Buchbesprechung: Tim Cole – Wild Wild Web

Tim Cole

Tim Cole Wild Wild WebWenn ein Internet-„Urgestein“ einem anderen Internet-„Urgestein“ das Vorwort schreibt, so empfiehlt es sich allzu oft den intellektuellen Rollator bereitzustellen. Dies gilt für die Lektüre von „Wild Wild Web“ mitnichten. Der altersweise Tim Cole hat ein furioses Buch geschrieben, einen lautstarken Aufruf für eine Reorganisation des Internet auf Grundlage kritischer gebildeter und medienkompetenter Geister. 

Internet-Urgestein Winfried Felser beschreibt in seinem Vorwort das Buch sehr treffend als „Aufruf zu digitaler Souveränität“ und den Deutsch-Amerikaner Tim Cole als jemanden, der durch einen Vergleich des Wilden Wilden Westens mit dem World Wide Web vor den Risiken des Internets warnen will. Tatsächlich will uns mein alter Freund Tim – er ist einer der Gründer dieses Czyslansky-Blogs –  durch die Denunziation der Revolverhelden von Dawson City vor den Verführern des Silicon Valley warnen. Aber er tut dies nicht mit großem Lamento wie einst sein Lieblingsgegner Frank Schirrmacher, sondern als leidenschaftlicher Aufklärer und – ja – Medienpädagoge des Digitalzeitalters.

Vom Widerstand gegen die digitalen Räuberbarone

Tim Cole betrachtet den gesellschaftlichen Widerstand gegen ACTA, AirBnB und Uber als beispielhaft und wünscht sich mehr Aktionen von Volk und Verwaltungen gegen die neuen Monopolisten, die ihre Macht dazu missbrauchen sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Dabei will er die neuen Krösuse nicht köpfen, sondern in eine – noch anzupassende – Rechtsordnung hineinzwängen. Er fordert einen New Deal, in dem ein moderner Datenschutz ebenso gesichert ist, wie eine faire Besteuerung der Gewinne der internationalen Digitalkonzerne.

Dabei geht er mit den neuen Räuberbaronen nicht gerade zimperlich um:

„Es ist wohl heute jedem klar, wer die „neuen Räuberbarone“ sind. Ihre Firmennamen werden inzwischen sogar zusammengefasst als GAFA bezeichnet. Die Abkürzung steht für Google, Apple, Facebook und Amazon, und deren Begründer besitzen eine ähnliche Macht wie damals die Monopolisten des späten 19. Jahrhundert.“

Google, Apple, Facebook und Amazon identifiziert Tim Cole als „geradezu gier-kapitalistische Unternehmen, und wenn sie nicht zu anderem gezwungen werden, dann setzen sie sich über alle Regeln des Wettbewerbs, der Fairness und, ja, der Menschlichkeit hinweg.“

Starker Tobak. Zimperlich ist anders.

Wieder und wieder vergleicht er die GAFA mit den historischen Vorbildern aus dem Wilden Wilden Westen: „Wenn Google also, wie anfangs behauptet, das Gegenstück ist zu den Eisenbahnlinien im allmählich nicht mehr ganz so Wilden Westen, dann ist auch klar, wohin das führen muss. … Die Eisenbahn-Barone weigerten sich standhaft, notwendige Sicherheitsmaßnahmen einzuführen, weil das ihren Profit geschmälert hätte, und zwangen Farmer im Westen, oft ruinöse Frachtraten zu bezahlen dafür, dass man ihren Mais oder ihr Getreide zu den Märkten an der Ostküste transportierte. 1887
wurde es selbst dem US-Congress zu bunt, und der Interstate Commerce Act wurde beschlossen, der die Eisenbahnen unter Aufsicht stellte und sie zwang, ihre Frachtraten zu veröffentlichen und aufzuhören, diskriminierende Preise von Kunden in den entlegeneren Gebieten des Westens zu verlangen.“

Und so wundert es nicht, wenn Tim Cole schließlich einen „Internet Commerce Act“ fordert, in dem die neuen GAFA endlich unter Kontrolle gebracht werden können.

