27. Januar 2011 – München
Schüsse, die nach hinten losgehen, nennt man in der Fußballsprache Eigentor. Ein solches schoss der FC Bayern im Januar 2012. Das ist zwar schon eine Weile her, aber man erinnert sich gern…
Anfang des Jahes ließ der Verein seine Fans wissen, es gebe eine Pressekonferenz, die live bei Facebook zu verfolgen sei. Und hier werde der Verein seinen neuen Offensivspieler vorstellen. Schon wieder ein Neuer?
Der Ärger um die Verpflichtung des Schalker Torwarts war noch in bester Erinnerung. Rebellierende Fans mit dem Schild Koa Neuer in der Südkurve, Schmährufe, ganz großes Gezeter. Anderseits zeigte sich der Verein in einer Formkrise, Abhilfe und Ablenkung war dringend erforderlich. Das wussten auch die Fans. Begierig warteten alle auf Rettung, da kam die Ankündigung gerade recht. Tausende zog es vor die Rechner, doch sie sahen nur eines: Ein Bild von Christian Nerlinger, dem Sportdirektor der Münchner, der ein Portrait des neuen Spielers präsentierte: Facebook spielte das Bild des jeweiligen Users auf die Seite ein.
Der neue und wichtige Offensivspieler, das ist der Fan. Das wollte der Verein seine Fans wissen lassen, nicht mehr und nicht weniger.
Das Ganze ist ein wunderbares Beispiel für „Perfekt gedacht und schlecht gemacht“. Die intellektuelle Transferleistung, der Fan solle sich selbst als Part des FC-Bayern-Teams begreifen und aktiv ins Spielgeschehen eingreifen, fand aber offensichtlich nicht statt. Die Fans tobten und überzogen den Verein mit wütenden Reaktionen. Ein Shitstorm mit Windstärke 11 Bft zog los.
Kaum einer der wütenden Fans hatte gemerkt, dass zu diesem Termin die Transfers für die Rückrunde längst abgeschlossen waren und für die neue Saison noch gar nicht in Fahrt gekommen waren. So gesehen war das Timing strategisch durchdacht, fiel aber in eine Zeit, in der die Nerven des Vereins wie auch die seiner Fans angespannt waren. Siege wurden nur mühsam erkämpft, es lief nicht rund, die vier Mannschaften an der Tabellenspitze lagen punktgleich bzw. mit einem Punkt Abstand beisammen. Kein Wunder, dass sich die Fans, die geglaubt hatten, ein neuer Offensiv-Spieler sei verpflichtet worden, um die Verfolger des FC Bayern wieder auf Abstand zu bringen, stinksauer waren.
Der Verein hatte gehofft, die Fans mehr auf sich einzuschwören, den frenetischen Fangesängen, wie sie in anderen Stadien erklingen, etwas entgegensetzen zu können – selbst in der Allianz-Arena dominieren die Gäste in ihrem Block mit ihren Schlachtengesängen das Geschehen.
Der Verein entschuldigte sich mit einer Presseerklärung, die durch den süddeutschen Blätterwald rauschte. Dann war der Sturm im Wasserglas vorüber.
Nach der Ursache des medialen Eigentors wurde nicht geforscht. Dabei drängt sich doch die Frage auf: Hält der FC Bayern seine Fans für intelligenter, als sie tatsächlich sind? Oder sind die Fans nur zu dumm für diese Aktion gewesen – was letztlich auf das Gleiche herauskommt.
Hätten die Fanbeaufragten nicht ganz einfach klar sagen können und sollen: Hey Leute (oder gern Servus), Ihr seid ein wichtiger Teil für den Verein. Wir zählen auf Euch und brauchen Eure Unterstützung?
Die Kehrtwendung im Umgang mit den ultratreuen Anhängern war auch bitter nötig: Rummenigge höchstselbst hatte diversen Clubs mit Hausverbot im Station gedroht, wenn nicht endlich Ruhe einkehrt und das Gehetze gegen Neuer ein Ende nimmt.
Hoeness war nicht charmanter. Er giftete die Neuer-Gegner an mit der mittlerweile zum Klassiker der Fußballzitate avancierten Bemerkung: „Neuer hat nicht nur gute Fäuste, er hat auch ein großes Hirn, und da hat es Spieler hier gegeben, die nicht so gesegnet waren.“
Wo so viel Intelligenz zusammenkommt, muss man sich nicht wundern, wenn solche (über)ambitionierten Aktionen im Social Web eingestartet werden.
Aber das ist ja mittlerweile auch Schnee von gestern.
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Die Reihe wird fortgesetzt am 07.06.2012
Was bisher geschah:
Teil 1: König Fussball im digitalen Zeitalter
Teil 2: Drin oder nicht drin? Das ist hier die Frage
Teil 3: Der Eine und der Andere. Anmerkungen vor dem Pokalfinale
Teil 4: Mit Hummer und Avocado gegen England – sehr analog und sehr teuer.
Teil 5: Der Wald von Birnham vor den Toren