Über Geschmack lässt sich bekanntlich recht gut streiten. Über Mode erst recht. Und findet sich für einen Streit nur genügend Publikum, dann ist es eine Frage der Zeit, bis die Medien aufmerksam werden. Jüngst geschehen im Fall der Firma Adidas. Die nämlich wollte in den USA einen neuen Schuh auf den Markt bringen, den Adidas JS Roundhouse Mid:
Und wie Unternehmen im Zeitalter des Web 2.0 gern agieren, hat Adidas diesen Schuh bei Facebook den potentiellen Käufern vorgestellt. Zielgruppenaffin, interaktiv und innoativ.
Rund 300 Doller sollte das Paar kosten, an das als besonders modisch pfiffige Applikation zwei organge-gelb farbene Plastik-Schellen angebracht sind, diese nun sind mit einer Plastikkette mit dem eigentlichen Schuh verbunden. Fesselndes Schuhwerk – so die Idee.
Man mag sich streiten, ob das eine kluge Entscheidung war. Die Facebook Community in den USA fand das Modell nämlich gar nicht so spannend, innovativ und noch weniger witzig. Im Gegenteil: Es hagelte harsche Kritik. Der Schuh und die integrierte Plastik-Fußfessel erinnerten – so die Adidas-Facebook-Fans – an die Zeit der Sklaverei. Der Schuh sei ein Symbol des noch immer vorhandenen Rassismus. Schwarze Bürgerrechtsbewegungen griffen umgehend den Fall auf.
Das Produkt sei „beleidigend, erschreckend und geschmacklos“, wird der Politiker und Pastor Jesse Jackson (70) in der Presse zitiert. „Die Ketten von unseren Beinen zu nehmen und an die Schuhe zu packen, ist kein Fortschritt“, so der Bürgerrechtler in der „Huffington Post“. Es sei „unsensibel und unverantwortlich“, wenn Adidas solche „entwürdigenden Symbole“ vermarkte. „Diese Sklavenschuhe sind abscheulich, und wir als Volk sollten sie verdammen und zurückweisen.“ Und er drohte, falls die Schuhe tatsächlich auf den Markt kämen, würde eine Protestwelle ungeahnten Ausmaßes über Adidas hereinschwappen.
Im Zeitalter fast an die Hysterie grenzender Political Correctness war das eigentlich vorhersehbar und eher blauäugig von dem deutschen Konzern, das nicht bedacht zu haben. Denn die Assoziationen, die sich mit diesem modischen Scherzartikel bilden, sind wohl mehr als klar. Die Produktidee, so wie sie Adidas bei Facebook vorgestellt hatte, war eine andere: „Kauf Dir einen Schuh, der so heiß ist, dass du ihn an deine Knöchel anschließen musst.“
Mag sein, dass Adidas heimlich an die romantisierende-Gangsta-Ikonographie gedacht und auf das entsprechende Baggy-Klientel geschielt hat. Aber es ist eine Sache, die sich selbst als wütend und rebellisch stilisierenden Boyz n the hood mit entsprechenden modischen Attributen bedienen zu wollen. Eine andere ist es, Mode mit Attributen der Sklaverei oder staatlicher Gewaltherrschaft zu machen und zu glauben, dass sich niemand darüber empören wird.
Nun rudert die Firma zurück: „Unsere Intention war es nie, irgendjemanden zu verletzten, deshalb ziehen wir den Schuh zurück“, wird Adidas-Sprecherin Katja Schreiber in der Presse zitiert. Adidas wolle die Gefühle von niemandem verletzen. „Das war überhaupt nicht Jeremy Scotts Absicht. Er ist einfach ein sehr kreativer Designer.“ Scott sei sehr verspielt und habe etwa Micky-Mäuse oder Raubtierschwänze an seinen Modellen angebracht. Seine Absicht sei es nie gewesen, mit der Fußfessel am Schuh an die Sklaverei zu erinnern – so in der Presse zu lesen.
Das klingt nach Schadensbegrenzung und das soll es wohl auch sein. So gesehen war die Facebook-Präsentation und die daraus resultierende allgemeine Entrüstung sozusagen eine Alarmglocke, die gerade noch rechtzeitig geläutet hat. Wäre der Schuh erst einmal im Markt gewesen – der finanzielle Schaden und der Imagesschaden wäre für die Herzogenaurracher um einges höher ausgefallen.
Sie hätten auch mit einer Fair-Trade-Kampagne zurückrudern können. Diese Schuhe werden ausnahmsweise nicht von Kinder-Sklaven in China oder Indien gefertigt, sondern zu fairen Bedingungen … Das wäre mal was gewesen.
Statt über die Sklaverei von Negern vor Jahrzehnten und Jahrhunderten zu lamentieren, wäre es nicht schlecht von den heutigen Sklaven der Plastikschuhindustrie zu sprechen.
