reich-ranicki, der fernsehpreis, angler und der blaue bock

reich

das war fürwahr ein fest für die sinne: marcel reich-ranicki lehnt spontan vor dem grössten deutschen anglertreffen den deutschen fernsehpreis ab. der "literaturpapst" (sorry alexander: es kann nicht nur einen geben …) erklärt sichtlich erregt über den "blödsinn, den wir hier heute abend zu sehen bekommen haben": "ich gehöre nicht in diese reihe. ich finde es schlimm, dass ich das hier heute abend erleben musste." und das beste: das publikum – diese versammlung von  b-picture-humoristen und show-gören – sitzt mit weit geöffneten mündern und großen augen und zur hälfte mit ebenso geöffneten und grossen dekolletés da und klatscht beifall ohne ende. man sieht: da klatscht eine branche applaus, die ihre eigenen produkte nur mit grossem zynismus zu stande bringt. ganz im geiste des formaligen rtl-erfinders helmut thoma, der einst die programmqualität seines programms mit den ebenso unsterblichen wie unverschämten worten erklärte: "der fisch muss dem wurm schmecken, nicht dem angler".

da ist reich-ranicki aus anderem  und inzwischen gut abgelagertem holze geschnitzt. er empört sich, wenn er etwas widerlich findet. und er hat recht. reich-ranicki hat im literatischen quartett einmal – sinngemäß – erklärt: "ja ich führe mich auf wie ein oberlehrer. ich bin auch ein oberlehrer. ich will meinem publikum etwas beibringen. sonst würde das alles ja gar keinen sinn ergeben." er begreift die massenmedien noch als ein instrument, um die menschen zu bilden, zu emanzipieren. wer heute aber meint, die medien als instrument zur aufklärung einsetzen zu müssen, der wird sofort als ewig-gestrig, als illiberal, ja als antidemokrat gegeisselt. vorbei sind die zeiten, in denen der damalige sdr-intendant hans bausch sein medium noch als instrument der (volks-)bildungspolitik verstanden wissen wollte. vorbei die zeiten, als publizistik-professor langenbucher staatliche forschungsgelder darauf investieren durfte, mittels einer "serienwerkstatt" ein modellhaftes vorabendprogramm zu bauen, das dem publikum auf unterhaltsame art und weise die grundfunktionen von demokratie und lokalpolitik näherbringen sollte. vorbei auch die zeiten, als heinz schenk im blauen bock zwischen den unvermeidlichen folklore-hellwigs und cindy samt bert mit seriös-ernsthaftem gesicht kammersänger hermann prey oder anneliese rothenberger mit liedern von schumann und schubert ankündigte. damals erfuhren die zuschauer bei aller weinseligkeit und schunkelromantik ("man müsste nochmal 20 sein") immerhin, dass es eine musik hinter der show gibt. rené kollo hatte in einem blauen bock mehr zuschauer, als in vier jahren oper. und es hat gefallen. oder zumindest doch kaum weh getan.

ja ich oute mich hiermit: ich wünsche mir ein fernsehen, das bildet, medien, die den horizont des publikums erweitern, die unsere grenzen neu stecken, die nicht das immergleiche servieren, was wir eh schon kennen. ich wünsche mir medienräte, die ihr augenmerk weniger auf öffentlich vollzogenen geschlechtsverkehr lenken, als auf einen öffentlich vollzogenen florian silbereisen. wenn ich zwischen beiden die wahl hätte, die entscheidung sollte mir nicht schwer fallen.

reich-ranicki als intendant des zdf: er würde den alterschnitt des senders und seiner zuschauer sicherlich nicht mehr wesentlich erhöhen und  es wäre einen versuch wert; so wie jede aufklärerische aktion einen versuch wert ist. und weil wir schon dabei sind: gottschalk wäre ein prima pressechef für den intendanten reich-ranicki. unbedingt.

7 Antworten

  1. „öffentlich vollzogener Florian Silbereisen“ ist gut!

    Aber im Ernst: RR weiß ganz genau, was und wen er da insziniert, nämlich RR! Und er verwendet dazu das ebenso probate wie bewährte Mittel der Publikumsbeschimpfung, in der er bekanntlich mehrfacher Deutscher Meister ist. Das Niveau des deutschen Fernsehens erhöht er damit nicht um einen Millimeter!

  2. auch gut. dann interpretieren wir das ganze doch so: rr (also kleingeschrieben sieht das wirklich blöd aus …) inszeniert sich selbst. aber für was steht rr? für „erziehung durch medien“. und dieses thema und dieser ansatz ist nach meinem dafürhalten ebenso unmodern wie aktuell.
    muss man blödheit im fernsehen tolerieren? nein, muss man nicht! und um das klar zu stellen: ich rede nicht von verbieten. ich rede von denunzieren im privaten. und ich rede vom verbot der dummheit im öffentlich-rechtlichen. diese debatte führe ich gerne. und der event von gestern ist ein guter anlass diese debatte „öffentlich zu vollziehen“.

  3. Liebe Zuschauer,
    um die angesprochenen Probleme zu lösen und persönlich-mediales Wohlbefinden zu erreichen, gibt es nur ein mir bekanntes Wundermittel: die Fernbedienung. Die hilft zuverlässig und führt schnell zu den TV-Sendern meines Vertrauens. Für Menschen mit einem IQ überhalb der Raumtemperatur können dies sein: PHOENIX, arte, BR und br-alpha, manchmal n-tv, manchmal n24…Das Problem ist nicht, daß es keine Intelligenz im TV gäbe, das Problem ist, dass daß solche Produkte zu spät, zu verstreut und zu wenig beworben erscheinen.
    Doch auch hier wird eines schönen Tages die Technik helfen: wenn intelligente Menschen sich intelligentes Programm digital zusammenstellen – ohne Sendeplan, ohne Werbung etc.
    Daher: Aufregung bitte stoppen – alles wird gut!

  4. ich fands cool von RR. Warum auch immer, für sich selbst oderfür die TV-Qualität. Schick fand ich auch, dass einige aus dem Publikum RRs Auftritt zunächst für einen Scherz hielten. Aber lass uns Freitag weiter diskutieren. Dann dürfen wir RR ja wieder bewundern, leider zusammen mit Gottschalk

  5. Ranicki hat Menschen wie mich, die schon lange nicht mehr fernsehen, wieder dazu gebracht, zumindest auf Youtube die blöde Fernsehgala zu glotzen. Schade, ich hatte nämlich gerade ein gutes Buch gelesen …

  6. Den abschließenden Kommentar zu diesem Thema sprach die FR in ihrer Kritik der nachgeschobenen Diskussionssendung zwischen RR und TG Freitagnacht im ZDF. Fazit: „Weder geistreich noch unterhaltsam„. Das könnte auch ein abschließendes Gesamturteil über die Qualität des deutschen Fernsehprogramms sein.

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