Wie sich die Bücher gleichen…
„Deutschland schafft an, müste der Titel von Thilo Sarrazins neuem Buch eigentlich lauten. Das Ding geht jedenfalls schneller weg als warme Semmeln. Wie eine dpa-Umfrage ergab, war das Buch bereits am Freitag bei vielen Buchhändlern vergriffen. DVA erklärte, das bereits 70.000 Bücher ausgeliefert wurden und am Montag bereits die vierte Auflage mit weiteren 80.000 Exemplaren folgen soll. Auch die fünfte und sechste Tranche sei schon in Auftrag gegeben, so eine Sprecherin der Deutschen Verlags-Anstalt in München. Die Gesamtauflage werde bei 250 000 Exemplaren liegen, denn das Buch sei ein grosser Verkaufsschlager.
Auf der Bestsellerliste von Amazon ist das Buch längst auf dem ersten Platz zu finden, gefolgt von dem Werk „Das Ende der Geduld“ von der verstorbenen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig. Auch in meinem eigenen Online-Buchladen, wo das Werk von Sarrazin neben Schirrmachers Pestseller unter der Rubrik „schlechte Bücher – die man aber trotzdem gelesen haben muss, um mitreden zu können“ feilgehalten wird, liegt der Noch-Bundesbanker deutlich vorn: 2 Besucher meiner Website haben dort in dieser Woche den roten Einband bestellt, nur einer griff zu grün. Im Übrigen entschuldige ich mich jetzt schon, wenn es noch ein bißchen dauert: Laut dpa liegt die Wartezeit für die Auslieferung bei bis zu drei Wochen.
Beim Aufruf meines „AStore“ fiel mir übrigens auf, dass der Cover von Sarrazins Buch, obwohl es aus einem ganz anderen Verlag stammt, bis auf die Hintergrundfarbe dem von Schirrmachers „Payback“ gleicht: Oben in Blockbuchstaben der Name des Verfassers, darunter in Schwarz der Titel. Einfach, plakativ, aufmerksamkeitstark. Erinnert mich ein bisschen an ein Fahndungsplakat oder an einen politischen Aufruf (zum Beispiel: „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“). Es spricht eine gewisse totalitäre Einfachheit aus dem Design. Und die macht mich frösteln.
Ob beide Häuser beim gleichen Freelance-Grafiker haben arbeiten lassen? Oder sehen Bestseller inzwischen einfach so aus? Verleger: aufgepaßt!
Bekanntlich ähneln sich die beiden Bücher auch inhaltlich sehr. Beide Autoren arbeiten mit plumper Angstmache, beide zeichnen recht simple Feindbilder und sagen dem geneigten Leser, wer schuld ist: Computer und die Schreiber von gehirnaufweichenden „Algorithmen“ der eine, der Islam und seine dummen Migranten der andere. Das ist also das Strickmuster, mit dem man in Deutschland große Auflagen schafft. Und ja, die richtige Titelgestaltung hilft offenbar auch.
Haben Sie denn Sarrazins Buch schon gelesen? Dann wüssten Sie, dass nur ein klitzekleiner Bruchteil überhaupt vom Islam handelt. Dann wüssten Sie auch, dass Sarrazin eine völlig andere, eine ernsthaftere Art und Weise der Argumentation eigen ist als dem schwadronierenden Schirrmacher (der Sarrazin im Übrigen unfair angegangen ist).
Und was, bitteschön, soll denn eine „gewisse totalitäre Einfachheit“ des Designs sein?
@daniel
1. Ja, ich habe ihn schon gelesen. Er hat mir nicht imponiert.
2. Um zu verstehen, was ich mit der Begriffsschöpfuing gemeint habe, wäre es vielleicht am einfachsten, du holst mal wieder den alten Orwell aus dem Bücherregal und lässt den ersten Teil von „1984“ auf dich einwirken. Ich meine nicht, eine Literaturkritik erstellen, sondern die Beschreibung Ozeaniens auf dich einwirken lassen. Was ist das für eine Welt, die sich auf Parolen wie „Der große Bruder sieht dich an!“ oder „Deutschland schafft sich ab“ reduzieren lässt?
Vielleicht spürst du dann, wie ich, ein leises Frösteln bei der ganzen aktuellen Debatte über „digitale Überforderung“ oder „wachsender Unterschicht“. Wenn jemand glaubt, so einfache Antworten gefunden zu haben, und viele Leute finden, da sei „was dran“, dann bekomme ich es mit der Angst zu tun.
Aber darum ging es mir ja gar nicht. Ich wollte eigentlich nur einen gestalterischen Trend beschreiben. Wenn Autoren sich auf das Ausstanzen von Vorurteilen verlegen, folgen ihnen Grafiker offenbar mit ebenso simplen, aber einprägsamen Titeldesigns. Und das Furchtbare ist: es funktioniert!
Danke für die Replik. Dass die einfachen Parolen zum Frösteln sind, darin sind wir uns völlig einig. Aber: Als Buchautor weisst Du doch sicher auch, dass man auf dem Cover seine Botschaft vereinfachen muss. Die 450 Seiten, die Sarrazin geschrieben hat, sind, wie ich finde, von den Medien und von den Politikern versimpelt und verzerrt dargestellt worden. Sarrazin ist ungleich seriöser als Schirrmacher.
Er war aber wegen seiner zugespitzen Äußerungen für alle politisch Korrekten schon vor diesem Buch ein rotes Tuch – deshalb haben sie reflexartig auf ihn eingedroschen, ohne das Buch gelesen zu haben.
Ich finde auch Eva Herrmann sollte sich mit ihrer Umschlaggestaltung dazu gesellen. In der grossen Reihe: „Bücher von Menschen, die es eigentlich nicht wert sind, dass man sich über sie aufregt, aber denen die Medienhysterie und der Buchshop von Tim Cole zu Reichtum verhilft“
oder ist das zu lang, für das Layout?
der erste wirklich relevante beitrag zu sarrazin ist heute in der süddeutschen zeitung zu finden. leon de winter deckt auf: entscheidend ist nicht das gen, sondern der hering! unbedingt lesen: http://bit.ly/8ZEQ9X.
@michael: Der Fisch stinkt vom Kopf her! (Hier sollte jetzt eine ungeheuer geistreiche Parallele zur Mediengesellschaft gezogen werden, aber mir ist nichts eingefallen, was man in einem Blog schreiben kann, der auch von Kindern gelesen wird.)