Unter dem programmatischen Titel “Digital ist anders” habe ich in der jüngsten Wochenendausgabe der F.A.Z. versucht, einen Weg zwischen der opportunistischen Erlösungstheorie der Renner-Brüder und dem kulturkritischen Skeptizismus des F.A.Z.-Herausgebers Frank Schirrmacher bei der Bewertung des Internet und dessen gesellschaftlichen Auswirkungen aufzuzeigen.

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Auch wenn mir Frank Schirrmacher freundlicherweise gleich eine Doppelseite in der nicht gerade kleinformatigen F.A.Z. zugesprochen hat, so musste natürlich trotzdem ein guter Teil des Manuskripts unter dem Diktat der Raumökonomie weichen. Neben vielem anderen hat das Internet gegenüber dem alten Holzdruck den unvergleichlichen Vorteil des unbegrenzten Raumes. Deshalb darf ich an dieser Stelle den Artikel der F.A.Z. mit einigen verfallenen Passagen vervollständigen. Dieses Posting ist also nicht eigenständig zu lesen, sondern als Addendum zum dort veröffentlichtem Text.

Worum ging es eigentlich? Ich wollte einerseits aufzeigen, dass das Internet nicht eine fortgeschrittene Evolutionsstufe der Computerentwicklung darstellt, sondern dass das Internet historisch als Parallelentwicklung zum Computer interpretiert werden muss, und dass dem Internet als Kommunikationsmedium eine dem Computer diametral entgegengesetzte Logik einbeschrieben ist. Es geht eben nicht darum, dass Bill Gates mit etlichen Prognosen falsch lag, wie eine – nicht von mir verfasste – Bildunterschrift in der F.A.Z. unterstellt. Bill Gates und die ganze Generation der PC-Pioniere hatten vielmehr mit dem Internet nie etwas “am Hut”.

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Die Gründungsväter des Personalcomputers haben das Internet nicht verschlafen, sie haben es nie gemocht!

Zum anderen ging es darum, die durchaus ambivalenten Potenziale des Internet aufzudecken, der zufolge das Web Instrument des Fortschritts und zugleich der Regression sein kann.  Oder um es ungewohnt prägnant mit Theodor W. Adorno zu sagen: „Nicht die Technik ist das Verhängnis, sondern ihre Verfilzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, von denen sie umklammert wird.“

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TWA, kein Computerpionier, aber mit tiefem Verständnis für die Ambivalenz von Technik

Denn ich glaube weder, dass wir vom Internet „gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen“, wie Frank Schirrmacher in seinem Buch Payback postuliert, noch, dass Digitales grundsätzlich besser ist, wie Kai-Hinrich und Tim Renner in ihrem Werk „Digital ist besser“ trotzig dagegen setzen.

Während der Computer noch ganz den Regeln der bürgerlichen Produktionsweise folgt – siehe hierzu meinen Beitrag in der F.A.Z. – überwindet das Internet mit den überkommenen hierarchischen Strukturen und Denkmustern zugleich zahlreiche weitere Grundfesten der uns vertrauten Gesellschaftsweise, die man noch immer als „bürgerliche“ bezeichnen kann.

Es ist schon viel geschrieben worden, über diese diversen Paradigmenwechsel, die das Internet sowohl in der Sphäre der Produktion, als auch in Freizeit und Handel bewirkt. Seltsam eigentlich, dass dies alles bislang noch nicht zu einer neuen Gesellschaftstheorie geführt hat, fügen sich die von unterschiedlichen Autoren beschriebenen Einzelphänomene doch durchaus in ein großes zusammenhängendes Bild ein. Aber vielleicht ist dies ja gerade die Ironie des Internet, das es die Aufstellung einer allgemeinen Theorie seiner selbst als individuelle schöpferische Leistung eines Einzelnen verunmöglicht. Denkmodelle, wie das des IBM-Philosophen Gunter Dueck, der mindestens seit der re:publica 2011 als Generalist unter den Webologen gehandelt wird, bleiben die Ausnahme.

 

Guenther Dueck hat auf der vergangenen re:publica einen der wichtigsten Beiträge zur Theorie des Internet geliefert.

