Es gibt wenige Branchen, die seit so vielen Jahren auf so hohem Niveau jammern, wie die gehobene Hifi-Branche, die sich selbst High End nennt. Während die Medien vom Hype um Plattenspieler kreischen und Journalisten ob der Preisschilder auf Röhrenverstärkern und Edel-Playern sich verwundert die Augen reiben, klagen auch in diesem Jahr viele Aussteller der Weltleitmesse High End (seit heute im Münchner M.O.C.) über die Unlust der Menschen, für hochwertige Musikanlagen Geld auszugeben.
Die Zeiten haben sich geändert – die Branche nicht
Schon wahr, in meiner Jugend drückten wir uns an den Schaufenstern von „Radio-Schaub“ die Nasen platt und trugen jeden mühsam verdienten Groschen in den Schallplattenladen und sparten jahrelang eisern auf „die erste richtige Anlage“. Heute drehen die Jungs das Internet auf und Musik läuft heraus wie Wasser aus der Leitung, zwar ein wenig dumpf und abgestanden in MP3-Qualität, aber es macht Lärm. Schon damals musste die Branche nicht verkaufen, sondern nur abwarten, bis wir das notwendige Kleingeld zusammen hatten und kaufen wollten und konnten. Die Branche war in den 70iger Jahren im Trend, so wie Microsoft in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Warum nur interessieren sich heute so wenig junge Menschen für die tollen Angebote der High-End-Branche? Die armdicken Kabel ab 4.500,- Euro der Meter aus sauberstofffreiem Kupfer sehen doch wirklich schnuckelig aus und überall glimmen heimelige Röhrenschluchten: vier 300B-Röhren pro Kanal, Stückpreis ab 100,- Euro, gerne aber auch mal 800,- Euro sind mancherorten schon eher die Regel, als die Ausnahme. Anlagen für fünf- und sechsstellige Beträge machen das Gros der Ausstellungsstücke auf der High End aus. Ist das aber schon der Grund des Jammertals?
Nein – es gibt ja auch noch bodenständige Produkte. Hersteller wie die schwäbische Manufaktur Acoustic Solid bieten Schallplattenspieler für Einsteiger und Überflieger.
Mein Kunde RESTEK baut nicht nur Edel-Kombis aus Mono-End- und Vorverstärkern für deutlich mehr als 10.000,- Euro, sondern auch Komplettverstärker für rund 1.500,- Euro. Und das mit deutscher Manufaktur-Qualität und einem Service, der völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
Die High End 2016 zeigt eine Branche ohne Vertrieb
Das Problem ist, dass sich die Branche offenbar einfach nicht von ihren Produkten trennen will. „Bloß nix hergeben“ scheint die Devise vieler Aussteller zu lauten. Oder wie soll man sich erklären, dass „Verkäufer“ auf dieser Messe extreme Mangelware sind? Wenn Sie mal auf einem Messerundgang garantiert nicht angesprochen werden wollen, dann gehen Sie auf die High End!
In Franken gibt es viele tolle Sachen, aber kaum relevante High-End-Hersteller. Vor einiger Zeit ist mir aber über Presseberichte ein kleiner Hersteller von Röhrenverstärkern aufgefallen: MuSiCa NoVa! Erfreut durfte ich heute bei einem Besuch des Messestands dieses Anbieters feststellen, dass man dort seine Produktpalette offenbar fleißig ausbaut: Völlig neu standen auch ein CD-Spieler oder sogar ein recht interessant aussehender Plattenspieler neben der Röhrenelektronik.
