Angst essen Freiheit auf

„Ein Teil meiner Antwort würde die Bevölkerung verunsichern!“ – Ein denkbar unglücklicher Satz, den Thomas de Maiziere gestern abend auf der Pressekonferenz anlässlich des abgesagten Fußballländerspiels vor laufenden Kameras gesagt hat. Hätte er – was er auch gemacht hat – auf die Frage, wie akut denn die Terrorbedrohung in Deutschland sei – lediglich geantwortet, dass er dazu aus ermittlungstechnischen Gründen nichts weiter sagen könne: Es hätte gereicht, und jeder hätte es verstanden.
Stattdessen hat er eben genau das getan, was er besser nicht hätte tun sollen: Mit dieser Formulierung den diffusen Ängsten in der Bevölkerung Nahrung gegeben, Journalisten zu Spekulationen aufgefordert und den rechten Flügel im Land befeuert, dass man hierzulande bedroht sei.
Denn er – so klingt es – weiß etwas, was er nicht sagen will: Und das ist ganz sicher nichts Gutes. Und gleichzeitig stellt er die Bevölkerung selbst als unmündig und unfähig dar, offene und klare Antworten zu verstehen. Einem kleinen Kind darf man eben keine Angst machen…
Wer die Pressekonferenz gesehen hat, der weiß, dass deMaiziere in dem Moment wohl selbst gemerkt hat, dass er etwas gesagt hat, was er so besser nicht geäußert hätte. Es ist eben was anderes, mit vorbereiteten Texten vor die Presse zu treten, als sich frei äußern zu müssen.

AntwortDa nützt es auch nichts, in der gleichen Pressekonferenz zu beteuern, Angst wäre fehl am Platz, wir sollten und dürften unsere Lebensgewohnheiten nicht aus Angst ändern. Zwar hat der niedersächsische Innenminister sich beeilt, nachzuschießen, dass die Polizei auch nach wie vor die Sicherheitsrisiken bei Großveranstaltungen bewerten werden und entsprechend reagieren… aber reicht das?
Ist das genug, um de Maizieres Versprechen zu glauben, dass wir auch weiterhin sportliche Großveranstaltungen besuchen können, auch Märkte, auch Konzerte?

Oder ist die Saat der Angst endlich da angekommen, wo der IS-Terrorismus sie sähen wollte: In jedem von uns. Werden wir jetzt ein mulmiges Gefühl haben, wenn Migranten mit Hoodie (Kapuze aufgesetzt) und Rucksack auf dem Rücken sich schnell noch in eine dicht besetzte U-Bahn drängen?
Werden wir siekritisch beäugen und sie das spüren lassen?
Verständlich, wenn jeder jetzt spontan „Nein – ganz sicher nicht!“ antworten möchte, aber stimmt das auch?
Werden wir Menschenansammlungen meiden? Wird es an Stadien und großen Veranstaltungsgebäuden demnächst Körperscanner geben? Und werden wir trotzdem angespannt sein, wenn sich in unserer Nähe Leute plötzlich hektisch und sonderlich benehmen, sich suchend umblicken und einen nervösen Eindruck machen?
Werden wir bestimmte Stadtviertel noch mehr meiden als früher schon? Sehnen wir noch mehr Polizeipräsenz und Kamerüberwachung herbei?
Stimmen wir jetzt innerlich der Vorratsdatenspeicherung zu, die es in Frankreich seit 2006 gibt, aber ganz offensichtlich gar nichts gebracht hat?
Feiern wir Anonymus dafür, dass die Gruppe nach eigenem Bekunden über Nacht zigtausend Twitter-Accounts von IS-Leuten gehackt und zerstört hat und dem Terrorbündnis den Krieg erklärt hat und deren digitale Kommunikation und Recruiting-Plattformen zerstören will?
Derweil die Fragen mehr statt weniger werden, läuft unter #DoItLikeDeMaiziere auf Twitter ein sonderbares Spiel: Menschen machen ihre Späße (wie immer bei Twitter) mit dem eingangs erwähnten Zitat. Auch eine Art, mit Angst und Sorgen umzugehen:

  • Angela Merkel werden, auf die Frage de Maizieres, was er von ihm als Innenminister halte, eben die Worte in den Mund geschoben: „Ein Teil meiner Antwort würde dich verunsichern!“
  • „Wie war ich im Bett?“ – „Ein Teil meiner Antwort würde dich verunsichern!“
  • „Hat’s geschmeckt?“ – „Ein Teil meiner Antwort würde dich verunsichern!“
  • usw. usw. – das Variantenreichtume der mal mehr mal weniger guten Witze ist schier endlos.

Twitterer Christian Brandes bedankt sich gar für eine weitere Kult Floskel – denn genau das wird diese an sich entbehrliche Antwort deMaizieres wohl werden.

„Alles ist anders seit Paris“ heißt es landauf landab in allen Medien.
„Falsch!“ entgegnet Sigmar Gabriel via Twitter und straft seinem Statment zwei Tage später selbst Lügen. „Nach Paris darf nichts anders sein! Wir stehen zu unserer freien Gesellschaft!“ Heere Worte, an denen er sich messen lassen sollte.  Statt aber wie angekündigt in Passau eine Flüchtlingsunterkunft zu besuchen, wie er es geplant hat, bleibt er fern: Er nimmt an einer Zusammenkunft des Sichrheitskabinetts teil, wie der BR berichtet.

doit2
Nach Paris ist eben doch vieles anders. Angst essen Seele auf  -und die Freiheit.

3 Antworten

  1. Auch ich habe mich über Gabriels Worte sehr geärgert. Inzwischen, nach zweimal drüber schlafen, sehe ich diese dumme Bemerkung in anderem Licht: Auch Gabriel ist nur ein Mensch, und die Lage ist für ihn neu. Es war eine unbekannte Situation. Shit happens, Leute sagen halt mal vor laufender Kamera Blödsinn.
    Und nach zweimal schlafen ist hoffentlich auch das ungute Gefühl inder Magengrube weg, dass jeden anlässlich des abgesagten Fußballspiels beschlichen hat.

  2. Generell ist Gabriels Gedanke ja nicht falsch, dass sich eben in unserem Leben nichts ändern soll – womit mehr unsere Lebensweise, soweit wir sie selbst gestalten können, gemeint ist. Aber es bleibt eben nur ein frommer Wunsch.
    Und dass eine Sitzung des Sicherheitskabinetts Vorrang hat, ist auch nachvollziehbar. Die unmittelbare Nachbarschaft beider Tweets zeigt halt die Absurdität solcher Statements.

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