredung wird. Diese Männer sind nicht nur ohne Internet aufgewachsen, auch ihre Vorbilder haben weder getwittert noch gefacebookt. Wahrscheinlich waren es Jungs und Männer aus der gleichen Straße – bei denen man noch hinter die Fassade blicken und erkennen konnte, ob sie sich auch in Grenzsituationen mitunter sauber verhalten. Vorbilder waren damals wohl verbindlicher. Wahrscheinlich prägt das. Und das prägt auch die Nachkommenden.
Als Beispiele für die weitere Evolutionsstufe meines Geschlechts, das sich zurzeit nicht gerade zu neuen Höhen aufschwingt, kann man wohl David Beckham (Fußballer und Unterhosenmodell) nennen und Justin Bieber (Sänger?). Über ihre Vorbilder will ich nichts wissen. Ihre Gepflegtheit widert mich an. Ihre Tätowierungen, Schmuck, Kleidung, Verhalten Aussprüche, ja sogar ihre „Beziehungen“ schielen sämtlich auf die Reaktionen ihres vermeintlich interessierten Publikums. Dabei bedienen sie die Klaviatur der sozialen Medien mal gut, mal schlecht und verstärken so den Eindruck, Vexierbilder ihres gedachten Publikums zu sein, dessen angenommenem Geschmack und dessen Vorlieben sie vorauseilend gehorchen. Stellen Sie sich einen Jungen vor, der Bieber oder Beckham zum Vorbild hat, da bekommt das Wort von der verlorenen Generation doch eine ganz andere Bedeutung.
Und denen, die sagen, das sind nur 2 Beispiele, es gibt so viele andere gerade in den anarchischen Tiefen des Internets, die als Vorbilder taugen. Stimmt wahrscheinlich, aber finden muss man sie und ihnen fehlen Bedeutung und Verbindlichkeit. Nein, bestimmend (wenn es so etwas in dem großen Konzert von Mikrotrends überhaupt noch gibt), weil medial überrepräsentiert, sind Vexierbilder ala Beckham und Bieber. Sie sind glatte Oberflächen, auf denen sich sämtliche Spielarten konsumierbaren Verhaltens trefflich spiegeln lassen, keine Männer.
Ein Mann will mehr sein als projizierende Oberfläche, will gestalten, selbstbewusst mit den Möglichkeiten der neuen und alten Medien spielen. Will eher irritieren als ein konsistentes Bild (eine Marke) von sich ausstrahlen und er will unbedingt (Hedonismus, siehe oben) Spaß dabei haben. Und der einzige Mann, der das zurzeit großartig schafft und virtuos mit allen Medien und Kunstformen umgeht, Verwirrung stiftet und dabei nicht mal besoffen durch die Gegend eiert ist – Lady Gaga. Sie ist der erste Mann der neuen Generation, der begriffen hat, dass wir trotz Unverbindlichkeit und fehlender Vorbilder selbstbewusst agieren müssen, auch wenn niemand mehr weiß, was richtig oder falsch ist. Deshalb lasst uns Lady Gaga zum neuen Vorbild für Jungen und Männer erheben. Dann haben wir das mit der Gleichberechtigung auch gleich erledigt und können endlich gemeinsam mit Frank Zappa und den Mothers of Invention zu unserer Lieblingsbeschäftigung zurückkehren.
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Alle Beiträge in der Übersicht:
(1) von Bomhard, Sebastian: Baumärkte, Big Data und Penis
(2) Broy, Alex: Jeder Tag ist ein Tag von irgendeinem Scheiss
(3) Cole, Tim: Wie schön es ist, eine Frau zu sein! Oder ein Hund…
(4) Kausch, Michael: „Pull Over“ – Sieben Erklärungen für den wahren Unterschied zwischen Mann und Frau
(5) Prauser, Lutz: Be- und Enthaarung
(6) Witte, Christoph: Männer: Von Harrison Ford bis Lady Gaga