Als gerade einziger Besucher auf dem Stand machte ich mich gleich daran, den Dreher zu fotografieren, worauf eine Mitarbeiterin des Ausstellers erstmal die Schallplatte in Sicherheit brachte, die sich munter auf dem Teller dreht. Meine neugierige und irgendwie anerkennend und interessiert gemeinte Bemerkung „Sie sind ja auf den Weg zum Vollsortimenter“ quittierte die Dame mit einem klaren Ja um sich sofort wieder ihrer Kaffeepause zu widmen. Wäre wohl echt blöd gewesen, wenn ich jetzt auch noch irgendwelche Fragen zum Produkt gestellt hätte. Übrigens war heute Fachhändlertag und außer Presse und Fachhändlern war eigentlich niemand zugelassen, aber Fachhändler und Presse werden von der Branche offenbar nicht so sehr gebraucht …
Das Vertrauen auf den Fachhandel ist fataler Nihilismus
Glauben Sie bitte nicht, dass das ein Einzelerlebnis ist. Aber wenn man nicht nachhaltig einem Aussteller auf die Füße steigt, bleibt man auf der High End derart unbehelligt, dass es einem ganz wunderlich wird. Diese Abwesenheit von der typisch-aggressiven Vertriebsattitüde anderer Messeveranstaltungen kann vielleicht eine Wohltat für den Besucher sein, ist aber sicher ein Desaster für die Branche. Diese Branche will einfach nicht verkaufen. Gerne stellt man die Geräte zum Fachhändler und verlässt sich darauf, dass der dann den Verkauf ankurbelt.
Der klassische Hifi-Fachhändler kann aber häufig ordentlich Musik vorführen, aber auch er trennt sich ungern von seinen Geräten. In München kenne ich einen durchaus etablierten Fachhändler, der zuerst mal nachfragt, für welchen Preis man eines seiner Ausstellungsstücke bereits im Online-Handel oder sonstwo gesehen habe, um sogleich zu beteuern, diesen Preis könne man schon mitgehen. Ich kann gar nicht so schnell feilschen, wie dort der Preis nachgibt.
Online-Marketing als Blindenfernsehen
Das Internet wird von den meisten Herstellern der High-End-Branche ohnehin noch immer als Feind wahrgenommen, und zwar als ein Feind, dessen (Neu-)Land man besser gar nicht erst betritt. Kaum zu glauben, wie viele Hersteller sich um Facebook und Twitter und damit auch um Kundenpotentiale herumdrücken. Eine große Berliner Nobelschmiede machte ich vor drei Jahren mal darauf aufmerksam, dass ihre Website leider gar nicht aus Text, sondern nur aus Grafik bestünde und ihr Online-Angebot leider von Google deshalb so gut wie völlig ignoriert werde. Man klärte mich darüber auf, dass man auch die Textblöcke als Bilder angelegt habe, damit die Hausschrift auch als besondere Hausschrift „rüberkomme“. Online-Marketing als Blindenfernsehen, aber mit Stil! Man sei jedoch gerade dabei, den Internet-Auftritt zu modernisieren. Inzwischen ist dies offenbar gelungen. Als einzigen Begriff neben der eigenen Marke konnte man sich mit der Zahl „9011“ unter den Top-Ten-Keywords bei Google platzieren. SEO? nciht wirklich!
Nur zur Klarstellung: das ist ein weltweit anerkannter High-End-Anbieter mit wirklich ganz ausgezeichneten Produkten. Das Unternehmen lebt von seinen chinesisch-marktwirtschaftlichen, russisch-oligarchischen und arabisch-benzolischen Kunden. Das Unternehmen MUSS in Deutschland offenbar nix verkaufen. Und tut es auch so gut wie nicht.
Die Branche ist liebenswert wie ein Dinosaurier
Die High-End-Branche besteht zum guten Teil aus Fricklern, Röhren-Gurus, Röhren-Monos, Vinyl-Fetischisten, Kabel-Göttern und zugegebenermaßen häufig begnadeten Lötkolbenschwingern. Ein paar Verkäufer wären aber der allgemeinen Befindlichkeit der Branche durchaus zuträglich. Sonst folgt man den Dinosauriern. Die sind auch trotz ihrer Nettigkeit ausgestorben. Und bestimmt nicht wegen übertriebener Eleganz.
5 Antworten
Kleiner nachgetragener Link-Tipp: der Live-Blog von der High End von F.A.Z.-Blogger Marco Dettweiler: http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/high-end-14211233.html.
