A ha – da haben wir sie also wieder, jene merkwürdige Vermengung von Ursache und Wirkung, von Täter und Opfer, von Fremd- und Eigenwahrnehmung. So jedenfalls mutet das Bild an, das Gerhard Müller gerade von sich zeichnet.
Schon als Regensburger Bischof war Gerhard Müller als Hardliner bekannt. Jetzt aber ist der gehorsame Ratzinger-Eleve Präfekt der Glaubenskongreation und damit qua Amt der oberste Inquisitor der katholischen Kirche. Der Glaubenswächter und -hüter, dessen Blick streng nach hinten und gleichzeitig nach oben gerichtet ist, hat noch nie viel vom interkonfessionellen Dialog, vom Dialog der Prieser und Laien innerhalb der katholischen Kirche oder von neumodischem Zeugs wie Frauen im Priesteramt, gleichgeschlechtlicher Ehe oder Abschaffung des Zölibats gehalten.
Das prädestiniert ihn für sein Amt und stellt sicher, dass innerhalb der katholischen Kirche Reformen mit der größtmöglichen Langsamkeit durchgeführt werden. Etwa so im Stil des Orgelkonzerts von John Cage, das zu spielen 639 Jahre dauert und vermutlich 2640 seinen letzten Ton erklingen lässt.
Jetzt hat Gerhard Müller der Welt (also der Zeitung) ein Interview gegeben und auf wenigen Zeilen komprimiert wiederholt er altbekannte Standpunkte. Nichts Neues unter Sonne, möchte man mit Kohelet rufen, doch das ist nur die halbe Geschichte.
Der Herr Präfekt beklagt nämlich – hoppla – gezielte Diskreditierungs-Kampagnen gegen die katholische Kirche in Nordamerika und auch bei uns in Europa. Und die, so Müller weiter: haben erreicht, dass Geistliche in manchen Bereichen schon jetzt ganz öffentlich angepöbelt werden. Hier wächst eine künstlich erzeugte Wut, die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert“.
Der Schuldige ist dabei bereits ausgemacht. Schauen Sie dazu bitte mal in den Spiegel. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu. Denn in Blogs und „auch im Fernsehen“, so Müller weiter, würden „Attacken gegen die katholische Kirche geritten, deren Rüstzeug zurückgeht auf den Kampf der totalitären Ideologien gegen das Christentum“.
Eine Hetzkampagne also, der nach Müllers Sicht, die katholische Kirche ausgesetzt ist. Und – war ja klar – die Blogger vorneweg dabei. Ein wenig merkwürdig ist das schon, dass sich die katholische Kirche in die Opferrolle eines Pogroms hineinstilisiert. Und merkwürdig ist dabei noch die harmloseste aller Formulierungen. Pogrom, so definiert es die ganz und gar unwissenschaftliche Wikipedia ist die gewaltsame Ausschreitung gegen Menschen, die entweder einer abgrenzbaren gesellschaftlichen Gruppe angehören oder aber von den Tätern einer realen bzw. vermeintlichen gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden.
Wer in einer Generation groß geworden ist, in dem Pogrom für die gewaltsame Verfolgung und Ermordung von Menschen stand (z.b. der Juden im Dritten Reich), dem könnte sich schon leicht die Faust in der Tasche ballen, wenn der Präfekt Müller sich in diesem Kontext dieses Begriffes bedient. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, dass Pogrom exklusiv für Judenverfolgung steht. Pogrome fanden und auch gegenüber Angehörigen anderer Religionen oder Volksgruppen statt. Aber es ist schon ein starkes Stück, wenn Müller, der seine Priester öffentlich angepöbelt sieht, hier von einem Progrom spricht.
Es stimmt natürlich, dass das viele Communities und Blogs im Netz in Europa und in Nordamerika nicht gerade viel Respekt und Ehrfurcht gegenüber der katholischen Kirche bereithalten. Man darf sich aber getrost fragen, ob das nicht nachvollziehbare Gründe hat.
