„XING Rotating Dinner im Maximilianeum, das heisst unter prächtigen Rundbögen an einem festlich gedeckten Tisch zu sitzen. Den Blick über die Isar und die zu Füßen liegende Stadt in der Abendsonne schweifen lassen. Dabei exquisit dinieren und nebenbei andere XING-ler auf lockere Art und Weise kennen zu lernen.“ So tönte der Lockruf des Netzes und, was soll ich sagen, ich erlag dem werbenden Rufen und meldete mich also vor einigen Wochen schon zu meinem ersten Business Speed Dating an. Sie werden sich fragen „Was ist ein Rotating Dinner? Dreht sich da der Ochse am Spieß? Muss man da hin? Wessen schweifende Blicke kreuzen sich? Kreuzt sich überhaupt was?“ Ihre Fragen sollen sogleich beantwortet werden. Ich war gestern da. Oder dort. Mein kleiner Bericht ist also überfällig:
Eigentlich reizte mich am Landtag natürlich vor allem die Gelegenheit auf der Terrasse unserer Volksvertreter eine kleine Zigarre zu rauchen – als späte Genugtuung für mannigfache juristische Beschädigungen und im Gedenken an meine Czyslansky-Freunde (siehe hier). Leider aber machte das Wetter einen Strich durch diese Abrechnung. So blieb als einziger Beweggrund für die Teilnahme am XING Rotating Dinner die Vorfreude auf eine Vielzahl neuer wertvoller Business-Kontakte. Die Aufträge sollten spätestens nach dem Dessert eigentlich nur so hereinschneien. Als Nicht-Golfer aber gleichwohl bekennender Hedonist mit Appetit auf alles was gut ist bin ich ja auf alternative und eher kulinarisch orientierte Aufreiß-Orgien angewiesen. Also warf ich kurz vor der Dating-Grenze noch einen schnellen Blick in die Teilnehmerliste der Veranstaltung und war aufs angenehmste überrascht: Ein Anteil weiblicher Besucher von 68 Prozent deutete darauf hin, dass sich an der Benachteiligung der Frau auf den Führungsebenen unserer Wirtschaft offensichtlich einiges geändert hatte. Ein Blick auf die Tätigkeitsbeschreibungen der angemeldeten Gäste beruhigte mich sogleich: zu erwarten waren unter anderen eine „Auftragsmalerin“, eine „Feng Shui Architektin“, eine „Chefarztsekretärin“ und eine „Script Consultant aus einer Praxis für angewandte Lebensdramaturgie“. Zwischenbemerkung: es erschien dann auch noch überraschend eine Schamanin aus dem brasilianischen Urwald, die sich gerade in einer Reintegrationsphase in das kulturelle Phlegma mitteleuropäischer Bürgerlichkeit befand. Es war wohl doch kein gesellschaftlicher Umbruch unbemerkt an mir vorüber gegangen. Die Zusammensetzung der Anmeldeliste lies nicht nur auf einen deutlichen weiblichen Überhang schließen, sondern zugleich auf eine starke Präsenz von Ich-AGs im Change Management. Man nimmt es, wie es kommt. Gut so!
Was trägt man an einem solchen Abend? Abendanzug, Manschettenhemd und Fliege schieden schon mal angesichts der geballten Kreativdominanz der Teilnehmer/innen aus. Der Hinweis des Veranstalters bleibt kryptisch-liberal: „Einen Dresscode gibt es nicht. Anzug und Krawatte sind ein Kann, aber wahrlich kein Muss.“ Am besten, man greift in einem solchen Fall auf das klassische Steve Jobs-Outfit zurück: legerer schwarzer Sommer-Anzug, kombiniert mit schwarzem T-Shirt, schwarzen Socken und schwarzen Schuhen. Schwarze Gedanken lassen sich so am unauffäligsten transportieren. Auch geht man in dieser Aufmachung eigentlich überall als kreativer Werbe-Fuzzi, jung-erfolgreicher IT-Gründer mit Konkurserfahrung und evangelischer Jugend-Pastor mit Betroffenheits-Syndrom aus der Schwabinger Männergruppe durch. Gut So!