Diese systemsprengenden Veränderungen beginnen – zum Beispiel – bei der Entwicklung des Prosumers, wie ihn die Renners wunderbar beschreiben, und der die ehedem getrennten Bereiche von Produktion und Konsum unwiederbringlich vereint. Das geht weiter mit der Granularisierung der Informationen. Nicht mehr das Werk steht im Mittelpunkt des Konsums, sondern einzelne Titel. Einzelne Stücke werden isoliert von ihrer Historie und der in dieser verwobenen Intentionen eines Autors interpretiert. Im vernetzten Arbeiten lassen sich die Prozesse von Nutzung und Verformung der Dinge gar nicht mehr logisch unterscheiden. Und so verflüchtigt sich auch das individuelle Recht am Werk, die Verwertungsmöglichkeit des Urheberrechts, das Copyright.

Erinnern wir uns: Als Bill Gates sein erstes Basic für den Altair-Computer schrieb, musste er erfahren, dass sein Programm schnell von zahlreichen Computernutzern ohne seine Zustimmung kopiert und weitergegeben wurde. Als Antwort auf dieses neue Problem der Softwarepiraterie schrieb er am 3. Februar 1976 seinen später berühmt gewordenen Open Letter to Hobbyists:

Die meisten Anwender haben ihr “BASIC” niemals bezahlt. Die Summe der Lizenzeinnahmen, die wir aus dem Vertrieb der Software an Hobby-Anwender erzielen konnten, entsprechen einem Stundenlohn von zwei Dollar. Warum ist das so? Die Mehrheit der Hobby-Anwender sollte erkennen, dass sie ihre Software gestohlen haben. Für Hardware muss man zahlen, aber Software wird einfach geteilt. Wen kümmert es schon, ob die Leute, die für diese Software gearbeitet haben, bezahlt werden? Ist das fair?“

Dieser Brief bildet bis heute die Grundlage aller Copyright-Diskussionen und Debatten um Raubkopierer und Software-Piraten. Die Position von Bill Gates ist nachvollziehbar. Aber in Zeiten von kollektiver Produktion taugt sein Modell des Lizenzvertriebs zunehmend weniger. Inzwischen hat die Open Source Community gezeigt, dass Alternativen zum herkömmlichen Lizenzwesen und zur Urheberrechtsabgabe unter bestimmten Voraussetzungen realisierbar sind.

[Einschub: Ich kann es gar nicht oft genug sagen, dass es mir absolut fern liegt, legitime Besitzinteressen von Urheberrechts-Inhabern zu desavouieren. Im Gegenteil: ich halte Raubkopiererei für kriminell und auch für moralisch verwerflich. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass unser herkömmliches Lizenzrecht und unsere heutige Auffassung von individuellem Copyright die künftig dominierenden kollektiven Produktionsweisen nicht mehr adäquat wird abbilden können.]

Alle diese Modelle erlauben einen Übergang zur Crowd Intelligence und zu gemeinschaftlichen Produktionskonzepten, gefährden aber traditionelle Berufsgruppen immer dann, wenn die Crowd zu Resultaten führt, die als Äquivalente klassisch produzierter und zu bezahlender Waren gelten können. In der Tat haben zahlreiche Berufsphotographen keinerlei Existenzgrundlage mehr, wenn Amateure zum Teil hervorragende Arbeiten auf Flickr, Picasa oder Whitewall zur Verfügung stellen. Aber sie verlieren in einem solchen System nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern auch ihre Existenzberechtigung als Berufsgruppe! Der Photo-Künstler mag überleben, der Photograph nicht.

Gleiches gilt für Journalisten. Nur wenige, die sich selbst erfolgreich als Marke etablieren können, werden überleben. Wer aber aus Wochenmarkt und Fußball-Turnier der Kreisklasse nicht besser zu berichten vermag, als der bloggende Karottenkäufer und Sport-Fan, der verliert auf Dauer seine berufliche Existenzberechtigung. Auf eine handwerkliche Überlegenheit sollte sich die journalistische Kaste besser nicht verlassen. Für sie gilt das Gleiche, was oben schon für die Berufsfotografen gesagt wurde: im Netz der Amateure blüht an manchen Orten eine Sprachkraft, der viele Edelfedern nur wenig entgegensetzen können. Wer’s nicht glaubt, der möge sich die jährlich aktualisierte Finalisten-Liste des Grimme Online Awards einmal ansehen, oder wenigstens die wunderbaren unter dem Namen „tiny_tales“ veröffentlichten Literatur-Tweets von Florian Meimberg. Beim Journalisten kommt hinzu, dass durch die Granularisierung der Informationsnutzung – weg vom Medium und hin zum Artikel – das Medium als Markenträger an Relevanz verliert. Wer es nicht zum Namens-Artikel in SPIEGEL, F.A.Z. oder Erdinger Anzeiger schafft, hat als Journalist keine Zukunft mehr. Und angesichts der Krise der großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage wage ich den Gebrauch des Adjektivs „langfristig“ in diesem Zusammenhang gar nicht mehr.