Was ist Ursache, was Wirkung? Im Netz geht es wahrlich nicht nur um Müllers rigider Verweigerungshaltung gegenüber Frauen im Priesteramt, homosexuelle Lebenspartnerschaften oder die Abschaffung des Zölibats. Die Gründe liegen viel offener: Hat nicht die katholische Kirche gerade in den vergangenen Jahren angesichts der Missbrauchsfälle sich selbst in das denkbar schlechteste Licht gerückt?
Und ist nicht die Kündigung der Zusammenarbeit bei der Missbrauchs-Studie mit unverhohlenen Drohungen und juristischen Schritten gegenüber dem Kriminologen Christian Pfeiffer ein Paradebeispiel, dass so gerade Krisenbewältigung nicht geht?
Und war nicht gerade erst Köln? Wenn einer vermutlich vergewaltigten Frau die „Pille danach“ in katholischen Kliniken verweigert wird, zeigt das nicht gerade die seelsorgerische Einfühlsamkeit im Kölner Katholizismus.
Unnötig, die Liste zu verlängern.
Angesichts dessen muss sich doch Präfekt Müller nicht wundern, wenn all diese Vorkommnisse im Netz ihren Widerhall finden, wenn Blogger und Twitterer die Hutschnur platzt und eine empörte wie aggressive Sprache gewählt wird.
Wut, Ärger und Empörung kanalisieren sich heute nun mal als erste, schnellste und lauteste Reaktion im Netz. Ungefiltert, ungeschönt und unzensiert. Das hat nichts mit toatlitären Ideologien zu tun (wie der papstpolitische Katholizismus selbst eine ist). Das ist nicht Agitation, nicht mal Aktion. Das ist Reaktion.
Aber gewiss kein Pogrom.
Bloggern jetzt vorzuwerfen, sie würden eine Pogromstimmung erzeugen, weil jetzt und viel zu spät ausgesprochen, veröffentlicht wird, was viel zu lange totgeschwiegen wurde, ist gelinde gesagt, nicht nur eine Verkehrung von Ursachen und deren Folgen, das ist eine Frechheit. Sich jetzt in eine Opferrolle zu flüchten, ist Hohn pur.
In welcher Welt lebt dieser Mann eigentlich?
Und in welchem Jahrhundert?
Diese Wut, Herr Müller, ist sicherlich künstlich erzeugt. Und zwar von der Kirche selbst. Nötig wäre das nicht gewesen…
Lieber Lutz Prauser,
Sie fragen tatsächlich, in welcher Welt dieser Mann lebt?
Das ist doch recht offentsichtlich. Er ist in einer Welt groß geworden, welche einer Blase gleicht. Die Katholische Kirche lebt ihren Traum. Sie tut das, was sich viele Leute nicht trauen (manchmal auch zu Recht). Es ist nur nahelegend, Beschreibungen von Verhalten zu nutzen, welche man in der ‚gloreichen‘ Vergangenheit selbst ausgelebt hat. Schon unser Herr Jesus kam nicht ohne Blut aus – da sollte ein weiterer Mauerstein im Mausoleum der kath. Kirche nicht ohne Blut auskommen müssen.
Vielleicht ist ja genau das, was Herrn Müller so zuwider ist, das sich die Welt auf der Platzen der kath. Blase ganz ohne Blut vorbereitet.
Lassen wir doch die Kirche im Dorf oder was auch immer die Säkularisten im Dorf lassen werden. Herr Müller hat von Pogromstimmung gesprochen. Ich übersetze das mit „Auswirkung zunehmender Hetze“. So habe ich das Wort auch schon oft verwendet gesehen und es bedeutet sicher nicht dasselbe wie „Pogrom“. Trifft es nicht ins Schwarze? Ob die Kirche das aushalten muss oder nicht, steht wieder auf einem anderen Blatt. Vielleicht bereitet Gott gerade mit dem Abschmelzen der Polkappen eine neue Sintflut vor, weil es ihn nervt, wie man mit seiner Kirche umgeht. Wer weiß? (Ich glaube das nicht – dennoch: wer weiß?)
Zurück auf die Erde: Wenn nun eine katholische Einrichtung katholisch ist und sich katholisch verhält, wer wundert sich? Wann nennt man so etwas Markentreue, wann ist es irgendwas Verdammenswertes. Und wieso?