Es gibt ja bekanntlich Sammler für so gut wie alles, von Ü-Eiern über Vinyl-Platten, Single Malts bis zu Feinden bei der FAZ, alles wird gesammelt und auch so manch ein Jünger Czyslanskys ist nicht frei von dieser Leidenschaft.
Die Passion von John Reznikoff sind Haare, genauer Haarlocken von Prominenten: Elvis, Albert Einstein, Abraham Lincoln, Marilyn Monroe … die üblichen Verdächtigen eben. Was auf den ersten Blick wie eine harmloses Hobby erscheint, hat, seit es möglich ist die DNA eines Menschen aus seinen Haare zu gewinnen, eine nicht ganz unproblematische Komponente.
Auf der DNA sind die ureigensten Daten eines Lebewesens gespeichert und bei Daten meine ich nicht irgendeinen uninteressanten Mist, wie meine Steuernummer, Browserverlauf, Adresse, oder der Mädchenname meiner Mutter … Nein, die echten Daten, die Baupläne meiner Leberzellen, meiner Kniescheibe und natürlich auch die meines Körpergeruchs …
Und genau da setzt die Geschäftsidee dieses Herren und seines Partners Carlton Enoch an. Sie entwickeln auf der Basis der DNA der Haarsträhnen Düfte, die sie unter dem Label My DNA Fragrance vertreiben. Das hat ein G’schmäckle, gell?
Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand je auf die Idee kommen könnte, aus meinen im Alter immer mehr ausfallenden Haaren ein Rasierwasser zu entwickeln, was entfernt an meinen Duft nach einem Viertelmarathon erinnert. Aber trotzdem … Ich bestehe auf Datenschutz! MyFragrance einen deutlichen Schritt weiter gegangen als MyMüsli, MyMarmalade, MyShirt, MyObstler usw.
Obwohl, vielleicht sollten wir die beiden fragen, ob sie uns …. Sagt mal, hat jemand eine Haarlocke von Czyslansky?
Czyslansky hat sich bekanntlich zeitlebens die eher schütteren Haare selbst geschnitten und die Schnittreste stets sorgfältig verbrannt. Vermutlich fürchtete er, ein ähnliches Opfer von postmortalem Haarkult zu werden wie Napoleon, dessen Leiche nach dem Tod von britischen Offizieren, die auf St. Helena stationiert waren, mehr oder weniger kahlgeschoren wurde, um die hellbraunen Strähnen als momento mortui an Bekannte und Verwandte schicken zu können. Angeblich ist übrigens letzte Woche wieder eine Original-Locke des korsischen Diktators in Sydney aufgetaucht, die von dem britischen Major William Crockat seinerzeit beiseite geschafft wurde.
Czyslansky, um seine kommende Größe ahnend, wollte nicht so enden. Allerdings war Czyslansky von den filigranen, entfernt an feine Behaarung erinnernden fraktalen Entladungsmuster fasziniert, die nach nach dem deutschen Physiker Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) auch „Lichtenberg-Figuren“ genannt werden. Diese entstehen bekanntlich nur, wenn Dielektrika, also elektrisch schwach- oder nichtleitende, nichtmetallische Substanzen, unter Hochspannung gesetzt werden. Die dabei entstehenden „Concentrischer Circkel“ (Lichtenberg) und verästelten Muster trugen viel dazu bei, das Wesen des damals noch rätselhaften elektrischen Flusses zu erschließen.
Auch Czyslansky soll auf diesem Gebiet geforscht haben, wobei seine Aufzeichnungen bei dem durch elektrostatische Entzündung verursachten Zimmerbrand vom 19.5.1949 in seinem damaligen nordkalifornischen Domizil (siehe: „Records of the Volunteer Fire Department of Pineview Heights“, S. 843 ff.) verloren gingen. Jammerschade, denn damit ließe sich belegen, dass Czyslansky, wie von zahlreichen Fachleuten vermutet, der wirkliche Vater der digitalen Reproduktionstechnik ist. Schließlich arbeiten ja bis heute alle Kopiergeräte und Laserdrucker nach diesem Prinzip.
Haare sind ja ein ausgezeichnetes Dielektrikum, und so lässt sich trefflich spekulieren, ob es sich bei dem in einem Brief an Czyslanskys Freund, dem dänischen Nobelpreisträger Niels Bohr enthaltenen und bis heute rätselhaften Foto, das eine an eine Daunenfeder erinnernde Struktur zeigt, vielleicht doch um das einzige existierende Abbild des großen Vordenkers des Digitalzeitalters handelt – oder zumindest eines Teils von ihm.