Einmal im Leben sollte jeder Muslim nach Mekka pilgern: „Und die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach dem Haus zu machen – soweit sie dazu eine Möglichkeit finden.“ heißt es in der 3. Sure des Koran. Diese große Pilgerreise wird Haddsch genannt, ein Absolvent dieser Fahrt Haddschi. Das wissen wir alle aus den Tagen und Aufzeichnungen des seligen Karl May.
Zwar ist es nicht zwingend vorgeschrieben, aber eine Selbstverständlichkeit ist es, dass Freunde Czyslanskys einmal im Leben nach Triest pilgern. Dort hat der große Czyslansky sein Wirken entfaltet, nirgendwo ist man ihm näher als in der italienischen Küstenstadt. Und doch dankt es ihm die Stadt an der slowenischen Grenze nicht…
So suchen wir, als wir Ende Oktober in Triest sind, überall vergeblich nach Spuren Czyslanskys. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Keine Via, die nach ihm benannt wurde, nicht mal ein schmales Gässchen seitlich der Via dei Rettori, obwohl Czyslanky in diesem Viertel den Großteil seine Kindheit verbrachte.
Nun ist Triest der Sehenswürdigkeiten voll: Prachvollte Häuser am Canale Grande (Bild 1) und noch prachvollere Bauten der Habsburger (Bild 2).
Es ist also nicht gerade so, als gäbe es nicht genug, was man sich sonst in Triest anschauen könnte. Für das „gemeine“ Volk der Kreuzfahrtschiff-Touristen ist also ebenso georgt wie für die Heerscharen österreichischer Abschlußfahrt-Maturanten. Wir aber suchen das Besondere: Spuren, die sich nur in unserer Phantasie finden lassen:
Zu Czyslanskys Zeiten fand das Leben noch weitgehend auf der Straße statt, zu eng waren die Wohnungen für die großen Familien. Daher wandern wir alle Gassen und Sträßchen der Altstadt ab, doch nirgendwo findet sich ein winziger Hinweis. Heute sind die Gassen hinter dem Piazza della Borsa tagsüber fast menschenleer. Es ist also auch niemand da, den man fragen könnte.
Es braucht etwas Phantasie, im Angesicht eines einsamen öffentlichen Wasserspenders in einem Seitengässchen, sich die Menschenmengen vorzustellen, die sich früher um diese einzige Trinkwasser-, Wasch- und Zahnputzgelgenheit gedrängt haben. Aber der junge Csyslansky war sicher einer von ihnen. Denn auf Körperpflege legte er immer schon ganz besonderen Wert. Nicht umsonst wird ihm der Zuspruch zugeschrieben Hygiene beginnt mit H wie Haare kämmen und endet mit Einseifen. Was wäre es schön, wenn an dem Brunnen vor der Türe ein kleines Täfelchen auf dieses berühmte Zitat aus der Vita dolorosa verweisen würde. Tut es aber nicht. Es gibt kein Täfelchen.
Während man anderen großen Köpfen der Stadt, selbst dem zugereisten James Joyce (nichts gegen Joyce, auch ein ganz Großer) ein Bronzedenkmal am Kanal spendiert (Bild 5), gibt es auch keine Bronzeplatte am Geburtshaus von Czyslanskys Großeltern oder seiner emsigen Verwandten. Nicht mal ein Klingelschild, auf dem der Name zu lesen wäre, oder wie damals die Abkürzung #Czys, die sich heute nur noch versprengelt bei Twitter finden lässt.
Das verwundert uns doch etwas. Denn selbst in unserem winzigen Dorf in Oberbayern verweist man stolz darauf, dass hier die Urgroßmutter von Wolfgang Amadeus Mozart geboren wurde. Und was wäre Mozart ohne seine Ur-Oma geworden? Ein Nichts.
Zurück nach Triest. Noch immer weht der habsburgische Geist durch die Hafenstadt am äußersten Ende Italiens. Es duftet nach frisch geröstetem Kaffee in der Via Cavena 2. Selbstverständlich genießen wir in der Torrefazione “La Triestina”, Triests kleinster Rösterei, zwei Espressi am Tresen. Ein weiteres Kilo lassen wir uns für daheim einpacken. Das kostet zwar ein kleines Vermögen, aber schlechten Kaffee gibt’s genug. Und wenn man schon mal da ist. Außerdem: Was dem Muslim sein heiliges Wasser aus Zamzam, das ist dem Triester ein guter Kaffee. Mokka und Mekka – nie lagen sie so nah zusammen.
