Annette Mattgey berichtet heute auf LEAD digital über den Fall Adria Richards (sie schreibt von Adria Rosa) und SendGrid, ein Fall, der das Zeug hat zum heiß diskutierten Thema auch in deutschen Blogs zu werden. In den USA ist er das schon seit Tagen. Schließlich geht es um alles, was derzeit hoch im Kurs steht: sexistische Männer, Outing über Twitter, Entlassungen, Shitstorm, Trolle und dDOS. Was ist die Geschichte im Kern?
Die Softwareentwicklerin Adria Richards hörte auf der etablierten und renommierten PyCon-Konferenz, wie sich zwei Männer im Publikum mit offenbar sexistischem Vokabular über die Konferenz unterhielten. Sie fühlte sich von diesem Gespräch belästigt. Auch hatte es sich die Konferenz – Adria Rose vertrat einen der Sponsoren auf dem Kongress – zum Ziel gesetzt, die Veranstaltung betont frauenfreundlich zu gestalten. Wir alle kennen ja die Atmosphäre typisch „männlicher“ Entwicklerveranstaltungen. Ich kann gut verstehen, dass sich auf solchen Events Frauen häufig nicht „thematisch“, sehr wohl aber „kulturell“ auf dem falschen Planeten wähnen …
Adria Richards machte das Gespräch der beiden Zoten-reißenden Männer per Twitter öffentlich, worauf hin beide Männer vom Sicherheitsdienst von der Konferenz verwiesen wurden. Im Nachspiel zu dieser Episode verlor einer der beiden seinen Job, was wiederum zu einem heftigen Shitstorm gegen Adria Richards und schließlich auch zu ihrer eigenen Entlassung führte.
Annette Mattgey belegt den Fall mit zahlreichen Quellen und der interessierte Leser mag sich direkt zu LEAD digital oder zum Twitter Account von Adria Richards oder mitten in die derzeit heftig diskutierende amerikanische Community begeben um sich dort eingehender mit dem Fall zu befassen.
Mich interessiert vielmehr: was können wir daraus lernen? Darf man/frau tun, was Adria Richards getan hat? Darf man Gespräche, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, die aber gleichwohl die öffentliche Atmosphäre – zum Beispiel einer Veranstaltung – bestimmen, per Twitter öffentlich machen? Und darf man Menschen, von denen man sich – wohl zurecht – belästigt fühlt per Twitter „anprangern“?
Ich meine, man darf und sollte die Zoten-Kultur solcher Konferenzen aufdecken, gerne auch per Twitter. Ich meine aber auch, dass die öffentliche Bloßstellung der „Zoteure“ gefährlich ist. Die Konsequenzen können hart sein – in diesem Fall der Verlust des Arbeitsplatzes – und die Community geht nicht besonders sorgfältig mit den Angeklagten um. Das wissen wir doch. Adria Richards hat da leichtfertig zwei Menschen einem Shitstorm ausgesetzt, in dem sie später selbst umgekommen ist. Dabei ist Schadenfreude nicht angebracht. Denn natürlich war sie das erste Opfer. Und ihre Kündigung ist völlig unangemessen und zeugt nur von der Feigheit ihres Arbeitgebers vor dem „sozialen Mob“. Das öffentliche Anprangern von Personen aber darf nur das allerletzte Mittel sein im Kampf um Fairness, Gerechtigkeit und ein besseres Miteinander auf Programmiererkonferenzen wie im ganz normalen Wahnsinn. Und die „Angeklagten“ müssen eine Möglichkeit erhalten, sich dem Social Media Hangman’s noose zu entziehen.
Im Klartext: Liebe Adria Richards: trete ihnen beim nächsten Mal in die Eier, aber liefere sie nicht dem Twitter-Mob aus!
5 Antworten
Hier wäre die persönliche Ansprache doch sehr sinnvoll gewesen. Ich meine, wer ein Foto mit entsprechendem Kommentar postet, geht zu weit.
Es gibt Grenzen der Privatheit, und hier ist m.E. eine ganz deutlich überschritten. Wenn man sich – auch in einem semiöffentlichen Raum – nicht mehr frei unterhalten kann (über was auch immer, ohne das andere lauschen, protokollieren, twittern und sogar noch Fotos posten – dann läuft etwas falsch. Damit ist einer Denuntiationskultur und Diffamierung wieder Tür und Tor geöffnet.
In den guten alten Zeiten gab es mal ein Sprichwort:
Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand.
Da ist immer noch was dran.
Natürlich gibt es Situationen, in denen sich zwei lautstark unterhalten in der Intention, dass Umsitzende das mithören können/sollen. Das ist bestenfalls ungezogene „Dickehose-Mache“. Die einzige vernünftige Reaktion darauf ist: „Hoit Dei Goschn“; aber sicher nicht, via Twitter mitzuschreiben. Das ist hinterrücks und feige und vor allem überhaupt nicht überprüfbar, ob das dort geschriebene Wort auch tatsächlich so gefallen ist. Eine ganz miese Nummer.
Ein Wort an die Beiden hätte genügt, um Ruhe zu haben. Wenn man sich die ellenlange Rechtfertigung auf der Website von Frau Richards durchliest, kann einem angst und bange werden. Nein, was sie da getan hat ist nicht in Ordnung und durch nichts zu rechtfertigen.
Ich fasse es nicht. @Michael: Du forderst Frau Richards auf, zwei Menschen, die sie nicht kennt, „in die Eier zu treten“, nur weil die angeblich gesagt haben „big dongles“? So wie diese Frau auftritt wird sie übrigens eher Dir in die Eier treten, weil Du ihr ungefragt Ratschläge gibst.
Dein Eier-Trete-Rat ist also in jeder Hinsicht missglückt. Aber Du bist in „guter“ Gesellschaft: Unbegreiflich, wie sich der Veranstalter verhalten hat. Unbegreiflich der Arbeitgeber der Männer. Unbegreiflich eine Gesellschaft, die hier überhaupt Diskussionsbedarf sieht.