Was geschehen muss:

Vier Dinge braucht der Tim:

a) Regulierung: „Im Wilden Westen hätte man dazu ‚Law & Order‘ gesagt“.

b) Technologie: „Wenn uns das Silicon Valley mit ihrer Technologie Dinge wie Datendiebstahl, digitale Fremdbestimmung, Fake News, Hasspostings, Informationsüberlastung und totale Transparenz eingebrockt hat, dann sollen sie uns auch helfen, die Probleme zu beseitigen.“

c) Marktmacht: Cole sieht, dass das Internet den Kunden auch mächtiger machen kann und fordert ihn dazu auf, diese Macht endlich einzusetzen.

d) Hilfe zur Selbsthilfe: „Wer sich rüpelhaft benimmt, den kann man ausschließen. In einer Welt, die auf totale Kommunikation basiert, wäre Nichtkommunikation vielleicht die schlimmste Strafe, die wir aussprechen können. Wir müssen uns nur einig werden, was wir wollen.“

Konkret fordert der Autor zum Beispiel eine klare Steuerpflicht für Internet-Händler, eine Reform des Urheberrechts und eine Reform des Monopolrechts. Dabei setzt er vor allen Dingen auf Europa, dem Tim Cole einfach mehr Regulierungswillen zutraut, als dem Trump-Amerika.

Wenn der Webopa erzählt …

Das Buch ist natürlich auch ein veritables Märchenbuch über die Geschichte der ganzen Computerei. Tim hat sie ja zum guten Teil miterlebt. Im Schnelldurchgang entführt der Autor uns in die Frühzeit von Microsoft und Netscape, spielt mit uns „Pong“ und lässt uns in Yahoo und Lycos Dinge suchen. Und weil Tim unterhaltsam schreiben kann (er schreibt wie er redet, vom Stöckchen ums Pflöckchen, aber ohne je langweilig zu werden) macht die Lektüre dieses Sachbuchs auch tatsächlich Spaß.

Ein wenig ins Märchenhafte driftet Tim dann auch ab, wenn er sich selbst aus dem Jahr 2010 zitiert und uns das „digitale Fasten“ empfiehlt: 

„Die Lösung des Problems der digitalen Völlerei ist doch ganz einfach: digitales Fasten! Verzichten wir auf Surfen, Blogs und E-Mail, zumindest für ein paar Wochen im Jahr. … Keine Kognitivkrise mehr, keine Ich-Entfremdung. Das zermanschte Gehirn kann sich regenerieren, die verlorene Denkfähigkeit kehrt zurück und sogar Frank Schirrmachers Kopf kommt wieder mit. Einfach genial!“

Zukunft im Digitalen oder digitale Zukunft?

Am spannensten wird der Autor wenn er über die ferne Zukunft unserer digitalisierten Gesellschaft sinniert. Geben wir uns auf und dem Computer die Macht oder bäumen wir uns auf und zeigen ihm seine Grenzen auf? Tim Cole setzt auf die Gewerkschaften im Digitalzeitalter, eine Art „digitale Betriebsräte“ und schließlich auf „digitale Mitbestimmung“. Das ist aufklärerisch im besten Sinne und Tim Cole entblößt sich – um mit Antonio Gramsci zu reden – als Optimist der Tat, der zugleich Pessimist der Intelligenz ist. Er ruft den Leser dazu auf, gemeinsam mit ihm die Dinge zu verändern. Er fordert zum Diskurs über eine digitale Ethik, also zur Frage, wie wir künftig mit den Daten leben wollen. Er will schließlich, dass wir wieder zum Souverän unserer Daten werden.

Nein, Hoffnung und Analyse, Optimismus der Tat und Pessimismus der Intelligenz lassen sich nicht vermitteln und sie bleiben auch im Buch von Tim Cole unvermittelt als zwei Sphären nebeneinander stehen. Aber man muss sie miteinander reiben. Und das tut der Autor und erzeugt so eine wohlige Wärme. Er zeigt uns die Parallelen zwischen Wildem Wildem Westen und World Wide Web, damit wir zwischen Gut und Böse unterscheiden lernen, damit wir aus Erfahrung lernen, damit wir richtig handeln.

Geschichte wiederholt sich nicht. Der Wilde Westen entsteht nicht neu im World Wide Web. So schlicht denkt Tim nicht. Von Mark Twain stammt der schöne Satz, dass sich Geschichte nicht wiederhole – sondern reime! Karl Marx wiederum wird die These zugeschrieben, dass sich Geschichte stets nur als  Farce wiederhole. Wenn wir Tim Cole lesen, immunisieren wir uns – ein wenig – gegen beide Zeitschleifen, gegen die Marksche, wie gegen die Marxsche. Gut so. Lesen!

Tim über Cole

An dieser Stelle soll der Autor selbst zu Wort kommen. Tim erklärt sich im Video:

 

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Tim Cole, Wild Wild Web: Was uns die Geschichte des Wilden Westens über die Zukunft der Digitalen Gesellschaft lehrt. Erscheint Anfang November im Verlag Vahlen und kostet 24,90 Euro. Erhältlich beim Buchhändler Ihres Vertrauens. 

Titelbild unter Nutzung von underdogstudios @ stock.adobe.com.

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