Eine sonst sichere Quelle bei der Spurensuche sind Antiquariate. Ein solches mit angeschlossenem Trödelladen finden wir in der Via Malcanton. Leider erweist es sich trotz uendlich vieler wunderbarer Gegenstände, die es dort zu kaufen gibt, als unergiebig: Keine verstaubte Czyslansky-Monographie, keine seiner vielen Notizen – alles ist verschütt.
Das verwundert nicht, war doch Triest viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als das es dem großen Geist die ihm gebührende Aufmerksamkeit hätte schenken können. Mal habsburgisch, dann seit der Grande Guerra mit den zwölf blutigen Schlachten am Isonzo italienisch. Dann eine Hochburg der Faschisten, später von den Nazis besetzt und zwischen 1945 und 1954 ein ständiger Streitapfel zwischen Italien und Titos Jugoslawien. Schließlich „Dead End“, eine Stadt direkt am eisernen Vorhang.
All das musste verdaut werden, all das musste in Gedenktafeln, Skulpturen, Denkmälern usw. thematisiert werden. Da bleibt für die Huldigung Czyslanskys wenig Raum.
Und doch weht sein Geist, wo er will. Auf Schritt und Tritt in Triest kann man ihn – die notwendige Sensibilität vorausgesetzt – spüren. Ja man meint fast, dass man, wenn man an Santa Maria Maggiore vorbei die Stufen zum Duomo und Castello erklommen hat, Czyslansky selbst um die Ecke kommen sieht. So wie damals, als er auf dem Weg zum Giardino die Via Michele war, auf dessen ersten Treppenabsatz er seiner ersten großen Liebe, der liebreizenden Maddalena, einen ersten keuschen Kuss gab. Dass dieser der letzte blieb, ist leider kein Gerücht. Böse Zungen behaupten, Maddalena habe kurz zuvor von ihrem hinterlistigem Vater Signor Giorgio Monti eine deftige Baccala zugeschoben bekommen und diese verspeist.
Nirgendwo ist verbürgt, dass Czyslansky sich jemals über das Fischaroma aus Maddalenas Mund empört hätte, und doch kann man mit einiger Sicherheit annehmen, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt. Hygiene, so sagte er schließlich gern… Das hatten wir schon.
Vielleicht hat er es auch in diesem Augenblick gesagt. Wie sonst ließe sich erklären, dass Maddalena Monti noch in früher Jugend und unverblühter Schönheit Triest den Rücken kehrte und sich in die Einsamkeit des Karsts zurückzog. Czyslansky brach es das Herz. Vorübergehend. Noch heute diskutieren die Einwohner von Triest, wie diese zarte Romanze hätte enden können, wenn es Signor Girogio nicht gelungen wäre, diese zu vereiteln.
Für mich aber ist es ein Muss, auch eine Baccala zu essen (wenn ich es auch nicht in Triest getan habe), schon allein, um den Geschmack des in Salz eingelegten Steinbutts zu genießen, eine der wenigen Speisen, die Czyslansky Zeit seines Lebens nach diesem traumatischen Erlebnis gemieden hat.
Lediglich Czyslanskys Großtante Käthe, Mutter der berüchtigten Ella, versuchte mühevoll, ihrem Lieblingsgroßneffen die Baccala wieder schmackhaft zu machen, wenn auch ohne Erfolg. Von Käthe wissenwir zumindest, wie sie ausgesehen hat. Verewigt findet man die resolute Dame in einem Denkmal am Kai. Dort sitzt sie, in Bronze modelliert und näht die italienische Flagge. Dass gerade sie vom Künstler als Modell ausgesucht wurde, hat aber nichts mit ihrem Patriotismus zu tun. Es war vielmehr die Bewunderung , auch eine Legende, über die in keinem Reiseführer etwas zu lesen ist: Denn Tante Käthe war handwerklich so begabt, dass sie sich nur ein einziges Mal in ihrem langen Leben in den Finger stach. Schauen Sie sich die Skulptur bei einem Triest-Besuch mal näher an. Dann wissen Sie, was ich meine. Und vielleicht weht sie in dem Moment nicht nur die Bora an, sondern auch der Atem der Geschichte – mit einem Hauch Baccala…