Virales Marketing ist zwar der letzte Schrei, aber im Grunde doch ein alter Hut. Es geht darum, Endverbraucher – vulgo: User – dazu zu bringen, Werbebotschaften eines Anbieters als eigene Empfehlung auszugeben oder, besser, selbstgebastelte Werbebotschaften zu produzieren. „User-generated content“ ist sozusagen die Königsdisziplin dieser noch jungen Branche. Dass dabei gelegentlich von Anbieterseite aus nachgeholfen wird, ist ein offenes Geheimnis. „Seeding“ nennt man das, wenn nämlich die Firma scheinbar von Usern generierte Inhalte so geschickt bei Bloggern oder auf YouTube platzieren, dass alle glauben, sie seien wirklich von Unbeteiligten gemacht, was natürlich die Glaubwürdigkeit immens erhöht.
Ich hatte gestern Abend Gelegenheit, mal hinter die Kulissen dieses noch ziemlich jungen und vor allen ziemlich undurchschaubaren Ablegers der Werbebranche zu blicken. Anlass war ein Vortrag von Dominik Kuhn, dem ungekrönten König des viralen Marketing. Sie kennen Kuhn vielleicht nicht, aber garantiert haben Sie schon einen Link auf seinen berühmtesten viralen Werbefilm, „Todesstern Stuttgart“, irgendwann einmal von einem Bekannten zugemailt bekommen. Es handelt sich um einen Clip aus „Star Wars“, wo ein Kriegsrat des Galaktischen Imperiums in eine fiktive Vorstandssitzung eines schwäbischen Unternehmens verwandelt wird.
Der Verdacht, Mercedes-Benz sei der heimliche Auftraggeber des Films, machte seinerzeit schnell die Runde, was der Reutlinger Kuhn jedoch gestern heftig bestritt. Ihm sei die Idee zum Film auf der Fahrt ins Büro gekommen, und er habe sie am Wochenende ganz alleine umgesetzt, wobei er die Texte auch noch selbst in breitem Schwäbisch einsprach und den Originalbildern von Lucas-Film unterlegte.
Das wäre erheblich glaubwürdiger, wenn Kuhn nicht selbst im Laufe seines Vortrags seinen Zuhörern den Rat gegeben hätte, im Zweifel einen Filmer anzuheuern, der so tun soll, als ob die Idee von ihm wäre. Aber das gehört nun mal zum Handwerkszeug des guten Viralmarketeers – einer Branche, die offensichtlich viel von Joseph Hellers „Catch 22“ abgekupfert hat. Kuhn hebt das Ganze allerdings auf eine ziemlich intellektuelle Ebene, indem er viel über kortikale und limbische Entscheidungsprozesse, über Neophites und Late Adopters oder über neuropsychologische Trigger erzählt. Um zu funktionieren, muss ein viraler Film seiner Meinung nach Betroffenheit auslösen, was am besten über Schock, Sex, Humor, Mystizismus oder Scham zu erreichen sei. Anders ausgedrückt: Wer nicht bereit sei, bis knapp an die Grenze des guten Geschmacks zu gehen, solle lieber die Finger von viralem Marketing lassen.
Am besten ist Kuhn aber, wenn er seinen Zuschauern praktische Beispiele nennt wie beispielsweise den legendären Clip des Toilettenreinigungs-Spezialisten CWS („Say no to dirt“), bei dem eine Kokserin hilflos zuschauen muss, wie ihr teure Prise Kokain von einem automatischen Klobrillenreinigungsapparat weggefegt wird (Trigger: Humor), oder scheinbar Tausende von Komparsen über eine neuseeländische Steppenlandschaft hetzen, um in der „Big Ad“ für Bier zu werben (Trigger: Mystizismus). Der größte Knaller (im Wortsinn) ist und bleibt aber der Spot für den VW Polo, den mehr oder weniger wohlmeinende Werber in England ins Web gestellt haben: Ein Selbstmordattentäter setzt sich mit Sprengstoffweste in einen VW Polo, fährt vor ein vollbesetztes Cafè und drückt auf den Knopf. Im Innern des Autos findet eine Verpuffung statt, aber das Auto selbst bleibt heil. „VW Polo – small but tough“ lautet der lakonische Abbinder. Da mögen sich die Markenschützer von VW noch so lautstark entrüsten und behaupten, sie hätten nichts damit zu tun – Schock ist eben doch der stärkste Aufmerksamkeitserreger von allen!
