Seit Tagen diskutieren alle über das Betreuungsgeld, die Herdprämie, Hartz V für Wohlhabende, wie man es nennen will. Sehr glaubwürdig sind die Positionen nicht gerade – man gewinnt eher das Gefühl, daß hier eine Art choreographiertes Turnier stattfindet. Besonders auffällig die direkte Gegenseite: Kein Betreuungsgeld für Leute, die ihre Kinder in der Familie erziehen, vielmehr lieber gleich ein Verbot dieser antiquierten Erziehungsform. Im Gegensatz zu den Kindergartenbetreuern können Eltern ihre Erziehungsbefähigung schließlich nicht nachweisen.
Folgerichtig fordert Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen, vermutlich befeuert vom Wahlkampfgetöse, daß die Gesellschaft die Kinder möglichst früh in die Finger kriegen soll, zwecks gleichförmiger „optimaler“ Erziehung und sicherheitshalber. Um auch ja nicht missverstanden zu werden, weist sie darauf hin, daß NRW etwas über zwei Prozent seines Jahreshaushalts für die Inobhutnahme von Kindern ausgibt. Das ganze stand am Wochenende in der F.A.S., online ist es etwas milder und stark gekürzt.
Hannelore Kraft: Alle Kinder müssen in die Kita
[…] Kraft sagte der F.A.S., die SPD sei sich mit der CDU bisher darin einig gewesen, dass Bildung in der Kita beginnen müsse. „Dann müssen wir auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind.“ Es sei „vollkommen unsinnig“, eine „Prämie“ dafür zu zahlen, dass Kinder öffentliche Betreuung der Kita fernblieben. „Es würde auch keiner auf die Idee kommen, jemandem einen Bonus zu zahlen, der nicht ins Museum geht.“ Überdies würde sich jeder Kitaplatz volkswirtschaftlich lohnen, weil Mütter dann erwerbstätig sein und Steuern und Sozialleistungen zahlen könnten, anstatt Transferleistungen zu beziehen.
Das ist klar eine sozialdemokratische Position, die nur deshalb ihre Vertreter nicht einfach nur katastrophal wirken läßt, weil sie alt ist – man hat sich daran gewöhnt. Gleichschaltung ist nicht nur das Mittel der Wahl in Gesellschaften, die wir für überwunden hielten. Wie wir sehen, kommen da auch Leute drauf, die sich für Demokraten halten. Und damit es nicht völlig wahnsinnig klingt, noch schnell den Sozialneid anheizen: Mütter, die ihre Kinder zuhause erziehen und jetzt schon frech auf Kosten des verschuldeten NRW-Staats leben, sollen schnell arbeiten gehen und endlich wieder Steuern zahlen. Natürlich hoffentlich in Lohnsteuerklasse V. Vermutlich hat Frau Kraft für alle Frauen auch die entsprechenden Arbeitsplätze parat. Da es ja widersinnig wäre, sie als Betreuerinnen in den Kindergärten, Verzeihung: „Kitas“, anzustellen, denn dafür sind sie ja nicht qualifiziert, sollten sie möglichst bald helfen, via Frauenquote die Aufsichtsräte und Vorstände im Land zu besetzen. Und für weniger Befähigte bleibt ja noch Arbeit auf dem Bau, schließlich müssen die Kindergärten erst gebaut werden.
Das war die rote Position. Damit die Grünen nicht aus Versehen Wähler an die Roten verlieren, legt Cem Özdemir im selben Zusammenhang nach:
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, befürwortete es gegenüber der F.A.S., eine allgemeine „Kitapflicht sachlich zu diskutieren“. Die Herausforderungen an Erziehung seien heutzutage anders als vor vierzig Jahren. Allerdings sei für eine Diskussion über die Kitapflicht noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Zunächst müssten Kitaplätze geschaffen werden, zumal da sich bei einer Verpflichtung die Frage der Finanzierung stellen würde. „Eine durchgehend kostenfreie Kita ohne soziale Staffelung der Kosten fände ich falsch“, sagte Özdemir. Das Betreuungsgeld dagegen gleiche einer Prämie für Abiturienten, die nicht auf die Uni gehen.
Sachlich diskutieren? Würde ich gerne, aber es fällt schwer. Welchen Herausforderungen mußten sich meine Eltern damals nicht stellen, vor vierzig Jahren? Aber dann kommt ohnehin die Erkenntnis. Der verpflichtende Kindergartenbesuch scheitert bereits daran, daß es keine Plätze gibt. Abseits von jeder ideologischen Diskussion. Und gleichzeitig so entlarvend. Wenn eine rot-grüne Regierung so überzeugt ist von der Wichtigkeit, Kindern sehr früh Bildungsangebote zu machen, dann hätte sie es einfach tun sollen. Hat sie aber nicht. Und jetzt diese Geisterdebatte.
