Exzessives Urheberrecht – Axolotl Roadkill vs. Strobo

Da ist doch das Lieblingskind des deutschen Feuilletons, glatt beim Klauen erwischt worden und alle sind entsetzt. Üblicherweise werden siebzehnjährige Mädchen wie Helene Hegemann beim H&M mit einer zusätzlichen Schicht Blusen unter dem Pulli gestellt. Dieses Kind hat einen Roman mit dem Titel „Axolotl Roadkill“ geschrieben und dabei einige Passagen kackdreist beim Blogger und Autor Airen abgeschrieben. Ja genau abgeschrieben, nicht zitiert, nicht geremixt, nicht gemashupt, einfach geklaut und als Eigenes ausgegeben.

Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen ins Feuilleton.

Als der Kaufhausdetektiv sie überführt hatte, hat sich sich auch sehr zerknirscht gezeigt, sich artig entschuldigt, dann aber auch ganz frech die Flucht nach vorne angetreten und gemeint

Ich suspendiere das Urheberrecht und überwinde so den Exzess.

Das ist cool und erinnert  auch so ein bisschen ans Ende der 1960er Jahre, als Ladendiebstahl noch politisch war. Man hat nicht geklaut, sondern den übermächtigen Feind, den Kapitalismus bekämpft …

Wenn ihr mich fragt, Schwamm drüber, sie ist siebzehn: 50 Euro Strafe und eine Woche Fernseh- – äh – Youtube-Verbot.

Aber was ist mit dem Original? Was ist das für ein Roman, welcher der jungen Autorin so gut gefallen hat, dass sie gleich mehrere Sätze übernommen hat und den außer ihr anscheinend nur noch Deef Pirmasens gelesen hat, dem die Übereinstimmungen auch als erstem aufgefallen sind. Der Roman trägt den Titel „Strobo“ und basiert auf dem Blog des Berliners mit dem Synonym Airen. Wie auch Axolotl Roadkill handelt Strobo von Drogen, Sex, Partys und Exzessen, und da Airen ihn sowohl selbst geschrieben als auch erlebt hat, schreibt er verständlicherweise unter Pseudonym.

Seriöse Journalisten würden jetzt die beiden Werke lesen und sich eine eigene Meinung bilden. Aber da ich weder seriös noch Autor bin, habe ich lieber meinen Bloggerkollegen Deef angerufen und ihn gefragt. Geht viel schneller. Er hat beide Bücher – wie er mir versicherte – mit sehr viel Vergnügen gelesen und beurteilt sie beide durchaus positiv.

Und weil ich ihn schon am Telefon hatte, habe ich ihn gleich auch nach seiner eigenen aufregenden Woche als Blogger mit einem echten „Scoop“ gefragt.

Ein Blogeintrag, ein bisserl Twittern und schon raste die Lawine los. Sein Blog gefuehlskonserve.de machte nach 50.000 Besuchern schlapp und musste auf einen leistungsfähigeren Server umziehen. Klar, wenn SZ, FAZ, Tagesspiegel, Bildblog, Berliner Morgenpost etc. auf einmal alle verlinken … Dann folgte unzählige Interviews sowohl in den alten, wie auch in den neuen Medien.

Das ist der Traum eines jeden Bloggers, einmal als erster ein solches Thema zu finden und dann auch noch eine solche Resonanz zu bekommen. Ich gönne ihn dir Deef, schon allein, weil du es nie darauf angelegt hast und es auch nie nötig hattest, unfair zu sein oder unter die Gürtellinie zu schlagen. Das haben dafür einige der großen, alten Medien besorgt …

Für beide Autoren und Bücher wird es sich auf jeden Fall positiv auswirken, zumindest, wenn der SuKuLTuR-Verlag es schafft schnell nachzudrucken ….

7 Antworten

  1. Das „sampeln“ ist in der Musik längst eine neue Kunstform geworden. Man nimmt kurze Versatzstücke bekannter Stücke, baut sie neu zusammen, modifiziert sie und veröffentlicht sie als eigenes Werk. Ich halte das für legitim.

    Genau so wird es mit der Schriftkultur weitergehen. Die junge Dame hatte kein Unrechtsbewusstsein, als sie reihenweise Textbausteine kopierte und neu zusammensetzte. Das macht ihre Generation so, und sie dürfen das, weil sie die Zukunft sind und ihre eigenen Regeln schreiben.

    Dass geistiges Eigentum irgendwie schützenswert sei, ist ihnen völlig fremd, und sie haben Recht: Copyright ist ein Auslaufmodell. Das war es schon vor Jahren, aber keiner hat’s gemerkt, Das ist wie mir den Dinosauriern – es dauert lang, bis der Kopf merkt, dass der Schwanz schon abgestorben ist.

  2. Das Mädel verteidigt sich heute in der onlinigen Süddeutschen:“Es geht hier nicht um Plagiarismus, sondern um Intertextualität – ein Arbeitsverfahren, das sehr viele Künstler benutzen.“ Und: „Wenn wir so anfangen, können wir den ganzen Literaturbetrieb gleich dichtmachen.“

    Klar, wenn man dem Mädel nicht recht gibt, ist unsere Literatur am Ende. Geht’s denn auch ein wenig kleiner? Da spielt eine Göre Künstler und glaubt vermutlich selbst, was sie absondert. Guckt Euch doch mal die Aufstellung dieser Intertextualitäten an, die die F.A.Z. so schön zusammengestellt hat (http://tinyurl.com/intertext). Ein Auszug (Vorsicht, aus der FAZ abgeschrieben):


    Axolotl S. 199: Sie parkt vor einem Rokokoaltbau, der näher am türkischen als am schwulen Teil Schönebergs liegt und nur hundert Meter entfernt von einer der beiden bestgeöffneten Lidl-Filialen. Ich kurbele das Fenster runter und sehe ihr dabei zu, wie sie durch die Haustür in einen Flur mit schwarzem Holz und Spiegeln geht.

