„Es war die 17. Minute im Spiel Hamburger SV gegen Mainz 05. Ein langer Ball von Torwart Frank Rost landete am rechten Flügel bei Mladen Petric. Der Kroate flankte in die Mitte, der Ball kam in hohem Bogen zu Marcell Jansen, der aus 12 Metern Volley abzog: Tor! Oder auch nicht.“
So leitete damals taz-Autor Christian Aichner seinen Bericht über eine mögliche elektronische Tormessung beim Fußball ein.
Schiedsrichter Babak Rafati, der zwei Wochen später in einem Kölner Hotel einen Selbstmordversuch unternahm (doch das ist eine andere Geschichte), entschied bei diesem Spiel auf Tor – zu Unrecht, wie die TV-Auswertung unmittelbar darauf bewies.
Anerkannte Tore, die keine sind, nicht anerkannte Tore, obwohl die Kugel über die Linie gerollt war – das ist nicht erst seit Geoffs Hursts Wembley-Tor am 30. Juli 1966 ein heiß umstrittenes Thema. Nachvollziehbar – denn Tore entscheiden am Ende über Sieg oder Niederlage und damit über Tabellenplätze, Teilnahme an Pokalen und letztlich über große Summen Geld. Sie gehören noch vor vielleicht zu unrecht geahndeten Fouls oder der irrtümlicherweise gehobenen Abseitsfahne zu den Anlässen heftigster Schiedsrichterkritik und -beschmimpfungen.
Dabei wäre alles so einfach, würde der von Adidas, dem Fraunhofer-Institut und der Firma Cairos Technologies AG entwickelte Chip-Ball zum Einsatz kommen.
In diesem High-Tec-Gerät befindet sich in der Mitte des Balls aufgehängt und sendet beim Überqueren der Torauslinie ein Signal an einen Empfänger, der sich wiederum beim Schiedsrichter befindet.
Soweit die Theorie, eine praktische Erprobung fand nach ersten Tests während der U-21 Fußball WM 2005 statt, wenn auch die vom Ball gefunkten Ergebnisse auf die Schiedsrichter-Entscheidung keinen Einfluss hatten.
Mittlerweile haben die Fifa wie auch der DfB einen möglichen Einsatz des Chip-Balls gestoppt. Obwohl es regelmäßig nach Fehlentschheidungen große Diskussionen gibt, möchten die Fußballfunktionäre die Entscheidungskompetenz allein beim Schiedsrichterteam belassen – und zwar basierend auf dem, was sie in dem Augenblick unmittelbar gesehen haben oder eben nicht. Alternativ wird allerdings über das „Hawk-Eye“ – eine Kamera direkt über der Torlinie diskutiert.
Christian Aichner fasste im März 2011 die Beweggründe der Fifa zusammen: „Ein Ball, zwei Tore und 22 Spieler – das muss reichen. Profifußballer sollten nach den gleichen Regeln spielen wie Amateurkicker, das wünscht sich auch die FIFA. Und die Einführung eines Chips im Ball oder einer Torkamera in sämtlichen Ligen bis herunter zur Kreisklasse ist nicht möglich. Außerdem gehörten ‚menschliche Fehler zum Fußball wie der Ball‘, wiederholte FIFA-Präsident Sepp Blatter jahrelang eine alte Fußballweisheit.“
Das Fanvolk wird sich also auch in dieser EM über Schiedsrichterentscheidungen empören dürfen. Aber auch das gehört zum Fußball. Mal trifft es die eigene, mal die gegnerischen Mannschaften, letztlich aber alle – und das ist in Ordnung, auch wenn gelgentlich Vorstand, Präsidium und Trainer einiger Vereine öffentlich kund tun, die Schiedsrichter würden generell und konsequent immer nur gegen sie pfeifen.
Wo kämen wir dahin, wenn ein Rechner über gelbe Karten, Trittsensoren im Rasen mit Kontakten in den Schuhen über Abseits und ein gechippter Ball über Aus und Tore entscheidet?
Und wenn es soweit wäre: Wenn dann der Zentralrechner des Stadions diese Informationen auch automatisch twittern und bei Facebook veröffentlichen würde – würde es damit dem Wutgeheule im Netz ein Ende bereiten?
Welch eine Vision.
Dann doch lieber der reale Ärger über die Männer in Schwarz. Damit kann der Fan umgehen. Denn wie hieß es früher doch so schön:
Schiedsrichter, wir wissen, wo Dein Auto steht!
am Straßerand
hat gut gebrannt, hat gut gebrannt…
————————————————————-
Die Reihe wird fortgesetzt am 11.05.2012
Was bisher geschah:
Teil 1: König Fussball im digitalen Zeitalter
3 Antworten