Dass in Wahrheit virales Marketing über weite Strecken nichts anderes ist als das gute, alte Product Placement, verschweigt er zwar nicht, spielt es aber herunter. Und ja, das neue Medium Internet gibt dem Ganzen eine neue Dimension – aber deshalb nicht gleich eine neue Qualität. Das tut allenfalls die Verschlossenheit, mit der sich die neue Branche gerne umgibt. Offenbar will keiner so recht mit der Sprache raus, wie gutes virales Marketing geht. Dazu ist das Herrschaftswissen in diesem Bereich noch zu kostbar. Es wird nicht ewig so bleiben.
3 Antworten
Als Virales Marketing noch lediglich von ein paar sehr kreativen, wenigen Leuten gemacht wurde, war es noch ganz amüsant, aber heute fühle ich mich als Opfer von 99% nicht funktionierender, halbherzig und dillettantisch gemachter Viral-Kampagnen, die wie eine Online-Darmgrippe durchs Internet ziehen.
Diese ach so lustigen Filmchen und Bilderserien mit denen dösige Mittelständler aus der Kleinstadtperipherie einen internationalen Durchbruch bei ihrer Provinzwerbebude bestellt haben.
„Machen wir halt eine virale Kampagne, weil wir kein Geld für richtige PR und richtiges Marketing haben“ Es ist so, als würde eine Islamisten-Terror-Gruppe aus dem Münchner Westend, bei einem pickligen Chemie/Bio Leistungskursler einen Biologischen Kampfstoff zusammenbrauen lassen.
Noch ein paar Jahre und wir alle sind immun, gegen diesen Schrott, der uns Authentizität vorgaukeln soll … hoffe ich.
worüber redet ihr denn da? entscheidend sind doch nicht die mehr oder wenigen lustigen und mehr oder wenig professionel gemachten filmchen, sondern die strategie hinter diesen filmen. wirklich professionelles virales marketing baut doch diese filme in eine integrierte kampagne ein, die aus wesentlich mehr als „product placement“ besteht.
nehmen wir cws als beispiel – weil tim deren video „say no to dirt“ oben erwähnt hat und weils mein kunde ist und ich deshalb ein wenig mehr dazu sagen kann: neben dem kleinen video gibt es online-kreativwettbewerbe – derzeit startet zum beispiel gerade unser design-wettbewerb für die handtuchspender der cws:
http://create.media-hts.de/select_language.php;
es gibt aber auch eine freche neue von jung von matt gestaltete plakatkampagne, aktionen zum welttoilettentag und vieles mehr. online erhält im marketing-mix lediglich den stellenwert, der ihm angemessen ist. mit der kompletten kampagne waren wir mit cws in diesem jahr übrigens finalist und preisträger beim renommierten „deutschen preis für wirtschaftskommunikation“: http://www.dpwk.info/.
gut gemachte virale kampagnen kommen nicht aus „provinzwerbebuden“ und sind in aller regel auch intelligenter als reines „product placement“. hier findet ihr ein weiteres beispiel einer recht erfolgreichen viralen kampagne, die vibrio gemeinsam mit publicis in der schweiz für den schokoladenhersteller frey realisieren durfte: http://www.vibrio.de/referenzen/Referenz_Einhorn_final.pdf
das sind intelligente konzepte für moderne marken: impactstark, integriert in langfristige strategien. und spass machen sie auch noch. und glücklicherweise nicht nur ihren „machern“.
Ich glaube, mein Einhorn pfeift!