    Blog 3. Dezember 2008: Ich fand ein schoenes Ein-Zimmer-Apartment, Rokokoaltbau, im Hausflur schwarzes Holz und Spiegel. Zwischen S-Bahn und Volkspark, naeher am tuerkischen als am schwulen Teil Schoenebergs gelegen hatte es nebenan einen Getraenkemarkt und war nur hundert Meter entfernt von einem der beiden bestgeoeffneten Lidls in Berlin.

    Nicht dass es ein Fortschritt wäre, hier Lidl durch Aldi zu ersetzen, aber das Buch ist voller solcher „Intertextualitäten“ und das ist geklaute Kreativität, jedenfalls dann, wenn man nicht transparent klarstellt, dass man einen vorhandenen Text nur mal eben durchschüttelt und neu arrangiert. Das kann man machen, dann sollte das Produkt aber irgendeine eigene Qualität haben. Das muss kein Zensor beurteilen. Aber man sollte durch Offenheit und Nennung der Quellen dem Leser die Chance geben, selbst zu urteilen. Und man sollte dem nicht mit schnell angelesenen Fremdwörtern aus dem Germanistik-Seminar einen intellektuellen Anspruch verpassen, der dem Gegenstand nun wirklich nicht eigen ist.

    Dass dieses Vergessen nicht die Vergesslichkeit einer postpubertären Göre ist, sondern das Ergebnis einer kruden pseudorebellischen Philosophie, zeigt der von Dir zitierte dumpfbackige Ausspruch „Ich suspendiere das Urheberrecht und überwiende so den Exzess“. So ein Blödsinn aber auch!
    Dass das Mädchen nun für den Leipziger Buchmessepreis nominiert wurde, ist ein Armutszeugnis für die Jury.

    @Tim: An dieser Göre die wichtige Diskussion um die Zukunft des Urheberrechts zu führen, ist ungefähr so, als würde man die Klimakatastrophe am Glücksempfinden der Nacktmulche festmachen.

  3. Ich muss dir leider widersprechen, Tim. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Sampeln, Remixen. Mashup oder sonstigem Collagieren und dem was Hegemann gemacht hat.

    Beim Sampeln erkennt die Urheberschaft der anderen an, man nennt die Verfasser, die man verwurstet, das ist einfach guter Ton.

    Creative Commons heisst IMMER auch die Nennung der einzelnen Urheber, und das hat sie versäumt, deshalb ist es nichts anderes als Schmücken mit fremden Federn …

  4. Okay, dann feiert eben die Fußnote fröhliche Auferstehung im Cyber-Zeitalter! Was soll’s? Mich intressiert’s nicht, den „geistigen Eigentümer“ sollte es auch nicht interssieren. Es ist ein neues, eigenständiges Kunstwerk entstanden als Resultat von Vernetzung. Es ist neu, es ist spannend, es ist ist originell. Es ist KUNST! Und die erkennt keine überkommenen Gesetze an. Sie überwindet sie. Das ist nicht neu, das ist das Wesen von Kunst. Sie ist nicht aufzuhalten. Wer es versucht, wird plattgewalzt!

    Ich hasse es, was ich jetzt gleich sagen werde, aber Schirrmacher hat hier eine Steilvorlage geliefert. Nicht Multitasking – Copyright ist Körperverletzung!

  5. @Tim. ich würd´s ein bisschen kleiner machen. persönlich quasi. wenn jemand außer mir selbst bei mir abschreibt, ohne zu sagen, woher der abschnitt stammt, wäre ich sauer. und du? fühlst du dich künstlerisch verwurstet? und fühlt sich das besser an, als wenn du jemanden erwischt, der bei dir geklaut hat und damit auch noch honorar einstreicht? bei aller kunstbeflissenheit sollte man auch noch fragen, wovon wir dann leben. kreative und autoren werden durch das copyright geschützt, wenn der schutz auch erbärmlich ist, aber immerhin sitzt man nicht total im regen.

  6. Think positive… Das Mädel hat nicht gesamplet, sondern gecovert 🙂

    Abschreiben ist keine Kunst, aber sich nicht erwischen lassen ist eine. Die übrigens im Internetzeitalter erst so richtig herausfordernd geworden ist, wie man hört, seitdem nicht nur die Jugendlichen, sondern auch ihre Lehrer Netzzugänge haben. Deshalb saugen wir uns ja unsere Texte immer noch selbst aus den Fingern, anstatt andere Texte fremdzuschütteln.

    Und es ist eine Kunst, wenn man denn schon erwischt wird, so cool zu argumentieren, wie das Mädel hier. @Michael: Nicht alles, was frech ist, ist auch eine Göre 🙂 Du hörst Dich stark nach „Papa“ an….

    Und ja, die Kombination von „Klauen“ und „cool“ ist immer noch die Domäne von Arsène Lupin

    Vor Jahren gab es in Berlin mal ein Kabarett: „Beim Clown erwischt“. Ich grinse heute noch, nach 25 Jahren.

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