Was ist eigentlich aus Sebastian Edathy geworden? Zur Erinnerung, übereinstimmend waren annähernd alle Menschen der Meinung, er gehöre zu der Sorte Menschen, mit denen ein anständiger Mensch nichts zu tun hat. Ebenso war gesichert, daß ihm bis jetzt nicht nachgewiesen werden konnte, etwas gemacht zu haben, was verboten ist. Oder, hier wird nun fein unterschieden, nichts strafrechtlich relevantes. Jedenfalls schlugen über ihm die Wogen der Empörung zusammen, schließlich war es ja irgendwas mit Kindern, das er angestellt hatte, und ganz feinsinnig hatte das BKA ja noch bemerkt, daß angeblich bislang noch jeder, der solche erlaubten Bilder besessen habe, auch illegale hatte. Wenn man lange genug suchte. Nicht, dass man bei ihm etwas gefunden hätte, aber, wie gesagt, das heißt so vie wie „noch nicht“, weswegen seine Partei schon mal höchst vorsorglich ein Parteiausschlußverfahren in Erwägung zieht.
Dem jetzigen Justizminister Heiko Maas dauert das zu lange. Kein Wunder, gehört er doch derselben Partei an und will auf jeden Fall verhindern, daß man am Ende ihn für irgendwas gar verantwortlich machen könnte. Daher muß nun dafür gesorgt werden, dass das, was Edathy nachweislich getan hat, auch schon verboten wird. Das trifft dann zwar rückwirkend auf Edathy nicht mehr zu, ist aber wunderbar geeignet zu erklären, wieso hier die Unschuldsvermutung gar so sehr außer Acht gelassen werden durfte.
Im Schnellschuß klang das Gesetz ultimativ protektiv für Kinder: Es dürfen überhaupt keine Bilder mehr von nackten Kindern zugänglich gemacht oder auch nur aufgenommen werden, der Begriff „Kinderpornographie“ soll so weit gefaßt werden, daß er alles umfaßt, was ein normaler Mensch ohnehin nicht anschauen würde. Dieser etwas kindlich naive Ansatz löste dann erstaunlicherweise Brauenrunzeln aus, so daß unser Justizminister noch nachlegte, die eigenen Kinder am Strand dürfe man weiterhin nackt photographieren.
Na bravo. Ich habe, wenn ich so was höre, ein mulmiges Gefühl. Das ist keine Rechtspflege mehr, das ist Aktionismus, um die Massen ruhigzustellen. Selbstverständlich müssen unsere Kinder geschützt werden, aber vor wem? Vor was genau? Während der ganzen Diskussion um diese Affaire fielen mir ein paar Fragen ein:
- Die SZ hatte als Titelbild einen kleinen Buben, verkleidet als Papst, wie er vom echten Papst hochgehalten wird. Der Bub könnte sein Leben lang stolz auf dieses Bild sein, nur leider plärrt er, was das Zeug hält. Er will nicht vom Papst gehalten werden und er will sicher nicht, daß ich mir dieses Bild ansehe, vor allem später. Wer hat der Zeitung die Erlaubnis gegeben? Die Eltern? Die das Kindeswohl im Auge hatten? Vielleicht wäre es dem Buben lieber gewesen, er wäre nackt und fröhlich auf dem Bild.
- Wer glaubt, das sei ein Einzelfall, schaut sich mal bei YouTube und Facebook um. Was Eltern da von ihren Kindern ins Netz stellen dürfte den armen Kindern eines Tages sehr peinlich sein. Was kein Plädoyer dafür sein soll, auch hier das Strafrecht zu erweitern.
- Danke, Herr Maas, daß ich in Zukunft meine Kinder nackt photographieren darf. Aber wissen Sie was? Danke nein. Ich habe sicherheitshalber nachgesehen, selbst bei Badewannenbildern, die es von vermutlich allen europäischen Kindern gibt, sind sie angezogen, und wenn es mit Schaum ist.
- Wie stehen Sie, Herr Maas, in Zukunft zu der Frage, ob Briefmarkensammler in Zukunft straffrei ausgehen sollen? Ich denke da an dieses Bild:
Wie gerne gäbe ich dem recht, der nun sagt, das alles hier sei eine polemische Übertreibung. Lassen wir uns mal von diesem neuen Gesetz überraschen. Dass es irgendetwas an der Situation von Kindern ändert, denen Böses angetan wird, bezweifle ich stark. Es erinnert mich vielmehr an die Aktion eines Pfarrers in Italien in den 70ern des letzten Jahrhunderts, der sich weltweit Gespött aussetzte, weil er den Putti in seiner Kirche himmelblaue Höslein häkelte, da er die nackigen Engelchen anstößig fand.
Wie, Engel sind keine Kinder? Falsch, selbst 20-jährige, die sich als „Kinder“ verkleiden, fallen unter „Kinderpornographie“. Oder, noch besser, gemalte Pornos, beispielsweise Hentai aus Japan, wo die Protagonisten alle aussehen wie Kinder, sind verboten. Natürlich habe ich sicherheitshalber ein erlaubtes Bild aus dem Internet gesucht (Quelle: Wiki commons, Autor: Niabot).