Noch ein kleiner Nachtrag: Was mir abgeht, sind mutige neue hybride Vertriebskonzepte, die Bereitschaft, sich auf neue Kommunikationswege einzulassen, innovative Brückentechnologien zwischen Vinyl und Digital, … es gibt viel zu tun. Die Branche ist es wert. Und die tollen Leute, die hier anzutreffen sind. Und die Musik ohnehin.
Mich hat in den 90ern das Schicksal mal für zwei Jahre in die Redaktion einer HiFi-Zeitung gespült, und ich habe niemals zuvor und danach so viele absurde Sachen erlebt, gegen die Bachblüten und homöopathische Globuli schon härteste Wissenschaft sind. In meinen Augen sind die Protagonisten der Branche weder willens noch in der Lage, sich wie normale Menschen aufzuführen.
Der vom Autor bemerkte HiFi-Boom in den 70ern hat einen Grund, und dieser Grund ist derselbe, wieso der Verkauf von Spiegelreflex-Kameras um 1985 einen einsamen Höhepunkt erreichte und seitdem rückläufig ist: Das (damalige) Fehlen brauchbarer Billig-Alternativen. Ich hatte vor meiner ersten Steroanlage ein UKW-Radio mit einem cremefarbenen Stöpsel fürs Ohr, das Ding hatte noch nicht einmal eine Buchse für einen Cassettenrecorder. Wofür man sich damals noch die ganze Hütte mit fetten Kästen vollstellen musste, das erledigen heute ein paar Bluetooth-Streaming-Boxen. Zudem ist bei den meisten High-End-Stereoanlagen der Wife-Acceptance-Faktor gleich null. Frauen nehmen das Gerödel nur als etwas wahr, das sie nicht anfassen dürfen. Ich kenne keine einzige Frau, die eine wirklich teure Stereoanlage selbst angeschafft hat.
Bei Kameras war es ähnlich. Bis Mitte der 80er Jahre gab es entweder komplett anspruchslose Ritsch-Ratsch-Klick-Kästen oder eben teure, komplizierte System-Spiegelreflexkameras. Dann kam die Pentax Zoom 70: Autofokus, Zoomobjektiv, Belichtungsautomatik, Blitzautomatik, automatischer Filmtransport. Seitdem lassen sich mit null Aufwand Bilder machen, die 80% der Qualität von SLR-Bildern erreichen. Damit war das Thema SLR erledigt. Dann kam die ganze Nummer noch einmal digital – und inzwischen ist das iPhone die am weitesten genutzte Kamera der Welt.
Während Firmen wie Nikon oder Canon ernsthaft über die Zukunft ihrer SLR-Produktion nachdenken, schaffen es Firmen wie GoPro, das Thema Fotografie neu zu denken. Das hat die gesamte High-End-Branche versäumt. Was unterscheidet das Hören von Vivaldis Vier Jahreszeiten, eingespielt von Nikolaus Harnancourt und dem Concentus Musicus in Wien und gehört von einer High-End-Kette von 2016 vom Erlebnis einer High-End-Kette von 1996? Nix, außer dass der Hörer heute 20 Jahre älter ist und dementsprechend schlechter hört.
sehr geehrter herr kausch,
sie sprechen mir aus der seele! was mir – zugegebenermaßen nicht übermäßig zahlungskräftigen kunden – in der hifi-/highend-branche schon an arroganz und desinteresse untergekommen ist, ist kaum zu beschreiben. nicht jeder musikfreund hat das budget für anlagen im sechsstelligen euro-bereich. deshalb sind ihre klaren worte sehr passend. danke!
schöne grüße,
mag. christian wille
Also: Ich als Händler bin einer der letzten, die auch auf Messen vorführen.