Was also begab sich gestern Abend über der „zu Füßen liegenden Stadt“? Erst mal ging es hinein in die Tiefgarage des Bayerischen Landtags, geparkt in Konjunktion zu einem ältlichen Rolls Royce, dem zwei geringfügig jüngere Damen entsprangen, dann durch das Kellerverlies des Landtagsgebäudes hinauf zum Steinernen Saal, wo Architektin, Arztsekretärin, Auftragsmalerin und Apperitiv mich erwarten sollten. Als erstes lief mir aber Zeljko Ratkovic über den Weg, der überaus sympathische Chef der Münchner Werberei brand.david. Ein wirklich angenehmer Gast und Kollege, den ich freilich schon so lange kenne, dass er für den anvisierten Visitenkartentausch nun gar nicht in Frage kam. Dabei waren mindestens 15 Visitenkarten und also Neukontakte versprochen: Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise sollten jeweils mit fünf neuen Gästen an wechselnden Tischen eingenommen werden, womit sich auch der Name Rotating Dinner hinreichend erklärt. Jeder Gang nimmt eine Stunde in Anspruch, was der Vereinnahmung von 15 Visitenkarten in 180 Minuten, oder einer Performance von 12 Minuten pro Kontakt entspricht, und was wiederum den Begriff des Business Speed Datings hinreichend erklärt. Wer einem an den Tisch gelost wird – der Veranstalter spricht vielsagend von einem hierfür „eigens entwickelten Computerprogramm“ – bleibt dem Zufall überlassen. In meinem Fall hat mir das Schicksal natürlich Ratkovic als ersten Tischnachbarn beschert … Zu meiner Rechten fand sich eine ebenfalls sehr nette niederbayerische Inhaberin eines Herrenkonfektionshauses ein, spezialisiert auf Übergrößen, was uns auch recht schnell auf gemeinsame Gesprächsthemen brachte. Am anderen Ende des Tisches entwickelten sich Debatten, die sich mir nicht wirklich erschlossen. Ein Herr aus Indien stellte sich mit der Anmerkung „Ich kaufen und verkaufen Firmen mit gutem Profit“ vor, was sogleich dessen Tischnachbarin zum wohl ein wenig unbedachtem Zwischenruf „Ach so, eine Heuschrecke!“ verleitete.Vielleicht ein wenig deplatziert, aber gut so!
Den Hauptgang durfte ich mir zwischen zwei Anwälten – einmal Vertragsrecht, einmal Arbeitsrecht – zuführen. Irgendwie war mir bis zuletzt eine Tischgesellschaft versagt geblieben, die auch nur annähernd den Zweidrittel-Anteil weiblicher Gäste widergespiegelt hätte. So erbrachte auch die abschließend in der Bar mit Zeljko Ratkovic vollzogene Schnellanalyse der akquirierten Visitenkarten die ernüchternde Erkenntnis, das sich weder die Auftragsmalerin, noch die Script Consultantin aus der Praxis für angewandte Lebensdramaturgie unter meinen Tischgenossinnen befunden hatte. Ein wenig war es wie in meiner Kindheit an den Tauschnachmittagen mit unseren Panini-Fußballerbildkärtchen: gegen Ratkovic‘ Karten hatte ich einfach nichts zu bieten. ER hatte natürlich wieder die brasilianische Schamanin abgekriegt und dann noch einen Fotografen, der es alleine schon auf sechs verschiedene buntfarbige Visitenkarten mit sechs unterschiedlichen Motiven brachte. Gegen diese Pracht habe ich meine beiden Anwälte frustriert in die Jackentasche geschoben, und mich nach hause getrollt. Nicht gut so!
Es bleibt die Erinnerung an eine wirklich nette niederbayerische Herrenkonfektionsunternehmerin und an Elena, eine ebenso nette Russin aus dem südlichen Kasachstan, die ihre Kindheit zwischen dem Raumfahrtzentrums Bajkonur/Baiqongyr und einem sowjetischen Gulag verbracht hatte. Und ausgerechnet bei ihr habe ich vergessen, um eine Visitenkarte nachzufragen. Wahrscheinlich hatte sie gar keine. Und sicherlich hatte sie gar keine nötig.
Resumée: muss man das mitmachen? Ja unbedingt! Aber nur wenn sie abends nichts mit sich anzufangen wissen, keine Freunde haben, eine Frau für Irgendwas suchen oder es draußen regnet und Sie gerade kein trockenes Plätzchen finden können. Oder wenn Sie Elena wiedersehen wollen.
Ich habe ja immer behauptet beim Streber-Netzwerk Xing sind genau die Leute aktiv, die wir damals auf dem Schulhof immer verprügelt haben … kannst du das nach deiner Live-Erfahrung bestätigen? (Das waren deine Anwälte, oder?)
Elena? Sag mal ist das nicht die Frau die das beknackte ELENA Sozialversicherungsverfahren erfunden hat? Die sollte man dann wirklich irgendwo in den Gulag …. oder gleich auf den Mond …
Lass die Fingr von der schönen Helena, äh. Elena. Das bringt Unglück, wie schon Agamemnon herausfinden musste…