Bei heise habe ich etwas gelesen. Ich konnte es zunächst nicht glauben, aber es steht da:
Justizministeriums-Pressesprecher Staudigl erläuterte heise online auf Nachfrage, was Bundesjustizministerin Brigitte Zypries am vergangenen Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss zum Gesetzgebungsverfahren lediglich angedeutet hatte: Laut Gesetzentwurf ist es Staudigl zufolge den Strafverfolgungsbehörden nicht immer möglich, „retrospektiv auf gespeicherte Daten zugreifen, sodass nur eine sogenannte Echtzeitüberwachung in Betracht kommt“. Die funktioniere dann „ähnlich wie bei einer inhaltlichen Telekommunikationsüberwachung. Die auf den Stopp-Server zulaufenden Anfragen, also zum Beispiel die IP-Adresse des Nutzers, werden als Kopie live an eine Überwachungsanlage der Strafverfolgungsbehörde ausgeleitet und dort verarbeitet“. Eine solche Maßnahme könne aber nur durch richterlichen Beschluss angeordnet werden, betonte er.
Da kann es sich nur um einen Irrtum handeln. Was soll denn der Richter da beschließen? Dass alle Daten eines bestimmten Nutzers ausgewertet werden? Vorratsdatenspeicherung ist aber ein anderes Thema, und ein „retrospektives“ obendrein. Das kann es also nicht sein.
Oder ist gemeint, dass alle Daten aller Nutzer, die auf das Stoppschild kommen, zwecks Ermittlung an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden oder besser noch online gleich mitgelesen werden? Das ist sicher ein viel zu grobes Raster. Vor allem fehlt ein Auslöser für so einen richterlichen Beschluß.
Bleibt also nur, dass die Daten eines bestimmten Nutzers vom Provider aus den Logfiles gezogen werden sollen und an die Strafverfolger weitergeleitet werden. Damit liest nicht die Polizei die Daten, sondern der Provider. Der das eigentlich schon wieder nicht darf, auch nicht, wenn das im Gesetz so drinbleiben sollte (hier der Entwurf):
Die Diensteanbieter dürfen, soweit das für die Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 4 erforderlich ist, personenbezogene Daten erheben und verwenden. Diese Daten dürfen für Zwecke der Verfolgung von Straftaten nach § 184b des Strafgesetzbuchs den zuständigen Stellen auf deren Anordnung übermittelt werden.
Sie dürfen, aber sie müssen nicht? Seltsame Formulierung. Sie sollten besser nicht. Wer nur neugierig ist, dieses Stoppschild zu sehen, macht sich sicher nicht strafbar. Dennoch muß er nun mit Verfolgung rechnen. Es wird sich sicher bald herumsprechen, welche Diensteanbieter die Daten nicht erheben. Empfehlenswert für alle, die auch nicht aus Versehen in die Mühlen der Justiz kommen wollen. Oder klicken Sie nie auf eine Adresse, die Ihnen unbekannt ist? Zum Beispiel bei Google?
Die Provider müssen noch mehr Entscheidungen treffen. Zum Beispiel, welche Sperrmethode sie wählen.
Für die Sperrung dürfen vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten verwendet werden. Die Sperrung erfolgt mindestens auf der Ebene der vollqualifizierten Domainnamen, deren Auflösung in die zugehörigen Internetprotokoll-Adressen unterbleibt.
Das Kauderwelsch habe ich an dieser Stelle bereits kritisiert. Jetzt geht es mir eher um die merkwürdigen Auswahlmöglichkeiten für Provider. Die drei Methoden unterscheiden sich fundamental. Zur Wahl stehen sinngemäß: Einträge im Telephonbuch schwärzen, bestimmte Telephonnummern sperren (möglicherweise aber inklusive aller Nebenstellen und anderer Mieter im selben Haus) oder Mithören: Telephongespräche sind erlaubt, aber Faxe werden unterbunden. Absurd? Nein, nur die Übertragung auf die Telephonwelt, also eine bekanntere Technik.
Und da hat der Provider die Wahl? Na, dankeschön, wird nun der Provider sagen. Was, wenn jemandem ein Schaden entstanden ist, weil der Provider sich für die Methode 2 entschieden hat? Wir können davon ausgehen, dass der Provider weiß, was welche Methode im einzelnen bedeutet. Mit Methode 1 hätte er das Gesetz auch erfüllt, nun muss er begründen, wieso er sich so entschieden hat?
Dies alles läßt den Schluß nahe, dass das Gesetz noch nicht beschlossen werden kann, es enthält zu viele Ungereimtheiten. Als Wahlkampfwerkzeug geht das nach hinten los.
Schön ist übrigens auch dieser Artikel im Reizzentrum: Holger Koepke führt vor, wie man Firmen in arge Schwierigkeiten bringen kann. Denn als Kinderpornographie gewertet wird nicht nur pornographisches Material, sondern bereits Verweise auf Seiten mit solchem Material. Ob das rekursiv gilt, lassen wir dahingestellt.
Suchmaschinen enthalten sicher auch verbotenes Material. Mit der geeigneten Abfrage wird man eine Seite produzieren können, von der aus auf die verbotenen Seiten verlinkt wird. Das ist nicht strafbar, man darf nur nicht draufklicken. Diese Seite schickt man an das BKA („besorgter Bürger“), die müssen tätig werden, die Seite landet auf der Blockliste. Und nun kommt es darauf an, welche Sperrmethode der Provider wählt, denn nur die Methode „Zieladressen von Telemedienangeboten“ (gemeint ist die Sperrung auf URL-Ebene) geht für die Suchmaschine glimpflich aus. Bei Sperrung auf Domainebene ist google vielleicht bald unsichtbar.
Aber kein Problem. Geben Sie halt „74.125.43.147“ ein, anstatt www.google.de. Uiih, und schon sind Sie Internetexperte.
Absurd war es schon immer – nur wird es jetzt noch absurder.