Und seit einigen Jahren kann man tatsächlich fast ausschließlich Hersteller auf den Messen antreffen…
Das liegt aber meines Erachtens daran, dass es für den Händler unglaublich teuer ist, auf einer Messe ein Zimmer für die Vorführung zu bekommen und die Händler das aus eigener Tasche finanzieren müssen!
So geht es bei ca.1600€ Selbst für ein kleines Zimmer einer Hausmesse los.
Hinzu kommen Kosten für die Anfahrt, Versicherung, Verpflegung etc.
und vor allem die auszustellenden Geräte selbst!!! Es ist leider nicht so, dass die Hersteller den Händlern da einfach alles zur Verfügung stellen würden. So nach dem Motto: Jetzt verkauft mal!
Wenn ich vor einer Messe als Händler nicht die neuesten Produkte ordere, dann wird daraus nichts…
Und wir reden hier von den High End Produkten, welche wirklich eine geringe Spanne bieten…(oft nur ca. 30%! Ja, richtig gelesen!Allerdings rede ich hier von Geräten die nicht fern Ost hergestellt werden!)
D.h. der Händler muss sich das erst einmal leisten können und nach bzw. durch die Messe entsprechende Einnahmen verbuchen können, damit sich das ganze überhaupt lohnt und nicht ein Riesen Loch in die Kasse reißt.
Ich bin jetzt 6 Jahre auf Messen dabei und in nur 2 Jahren davon bin ich durch den Mehrumsatz durch die Messeauftritte gerade mal auf plus minus null gekommen.
Das sind Produkte, welche man nur mit Verlust mit 20-30% Messerabatt raushauen könnte! Und das ist meiner Meinung nach heute auch ein Riesenproblen für uns Händler: Denn Geiz ist geil!
Zudem kommt, dass die meisten Menschen im Verhältnis zu den 70er und 80er Jahren viel weniger Kaufkraft haben!
So kostet z.B. Ein Lautsprecher der damals 3000 DM gekostet hat, heute 5000€. Das wären 10000 DM!
Verdienen Sie über dreimal soviel vor Damals? Wahrscheinlich nicht.
Das ist versteckte Inflation!
Beim Porsche sieht es nicht anders aus!
Oder z. B. im Baumarkt oder beim Fahrradhandel….
Nur bei Produkten, wie konventionellen Lebensmitteln z.B. merkt man da nicht so gravierend was, da diese Produkte durch Steuern subventioniert werden.
Und so sterben die Händler langsam aber sicher aus -erst auf den Messen und dann auch die Ladengeschäfte.
In Zukunft wird es meiner Meinung nach fast ausschließlich auf den Direktvertrieb hinauslaufen.
Das ist meiner Meinung nach einfach so die Entwicklung. Nicht zuletzt durch den online Handel.
Und den kann man auch nicht wirklich von Händlern(außer von so Multimillionären, die den normalen Händlern noch das Geschäft ruinieren) in dieser Branche verlangen, da es hier um hochpreisige Produkte geht, welche meist Lieferfristen haben, die von der Norm abweichen. Und das kann sich kaum ein Händler leisten, wenn da was schief geht, bekomme ich nicht mal eben so schnell z.B. ein Ersatzgerät. Und von jeden Teil eines auf Reserve? Das wäre schön, ist aber leider für uns Händler Utopie.
Bestellbutton: drei bis sechs Monate Lieferfrist? Wer soll da online was verkaufen, außer vielleicht etwas Zubehör?
Selbst die meisten Hersteller bauen,zumindest die hochpreisigen Sachen, erst auf Bestellung…
Also tritt der Kunde zurück und der Händler bleibt auf dem Kram sitzen.
Das kann dann nicht lange gut gehen.
Naja so kommt man von Hölzchen auf Stöckchen.
Das hört sich jetzt vielleicht alles ein bisschen frustriert an, soll aber einfach mal einen ganz ehrlichen Denkanstoß an die liebe Kundschaft und Außenstehende sein.
Dann braucht sich der eine oder andere auch nicht wundern, warum sich das alles so entwickelt…
Highphidele Grüße von einem Fachhändler der Branche!