Gunter Dueck hat auf der letzten re:publica darauf hingewiesen, dass zahlreiche weitere Dienstleistungsberufe vom Reiseberater bis zum Apotheker vom Internet heftig bedrängt werden. Selbst Ärzte sieht er durch Internet-basierte Selbstmedikamention bedrängt. Auch wenn seine Prognose vom Ende der Dienstleistungsgesellschaft völlig überzogen ist – tatsächlich wird die Bedeutung kommunikationsorientierter Dienstleistungstätigkeiten etwa im Bildungs- und Pflegebereich in den kommenden Jahren stark anwachsen -, so stimmt es doch, dass das Internet seine Nutzer in die Lage versetzt zahlreiche Service-Leistungen, die bislang Spezialisten vorbehalten waren, selbst zu übernehmen. Dabei werden Berufsgruppen wie Journalisten und Photographen gar nicht so sehr durch einzelne Blogger oder schreibende und photographierende Amateure verdrängt, sondern von anonymen Crowds. Wertschöpfung erfolgt nicht länger durch einzelne, sondern durch die und in der Crowd.

In meinem Beitrag für die F.A:Z. habe ich bereits geschildert, wie die sozialen Medien auf diese “Vergesellschaftlichung” von Produktion und Konsumtion reagieren. Twitter zum Beispiel ist ein wunderbares Instrument, um solchen vergesellschaftlichten Prozessen auf die Spur zu kommen. Ich vergleiche Twitter gerne mit einem Gang durch die Kaffeepause eines Kongresses. Ein kleines Beispiel: Als Münchner kannte ich die Debatten um Stuttgart 21 eigentlich nur aus den Fernsehnachrichten und Zeitungsspalten. Entsprechend hielt ich die Kampagnen gegen Stuttgart 21 immer für das Ergebnis politischer Aktivitäten einer agilen Minderheit, sprich für eine durchaus sympathische Aktion regionaler Öko-Aktivisten. Auf dem Treffen des Verbandes der IT-Industrie BITKOM anlässlich der Messe IT & Business im Oktober 2010 in Stuttgart war ich heftig überrascht, dass die dort versammelten Geschäftsführer und Manager von IT-Unternehmen offenbar gar kein anderes Thema als Stuttgart 21 kannten. In der Regel argumentierten sie hochgradig emotional gegen die Bauvorhaben der ehemals schwarzgelben Landesregierung. In diesem Moment wusste ich, dass der nächste Ministerpräsident von den Grünen gestellt werden würde.

 

Eine umfassende Gesellschaftstheorie des Internet ist noch nicht geschrieben. Und sie wird wohl kaum von einem Einzelnen zu schreiben sein. Aber in einer Debatte, die zwischen Schirrmacher und den Renner-Brüdern changiert, wird eine solche Theorie entstehen. Eine solche Theorie wird detailliert aufzuzeigen haben, an welchen Stellen das Internet herkömmliche Mechanismen außer Kraft zu setzen im Stande ist; und ob etwas besser wird mit dem Internet oder nicht; und ob uns Regression droht oder Emanzipation beschert wird. Dabei hilft Schwarz-Weiß-Malerei ebenso wenig wie der subjektivistische Blödsinn “es komme darauf an, was man draus macht”. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sind ja nicht so, wie sie sind, weil es Facebook früher nicht gegeben hätte. Und Twitter macht aus der Deutschen Bank keine beschützende Einrichtung für wettsüchtige Banker – wobei die Unterscheidung zwischen einem modernen Finanzinstitut und einer Einrichtung der Lebenshilfe für suchtkranke Zocker möglicherweise eher hypothetischer Natur ist; wenn man von den völlig überhöhten Transferleistungen für die behinderten Insassen einmal absieht.

Kurz: eine umfassende Gesellschaftstheorie des Internet tut not, damit wir verstehen, was wir schon lange tun.

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