Tim Cole, Czyslansky-Autor, Verfechter und Apologet der digitalen Transformtion wird nicht müde, selbige unablässig zu lobpreisen.
Und für das, was er meint, gebührt ihm meine Zustimmung. Sein Werk ist lesens- und diskutierenswert und zudem ein großer Erfolg. Unermüdlich verkündet Cole seinen Facebook-Freunden jubelpersisch und zyklisch, dass er es schon wieder auf der Amazon-Bestsellerliste in irgendeiner Rubrik wieder auf Platz 1 geschafft (man muss nur die Parameter ordentlich justieren, dann klappt das schon). Die Wandlung von der analogen zur digitalen Transformaton vornehmlich in Unternehmen ist sein big issue. Zu Recht.
Im Privaten aber gibt es Grenzen – zumindest für mich. Es gibt Bereiche der digitalen Transformation, zu denen ich nicht mitgehen werde. Ich weigere mich einfach. Als Beispiel nenne ich Kondolenz.
Tod, Sterben und den Verlust von Freunden in den sozialen Netzwerken zur Sprache zu bringen und zu verarbeiten, ist weder neu noch mir fremd. Gerade in den verangenen Wochen, als zwei Freunde starben, bin ich diesem Thema wieder oft begegnet.
Kondoliert habe ich trotzdem nicht – zumindest nicht digital. Das habe ich ganz analog gemacht.
Der erste der Beiden starb durch einen tragischen Verkehrsunfall kurz nach seinem 51. Geburtstag. Ich kannte ihn nicht persönlich. Er war das, was man einen Facebook-Freund nennt, ein Mensch, mit dem man ein Hobby teilt, sich in der dazu gehörigen Facebook-Gruppe begegnet, sich sympathisch findet, eine Freundschaftsanfrage verschickt bzw. bestätigt. Es folgten zahlreiche Kommentare, Messenger-Dialoge, gelegentliche e-Mails, Gastbeiträge von ihm in meinem und von mir in seinem Blog. Dann starb er – plötzlich.
Viele Menschen haben digital auf seinem Facebook-Profil den nächsten Angehörigen kondoliert, viele taten das in der Gruppe, in der sich die Todesnachricht natürlich sofort verbreitete.
Seine Frau bekam nichts davon mit. Sie hat keinen Facebook-Account und wurde erst nach der Beerdigung von einem Freund auf die digitale Kondolenz aufmerksam gemacht. Er zeigte ihr die vielen Posts, keinen davon hatte sie gesehen – und sie hätte sie wohl auch nie wahrgenommen, wenn sie ihr nicht von jemandem gezeigt worden wären.
Vor einer Woche starb ein weiterer Freund mit 58 Jahren. Auch hier vebreitete sich die Todesnachricht in Windeseile via Facebook. Erste Trauerbekundungen auf seinem Profil, viele bestürtzte Facebook-Einträge auf den Profilen seiner Freunde, mittlerweile viele offizielle Nachrufe von Verbänden, Vereinen und Organisationen, denen er nahe stand. All das hat seine Berechtigung.Trotzdem habe ich es mir nicht nehmen lassen, ganz und gar analog einen Brief an die Lebensgefährtin zu schreiben, statt auf ihrem Facebookprofil zu kondolieren. Denn ich stehe auf dem Standpunkt: Das, was ich ihr schreibe, ist zu persönlich für eine Facebook-Öffentlichkeit. Es ist für die Angehörigen bestimmt und sonst für niemanden.
Schreibe ich das gleiche auf ein Facebook-Profil weiß ich zum einen nicht, ob die Person, die es lesen soll, das überhaupt lesen wird. Zum anderen aber lesen es Viele anderer. Nicht, dass ich mich meiner Worte schämen müsste – aber sie sind zu privat dafür, und zu persönlich.
Dass ich für beide Toten in unterschiedlichen Blogs einen Nachruf formuliert habe, in dem ich auch Persönliches zum Ausdruck bringe, hat mit Kondolenz nun nichts zu tun.. Diese Texte sind von vorneherein für die Öffentlichkeit bestimmt und entsprechend auch formuliert.
Nachrufe und digitale Trauer sind eine Sache; persönliche Kondolenz eine andere – da bin ich ganz altmodisch.
Und Sie?
6 Antworten
ich habe es ebenso gehalten und finde es nicht altmodisch.
Ein persönlicher, handgeschriebener Kondolenzbrief war mir ein Bedürfnis!
Ich kann deinen Worten nur 100%ig zustimmen.
Völlig deiner Meinung. Dabei geht es aber um zwei unterschiedliche Dinge: den Unterschied zwischen „öffentlich“ und „privat“ einerseits und zwischen „digital“ und „analog“ andererseits. Der Brief ist ja nicht nur nicht-öffentlich, sondern in seiner langsamen Form des Schreibens und Zustellens dem Tod näher.
Ja, was Michael Kausch dazu gesagt hat, scheint mir sehr überzeugend zu sein. Darüber hinaus aber gibt es einfach sehr unterschiedliche Beziehungen und sehr unterschiedliche Situationen. Ich mache für mich keine Regel, ich entscheide von mal zu mal was ich mache. Und manchmal mache ich beides, weil eben manches öffentlich ist, anderes nicht.
… Als wäre nicht das, was wir als „Privatheit“ erachten, nicht längst massiven Auflösungstendenzen anheim gefallen, werte Herren. Und als würde nicht die digitale Transformation nicht ihr Übriges dazu leisten, vieles massiv auszuhöhlen: Postgeheimnis, Unverletztlichkeit der Wohnung, informationelle Selbstbestimmung, Bankengeheimnis…
Alles Dinge, die wir analog zu Recht verteidigen und darauf insitieren, dass das privat ist und niemanden was angeht.
Digital aber hängen die Hosen der Privatheit längst unterhalb der Kniekehlen. Aber das ist ein anderes Thema…
Ich habe mir schon 2008 unter der Headline „Darf man per E-Mail trauern?“ meine Gedanken zu dem Thema gemacht. Quintessenz: „Vielleicht gibt es doch Dinge, die nicht in eine Mail gehören.“