Und was ist das erste, was Herrn Özdemir einfällt, wenn es um Pflichtkindergärten geht? Richtig, das Geld, und daß er es wieder bei denen holen will, die ohnehin bereits die meisten Steuern zahlen. Und die, pikanterweise, am meisten gegen so eine Pflicht wären, zumindest solange sie Kinder oder Enkel im entsprechenden Alter haben.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Meine Kinder waren mit allen Nachbarskindern in einem Kindergarten. Es hat ihnen dort gefallen und sie haben auch ein bisschen was gelernt, was wir zuhause nicht mit ihnen geübt hätten. Ich glaube, den meisten Kindern nützt ein Kindergarten. Aber den meisten Kindern nützt es auch, Joghurt zu essen, und dennoch läßt sich der Staat weder die abgeleckten Joghurtdeckel vorlegen, noch kostet Joghurt für Besserverdienende mehr. Wenigstens gibt es Joghurt zu kaufen und jeder kann es sich leisten. Das unterscheidet Joghurt von Kindergärten.
Und so lüftet sich das Geheimnis um das Betreuungsgeld. Es ist doch so: Wir finanzieren alle die Kindergärten, direkt oder indirekt, mit Steuermitteln und sonstigen öffentlichen Geldern. Nur bei der Verteilung hapert es – wir sind ja nicht mal in der Lage, jedem Kind auch nur ein Jahr im Kindergarten zu garantieren. Dann geben wir eben wenigstens denen ihr Geld wieder, die für etwas bezahlt haben, was sie dringend gebraucht hätten, es aber eben nicht bekommen konnten. Der Name Betreuungsgeld ist vielleicht etwas irreführend. Nennen wir es Entschädigung.
Bildquelle: Amazon, da kann man die Platte kaufen.
Ich finde es nur gerecht, dass die Kinder der Väter, die Pflichtmitglied in IHK oder HWK sind auch Zwangsmitglied in der KITA werden. Wieso sollte es meinen Kindern besser gehen als mir?
Mal im Ernst – Wissen diese Verstaatlicher und Entmündiger überhaupt noch was sie da sagen und tun?
Nun tut mal nicht so, als ob eine „Kita-Pflicht“ das Ende der Demokratie und die Zwangskasernierung unserer Kinder bedeuten würde. Gegen die allgemeine Schulpflicht polemisiert Ihr doch auch nicht mit dem Hinweis auf Joghurtdeckel. Und natürlich kann man grundsätzlich über verpflichtende gemeinsame Bildung für z.B. Fünfjährige ebenso reden, wie für Sechs- oder Siebenjährige, ohne damit die Demokratie in Frage zu stellen. Aber das steht heute nicht an und der Hinweis auf die fehlenden Kita-Plätze macht das schnell auch dem Letzten klar.
Übrigens hat Hannelore Kraft schon am Montag klar gestellt, dass sie NICHT die Einführung einer Pflicht-Kita fordert. Sie wendet sich aber zu Recht gegen ein Diskussionsverbot über die Grenzen von privater und gesellschaftlicher Bildungsverantwortung. Diese Debatte wird derzeit von denjenigen geschürt, die eine Reprivatisierung von Bildung fordern.
SvB – du suggerierst, dass die „besseren“ Steuerzahler am ehesten auf Kitas verzichten würden. Das ist doch Unfug. Gerade die Kinder aus bildungsfernen Schichten bleiben auch den Kindergärten überproportional häufig fern. Die bildungsbewußten Eltern schicken ihre Kinder viel eher in die Kitas. Einzig auf dem Land gibt es hier gegenläufige Tendenzen.
Also macht mal halblang: auch die Kraft weiß, dass Pflicht-Kitas heute wirklich nicht auf der Tagesordnung stehen; und sollten wir eines fernen Tages überhaupt mal ausreichend Kitas haben, dann müssen wir über Chancengerechtigkeit UND Elternrechte diskutieren ohne uns gegenseitig einer Joghurtdeckeldiktatur zu bezichtigen.
Mich erinnert diese Debatte ein wenig an ein altes Staeck-Plakat mit neuem Text: „Arbeiter, die SPD will Euch Eure Kinder wegnehmen!“
Wer – so polemisierte unter Beifall des gesamten Gemeinderats noch vor einigen Jahren der Bürgermeister der Nachbargemeinde Wörth, ein strammer und gottesfürchtiger CSUler – seine Kinder schon mit zwei Jahren in Krippen gibt, der solle sich überlegen, ob er überhaupt die richtige Einstellung zur Familie habe und besser auf das Kinderkriegen verzichten. Damit war zumindest in der Gemeinde das Thema vom Tisch, Betreuungsplätze, wie es der Gesetzgeber vorgeschrieben hat, überhaupt erst einzurichten. Es hätte sich sowieso dort niemand mehr getraut, sie in Anspruch zu nehmen.