Die Coloured da drüben regen sich genau so über jeden Scheiss auf, wie der Zentralrat bei uns. Wenn Du da nach Scheeketten fragst, hast Du gleich Ärger, weil Du einem Schwarzen Ketten anlegen möchtest.
Ich glaube nicht, dass es uns zusteht, darüber zu entscheiden, wann Jesse Jackson beleidigt sein darf und wann nicht. Natürlich darf er sich „verletzt“ fühlen, wenn er diese Schuhe sieht. Er hat alles Recht der Welt hierzu.
Übertriebene „PC“ ist es nur, wenn man sich vor jeder Aktion darüber Gedanken macht, ob mal wieder jemand beleidigt sein könnte. Das lähmt die Kreativität. Ich wünsche mir den Mut zum Konflikt. Aber eine kritische Haltung gegenüber dieser übertriebenen PC-Orientierung ist nicht identisch mit der Desavouierung derer, die sich verletzt oder beleidigt fühlen. Die auch aus meiner Sicht manchmal übertriebene Reaktion von Afroamerikanern oder deutschen Juden resultiert aus konkreten historischen und auch aus aktuellen Erfahrungen rassistischer Verfolgung und Benachteiligung.
Richtig: nicht die Schuhe sind der Skandal, sondern der alltägliche Rassismus. Der Skandal ist – das merkt Alexander sehr zurecht an – die moderne Sklaverei, an der Unternehmen wie adidas ihren Anteil haben.
Dabei ist es mir wichtig, dass wir von „Afroamerikanern“ oder meinetwegen auch von „Schwarzen“ oder sogar von „Farbigen“ oder „Negern“ sprechen, aber niemals von „DEN Schwarzen“ oder „DEN Coloured da drüben“. Das ist kein homogener Haufen, sondern das sind einzelne Menschen, von denen sich einige beleidigt fühlen und andere eben nicht. Begriffe wie „die Schwarzen“ oder „die Juden“ drücken unseren fehlenden Respekt vor dem Einzelnen aus. Letztlich zeigen sie, dass wir noch lange nicht frei sind von rassistischen Traditionen. Damit will ich gar nicht Peter abstempeln. Denn das ist unsere gemeinsame Sprache, die manchmal sehr falsch ist.
Wohl richtig, Michael.
Sowohl von mir als auch vom allgemeinen Sprachgebrauch gemeint ist natürlich nicht die anonyme Gesamtheit einer Menschengruppe, sondern vielmehr deren (z.T. selbsternannte) Lobby, die sich das Stilmittel der ethnisch motivierten Ereiferung und Empörung zunutze machen, um politische Ziele damit zu verfolgen.
Vor allem richtig ist, dass das Bild völlig anders aussieht, wenn man afro-amerikanische Menschen in den USA oder jüdisch-stämmige Mitbürger bei uns zu solchen Vorkommnissen befragt.
Bei all dem muss man aber bitte im Hinterkopf haben, dass wir es mit einer regelrechten und stets wachsenden Empörungskultur zu tun haben. Das Haar in der Suppe, das nicht mal drin ist, wird gesucht, gefunden und zu einem Wischmopp hochstilisiert.
Was heißt: Facebook, YouTube, Twitter und Co wirken extrem katalytisch auf Empörungswellen, weil sie gerade der Klientel eine Bühne bieten, die sich über alles und jedes furchtbar stark aufregt und das auch zur Sprache bringt. Ist ja auch einfach, laute und wütende Töne anzubringen. Und es ist en vogue, sich hochzuschaukeln in der Brillanz vermeintlich witziger, zynischer oder hämischer Kommentare. Die Macht des kleinen Mannes, den Großen mal an die Karre zu pinkeln…
Diesen Netz-Motzköpfen geht es nicht darum kreativ Konflikte auszutagen, denen geht es um die Bühne und die Selbstinszenierung als „genialer, pointierender Spötter“ dazustehen, nicht selten ohne eine annähernde Reflektion des Ganzen. Aber sie schaffen Stimmung, und das wollen sie.
Kommt dann am anderen Ende die selbstverordnete PC dazu, dann ist das Ergebnis des Ganzen wie oben beschrieben.
Ist doch wunderbar, das Gefühl, ein Bauwerk blockiert, einen Markenartikel vom Markt, einen Politiker gestürzt oder sonst was mitverantwortet zu haben. Denn im Prinzip ist es immer die gleiche Mechanik.
Muss sich nur noch ein prominentes Gesicht finden, die Sache zur eigenen zu machen und der Drops ist gelutscht…
@Lutz: das ist natürlich alles richtig. Aber Jesse Jackson ist kein Troll 😉
Und auch noch: Trolle hat es immer schon gegeben. Früher haben sie die Stimmung beim Vorstadtfriseur und beim Dorfbäcker bestimmt. Und wenn die Welt zum Dorf wird, dann übernimmt eben Fatzebuck die Rolle des Figaro.