Das alles heißt nichts anderes, als daß in Deutschland auch gemalte Bilder von nackten Kindern verbote sind. Das ist pikant, denn die Bilder von Ernst Ludwig Kirchner dürfen gezeigt werden, auch wenn Experten der Meinung sind, es ginge darauf um Pädophilie. Konsequenterweise müßte man die Bilder vernichten.
Der Hintergrund: In Deutschland herrscht die Meinung, daß man bereits durch das Betrachten von Bildern sexuell umgeprägt werden könne. Frau von der Leyen, damals Familienministerin, nannte das geschmackvollerweise „angefixt“. Daher ist es logisch, daß Pornobilder von verkleideten erwachsenen Prostituierten genauso verboten sind wie Hentais.
Das Erschreckende: Mit der Aufweichung des Begriffes „Kinderpornographie“ verschwimmen die wirklich strafwürdigen Taten und die echten Täter sind immer schwerer zu identifizieren.
8 Antworten
Hilfe, ich muss jetzt gleich den Hoeneß machen und mich selbst anzeigen: ich habe nämlich die CD Nevermind von Nirvana! Aber blöde Kalauer einmal beiseite.
Es gibt definitiv einen Unterschied zwischen Kunst und Pornographie, das muss man nicht neu definieren, das wurde schon vielfach getan. Man kann es auch einfach auf „Kinderkunst“ und „Kinderpornographie“ anwenden.
Definition des Begriffes „Pornografie“ durch den Bundesgerichtshof (BGH):
„Als pornografisch ist eine Darstellung anzusehen, wenn sie unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse des Betrachtes an sexuellen Dingen abzielt“.
Und hier die von Alice Schwarzer:
Pornographie ist eine: „verharmlosende oder verherrlichende, deutlich erniedrigende sexuelle Darstellung von Frauen oder Mädchen in Bildern und/oder Worten“
Suche/Ersetze „Frauen oder Mädchen“/“Kinder“
Für die Kunst gilt selbstverständlich: SIE IST FREI!
Und wieder einmal verstellt die von verklemmten Kleinbürgern geführte Debatte voll am eigentlichen Thema vorbei, nämlich dass es bei Bildern von (echter!) Kinderpornografie nicht um die Bilder, sondern um die Kinder geht. Nach wie vor werden tagtäglich Kinder von skrupellosen Schutzbefohlenen an (echte) Päderasten verkauft. Die Bilder im Internet – früher bekam man sie hinterm Hauptbahnhof von schmierigen Typen in langen Mänteln – sind Werbung für Frischfleisch. Man kommt sich in Online-Foren langsam näher, tauscht ein paar Fotos aus und verabredet sich dann im privaten Chatroom, wo das Geschäftliche dann besprochen wird: Preis, Übergabemodalitäten, wann soll ich das Blag wieder abholen, und so. Ich kenne Polizisten, die als Online-Fahnder gottfroh sind, dass es das Internet gibt, weil sie dort wesentlich einfacher an die Tatbeteiligten rankommen. Das ist ein Knochenjob, nämlich sich tage- und wochenlang einschmeicheln, bis man als prospektiver Kunde akzeptiert wird und man dann am Samstagmorgen bei der Kindsübergabe die Handschellen zuschnappen lassen kann. Kinderporno-Foren sind für sie ihr vielleicht wichtigstes Fahnungswerkzeug, weshalb die Idee von Uschi von der Leyen, sie zu sperren, ja auch so krankhaft war, denn es hätte für die Kinder bedeutet, dass sie zwar weiter sexuell misbraucht würden, aber wenigstens sieht’s dann keiner. Wir sollten uns, wenn schon, dann über das miese Geschäft mit minderjährigen Sexsklaven aufregen und dafür sorgen, dass etwas getan wird. Statt dessen führen wir diese widerliche Pseudodebatte über Bilder von nackten Babys.
Das Erfreuliche: Die Fallzahlen gehen bei uns zurück. Seit Jahren, kontinuierlich. Wenn diese ganze Scheinheiligkeit zu etwas gut war, dann zumindest, daß das Bewusstsein in der Öffentlichkeit geschärft ist und Fälle schneller entdeckt werden. Deinen Worten entnehme ich, daß Du meiner Meinung bist 🙂
Nur bleibt die Frage: Was ist nun mit Herrn Edathy? Wird die Strafbarkeitsgrenze verschoben, verschiebt sich meiner Befürchtung nach möglicherweise auch die Hemmschwelle. Er hat also bis jetzt nichts Illegales getan (im Gegensatz zu diesem BKA-Beamten, der im selben Laden eingekauft hat wie er). Dafür ist er aber medial ordentlich hingerichtet worden. Nicht, daß ich seinen Geschmack irgendwie teilen könnte, aber mein Rechtsempfinden ist alarmiert.
Von wegen Unschuldsvermutung: Wildgewordene Staatsanwälte dürfen Menschen ohne Anklage öffentlich hinrichten. Sie müssen auch keine Folgen befürchten. Wenn es nach mir ginge, gäbe es ein Strafsrechtsdelikt „vorsätzlicher Rufmord durch Justizhilfsorgane“, auf den stünde Robenentzug, mehrjährige Haftstrafe mit Unterbringung im Päderastenflügel sowie anschließend Hausverbot für alle Gerichtsgebäude.
