Gentleman über Bord von Herbert Clyde Lewis
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Das letzte Jahr im Leben eines Liebespaares. Eine wunderbare und tief berührende Inszenierung. Karin Henkel hat den Film von Michael Haneke über Leben und Sterben eines alten Ehepaares auf die Theaterbühne gebracht. Und sie hat wirkmächtige Bilder dafür gefunden, grandios umgesetzt von einem beeindruckenden Ensemble und einem Hauptdarsteller (André Jung), der zu den ganz Großen seines Fachs gezählt werden darf. Er spielt sich an diesem Abend die Seele aus dem Leib und spornt das Ensemble um ihn herum zu Höchstleistungen an. Dabei fordert der Stoff den Schauspielerinnen und Schauspielern einiges ab.
Anne und Georges wären gerne Philemon und Baukis. Aber uns ist es nicht gegeben gesund uralt zu werden. Wir siechen dahin und trotz alle Longevity-Anstrengungen holt uns früher oder später die Gicht, der Krebs, der Schlaganfall oder sonst ein teuflisches Leiden und zwingt uns in den Rollstuhl oder die Windel. Und so geht es auch Anne, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt mehr und mehr körperlich verfällt und zum Pflegefall wird. Ihr Mann Georges ist rührend um sie bemüht: er kleidet sie an und aus, wäscht sie, füttert sie, medikamentiert und tut was er mehr schlecht als recht und der Pflegedienst schon lange nicht mehr kann.
Die harten Fakten kennen wir alle: Überlastetes Klinikpersonal, unzureichende Hilfsmittel, der Zeitdruck der mobilen Pflegedienste, die Überlastung der Menschen, die sich privat zuhause um ihre Angehörigen kümmern, die sich selbst aufopfern, deren Tätigkeit nirgendwo Anerkennung findet. Kinder, die ihr eigenen Leben leben und unfähig sind mit der Hilflosigkeit – dem „Wieder-Kind-Werden“ – ihrer einstigen Erzieher klar zu kommen. Eine Gesellschaft, die nicht das Recht der Alten auf ein würdevolles Leben und noch nicht einmal ihr Recht auf einen selbstbestimmten Freitod respektiert.
Wie erzählt man das alles? Schwer genug, eine solche Geschichte in einem Buch zu erzählen. Aber auf der Bühne? Karin Henkel hat für ihre Erzählung Bilder geschaffen, die mal einen intimen Einblick in die Psyche des überlasteten und langsam in den Wahn abgleitenden Georges erlauben und mal einen Blick aus der Perspektive eines scheinbar unbeteiligten Dritten auf die „Sachlage“ bieten.
Eine Brücke vom Spiel in die Realität bildet der „Chor“, der freilich nicht singt, sondern aus Senior*innen besteht, die nicht dem Theater-Ensemble angehören, sondern munter über die Bühne schlurfen, mal mit mal ohne Rollator oder Rollstuhl, die nicht auf „alt“ geschminkt sind, sondern die einfach alt sind, und die nach der Pause vorne an der Bühnenkante aus ihrem Leben und von ihrem Älterwerden berichten. Sie erzählen von Angehören, die sie nach schwerer Krankheit verloren haben, oder wie sie selbst eine schwere Krankheit mit temporärer Behinderung überwunden haben (Es gibt noch Hoffnung!). Sie berichten, wie wichtig die Liebe und Zuneigung im Alter ist und wie wichtig es ist, Anerkennung für einen gesunden Geist in einem kranken Körper zu finden.
Hier greift Karin Henkel eine Form des antiken griechischen Theaters auf. Dort war es dem Chor vorbehalten das Schauspiel zu interpretieren und dem Publikum zu erläutern. Der Chor überbrückte die Kluft zwischen Spiel und Wirklichkeit. Und genau dies tut die kleine Laienschar in den Münchner Kammerspielen, dieser Chor der Senior*innen, der nicht singt. Was für eine wunderbare Idee in einer wunderbaren Inszenierung.
Unbedingt ansehen!
Ach ja, das Zitat in der Überschrift ist übrigens von einem anderen großen alten Mann – von Willy Brandt:
„Eine Gesellschaft die das Alter nicht erträgt wird an ihrem Egoismus zugrunde gehen.“
Liebe (Amour)
nach dem Film von Michael Haneke
Fassung von Karin Henkel und Tobias Schuster
Regie: Karin Henkel
Münchner Kammerspiele
Eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Ensemble: André Jung, Katharina Bach, Christian Löber, Joyce Sanhá, Joel Small
Illustrationen © Michael Kausch, erstellt mit KI (Adobe Firefly) am 03.03.2024.
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“Wien hat lauter Wahrzeichen und jeder Wiener fühlt sich als solches” soll Karl Kraus einmal gesagt haben. Und wirklich ist Wien, eine Stadt mit gerade mal knapp zwei Millionen Einwohnern, voll gestellt mit Sehenswürdigkeiten. Die Entwicklung dieser Stadt ist völlig untypisch: Schon im jahr 1920 hatte Wien mehr als zwei Millionen Einwohner. Danach ist Wien verzwergt. Damals war Wien eine turbulente Metropole, Hautpstadt einer Großmacht. Und das sieht man dieser Stadt heute noch an allen Ecken und Enden an. Hier ist alles ein wenig zu groß geraten: die Straßen, die Theater, die Bürgerhäuser, die Museen, das Selbstbewusstsein ihrer Einwohner. Selbst das Rad ist ein RIESENrad.
Musik kann man sehen. Die Leica auf dem Plattenteller. Ein Beitrag zur Synästhesie Ich liebe meine Leica. Und ich liebe meinen Plattenspieler. Und mit bloßer
Czyslansky ist das Blog von Michael Kausch. Hier schreibt er privat über alles, was ihn interessiert: Literatur, Hifi, Musik, Reisen, Fotografie, Politik und Digitalkultur.
Beruflich ist er als Kommunikationsexperte spezialisiert auf strategische und konzeptionelle Unternehmensberatung und Coaching im Bereich integrierter Unternehmens- und Marketingkommunikation, Markenkommunikation, Reputationsmanagement, Krisen-PR, strategisches Social Media Marketing, Inbound Marketing und vertriebsorientierte Öffentlichkeitsarbeit.