Soweit das Bild auf dem Lande…
Generell scheint (ungeprüft) die Überlegung von Michael Kausch aber die Richtige zu sein, dass KiTa-Plätze eher von den gehobeneren Bildungs- und Einkommensschichten in Anspruch genommen werden, was man schon an den vielen Zweit-SuVs, die morgens kreuz und quer vor den Einrichtungen stehen, sehen kann.
Im Ernst: Nicht umsonst wird in der Debatte um die Herdprämie gerade das Argument angeführt, dass bildungsferne und sozial eher unterdurchschnittliche Schichten möglicherweise lieber das Geld einsäckeln und die Kinder daheim lassen, wobei es gerade diesen Kindern gut täte. Dabei geht es weniger um „Bildung „ als um das Ausprägen eines Grundmaßes an Sozialkompetenz und sozial-verträglichen Umgangsformen und – leider Gottes auch allzu wahr – um die Sicherstellung von wenigstens einer oder zwei regelmäßigen und halbwegs gesunden Mahlzeiten am Tag. Das – so weiß ich aus erster Hand und auch aus NRW – ist nämlich auch keineswegs mehr selbstverständlich. Nicht nur in NRW übrigens.
Es ist mitnichten nur ein Klischee, dass für viele Kinder bestimmter Schichten das Einschalten des Fernsehens, eine Tüte Chips und eine Flasche Eistee von der Tankstelle alles sind, was elterliche Betreuung darstellt. Was mittlerweile an Defiziten der elterlichen Betreuung in Kindertagesstätten aufgeholt werden muss, können wir uns – zumindest in der wohlgenährten Mittelschicht und oberhalb davon – nicht wirklich vorstellen. Möchten wir vielleicht auch gar nicht.
Michael, Du bist halt immer noch mein Lieblingsaltstalinist. Auch bei Deinem Diskussionsstil, wobei ich durchaus nicht sagen will, dass alle meine Argumente fair und unpolemisch wären. Ich schätze es allerdings nicht, daß Du mir irgendeine unsinnige Aussage unterstellst, um dann triumphierend „Unfug“ sagen zu können.
Ich habe nie behauptet, daß die Bessergestellten ihre Kinder nicht in Kindergärten geben oder gar, daß sie gegen Kindergärten generell wären. Genaugenommen habe ich das glatte Gegenteil geschrieben, sogar unter der Überschrift „Um einem Missverständnis vorzubeugen“.
Ich habe aber geschrieben, daß sie dagegen sind, daraus eine Verpflichtung zu machen.
Nun gut, die Schulpflicht hast Du angeführt. Als ich ein Kind war, gab es bei uns in München irgendwie nur gute Schulen, alle ordentlich ausgestattet, und alle Klassen ideal durchmischt. Chancengleichheit.
Ist das heute noch so? Ich höre von betroffenen Eltern, daß es in Berlin, Hamburg oder NRW außerordentlich von Deinem Wohnort abhängt, ob Deine Kinder eine Chance bekommen. Wenn das so ist, lehne ich auch die Schulpflicht ab und unterrichte meine Kinder lieber zusammen mit ein paar Nachbarskindern und einem Privatlehrer.
Ganz generell gilt doch: Eine Verpflichtung hat nur Sinn, wenn es mehrere Wege gibt, diese Pflicht zu erfüllen. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, daß diese Eltern, wie Lutz sie schildert, durch vier Stunden Kindergarten entschärft werden.
Aber was reden wir! Mir ging es doch darum, dass es sich um ein blödes Ablenkungsmanöver handelt. Hamburg denkt darüber nach, die Schulden der Arme-Schlucker-Länder dem Bund aufzuhalsen und aus dem verlängerte Soli zu finanzieren, Berlin fällt nichts anderes ein als darauf zu pochen, dass sie diese Idee in Berlin zuerst gehabt hätten, und NRW wettert polemischerweise gegen die Ossi-Underdogs, die schuld seien, dass nicht genug Geld für Kindergärten da ist.
Und dann reden sie von einer Kindergartenverpflichtung? Am besten bundesweit, dann muss es auch der Bund bezahlen, auf einmal.
Es ist ein Ablenkungsmanöver. Daran ändert auch das Zurückgerudere der Frau Kraft am nächsten Tag nichts mehr. Das war Kalkül. Sonst nichts.
Auch ich denke, dass Kinder aus Benehmensfernen Schichten eine bessere Kinderstube in der Kita finden, als im „im Joggers vor RTL2“ Elternhaus, doch warum zum Teufel muss da immer mit der Zwang und Pflicht Keule geschlagen werden? Was ist mit Anreiz, Angebot und Aufklärung?