Lieber Tim, Du hast natürlich recht. Nur in diesem Fall wäre ich vorsichtig mit Vorwürfen gegen Staatsanwälte. Ich denke da eher an Leute, die gesagt haben, egal, ob es nun strafbar sei oder nicht, wurst, was am Ende rauskäme, dieser Edathy habe in der SPD nichts verloren. Das war nicht irgendein Kasperl, das war der Parteivorsitzende! Üblicherweise gehen die Vorwürfe an die Medien, ohne die niemand mitbekommen würde, was die „wildgewordenen Staatsanwälte“ veröffentlichen, aber das trifft es ja auch nicht.
Ich hab mir vorgenommen, mich nur noch moderat aufzuregen und nichts mehr zu glauben, was ich nicht in meinem eigenen Blog gelesen habe 🙂 Beispiel: Hoeness. Mal hat er 800 Millionen Euro und ist ein zynischer Steuerhinterzieher, mal ist er ein gnadenloser Zocker, mal die Unschuld vom Land und heute ist er auf einmal eine arme Sau, der nach Bezahlung von Steuern und Strafe nichts mehr haben wird, so heute die Süddeutsche. Mal rechnet irgendein Oberjurist öffentlich vor, daß Hoeness sich auf 16 Jahre einstellen kann, dann sind auf einmal dreieinhalb Jahre eine harte Strafe und dann legen die Anwälte Revision ein und wieder hört man, es bestehe Aussicht, dass die Strafe erheblich reduziert werde. Die Staatsanwälte sind hier nicht die Bösen – und bei welcher Meldung genau hätte Czyslansky sich eingemischt? Eben. Der große Czyslansky hätte gesagt: „Hoeness, Hoeness, ist das dieser Fußballspieler?“. Und dann hätte er zehn Minuten geschwiegen. Und dann hätte er gefragt, wo man heute plane, das Souper einzunehmen. Schließlich war er es, der zu Wittgenstein sagte: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen“. Das hat jenen dann doch stark inspiriert – und mich gleich mit.
„Wildgewordene Staatsanwälte dürfen Menschen ohne Anklage öffentlich hinrichten. Sie müssen auch keine Folgen befürchten…“
Sind es nicht eher wildgewordene Medien, die sich einen Scheißdreck um die Unschuldvermutung kümmern und schon mal aburteilen noch bevor überhaupt ein Verfahren eröffent wird?
Sind es nicht eher wildgewordene Normalbürger, die – angestachelt durch die Medien – sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden sozialen Meidenkanäle nutzen, um eine Gehässigkeit zu entwickeln, die beispiellos ist? Ist der „Engel erst mal gefallen“ (Guttenberg, Wulff, Hoeness…) und liegt am Boden, dann wird erst recht getreten. In Form von digitalen nicht selten anonymen Meinungsäußerungen, die völlig unter der Gürtellinie sind.
Beide schaffen sich gegenseitig befruchtend ein Klima und Umgangsformen, die widerlich sind: Es tritt auf der spießige, stets neidische, frustrierte Kleinbürger, der lange nach oben buckelt und anhimmelt. Aber wenn einer der Großen mal abschmiert und (zu Recht oder auch nicht) auf der Nase landet, ergießen sich Neid, Gehässigkeit, Häme und vor allem diese „Rachsucht“, die zudem noch als Gerechtigkeit empfunden wird.
„Jetzt zeigen wir’s Euch mal so richtig“…
Seine Bühne sind Facebook und Co und die Kommentarfunktionen der Medienseiten im Netz. Dort tritt er den Großkopferten mal so richtig ans Schienbein. Aber erst, wenn selbiger, der vorher noch umjubelt wurde, seinen Glanz verloren hat.
Hosianna… Kreuzigt ihn!
Woher bekommt der Journalist seine Informationen? Ich habe selbst lange Jahre als Lokalreporter gearbeitet. Man ruft den Staatsanwalt an. Der plaudert gerne und lange, natürlich „off the record“ und nur unter der Zusage, dass sein Name nicht genannt wird. Nein, es ist das meist ganz einfach spießbürgerliche Bedürfniss dieser Beamtentypen, auch mal gerne im Mittelpunkt stehen zu wollen. Ihr Job ist ja sonst langweilig genug, aber einmal im Leben, wenn ich brav bin und immer meine Suppe aufesse, dann wird mir die Göttin Justizia auch so einen Fall Hoeneß oder Kachelmann schenken, und dann rufen alle bei mir an. Ich finde das eine bodenlose Sauerei, und das sollte dientrechtlich strafbar gemacht werden. Ein Staatsanwalt hat die Schanuze zu halten, bis ihn der Richter dazu auffordert, seine Anklage zu verlesen. Punkt!
Lieber Tim, warum hast du ihn dann angerufen, wenn du findest er sollte die Schnauze halten? Liebe Grüßen, Alexander