Plattenkiste

Aus der vierten Plattenkiste

Vom West-Mann Johnny Cash bis zu Dr. Ostbahn reicht die Plattenpalette.  Dazwischen gibts den vielleicht besten deutschen Trompeter und zahlreiche Barock-Trompeten und eine ehemalige Kleingeldprinzessin. Viel bunter geht es nicht. Das heißt, klassischer Rock fehlt dieses Mal. Der kommt das nächste Mal dann wieder dran. Versprochen. 

Johnny Cash: At Folsom Prison

Songs aus dem Knast: Johnny Cash at Folsom Prison. Ich finde ja die beiden Knast-Platten einsame Höhepunkte, besser als die berühmten American Recordings. Und „Jackson“ mit June Carter … also das ist ganz großes Amerika-Kino in Cinemascope. Der „Man in Black“ hatte es einfach drauf. Da geht dann sogar ein Kentucky Straight Bourbon, vielleicht ein „Colonel E.H. Taylor Small Batch“ mit einem Hauch Butterscotch in der Nase und Lakritz am Gaumen …

Till Brönner und Bob James: On Vacation.

Der Titel klingt nach entspannter Easy listening und fader Kaufhausmusik aus der Unterhosenabteilung. Ganz so schlimm wird es nicht. Aber das ist schon Musik für ein Glas Rotwein nach einem stressigen Tag. Kein Wunder, entstanden die Aufnahmen doch in einem etwas ungewöhnlichen Tonstudio: im „La Fabrique“ in Saint-Rémy in der sonnigen Provence zwischen einer alten Olivenölpresse und ausrangierten Mistgabeln. Dort haben auch schon Rammstein und Sting Töne statt Öl aus sich herausgepresst. In der Weinpresse haben Brönner und James für die Plattenpresse vor allem große Klassiker eingespielt: Basin Street Blues, Lemonade oder September Morn zum Beispiel. Der Jazz changiert oft zur großen Chanson-Bühne. Wenn man’s mag. Die Trompete bläst der Meister wie immer virtuos, da kann man nicht meckern. Aber wenn er, und er tut es leider vier mal, sich als Sänger versucht, dann möchte ich die Flucht ergreifen und rufen: „Till, lass es. Bleib bei deinen Ventilen!“ Es muss nicht jeder singen. Nicht außerhalb von Dusche und Badewanne. Aber es bleiben ja zehn sauber produziert Stücke, wo er den Mund hält, nein spitzt, und in die Tüte bläst. Und das kann er. Also on vacation.

Dota Kehr: In der fernsten der Fernen. Mascha Kaeko

Dota Kehr hat Gedichte der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko vertont. In Galizien geboren übersiedelte Kaléko mit ihrer Mutter auf der Flucht vor antisemitischen Progromen 1914 nach Frankfurt am Main, später nach Marburg und Berlin. Dort lebte sie im jüdisch geprägten Scheunenviertel und hatte Kontakt zu Schriftstellern wie Joachim Ringelnatz und Else Lasker-Schüler. 1938 floh sie vor den Nazis in die USA und schrieb für den Aufbau. Ihre letzten Jahre lebte sie in Jerusalem.

Diese Platte von Dota Kehr ist schon die zweite LP mit von ihr vertonten Gedichten von Mascha Kaléko. Dota Kehr ist eigentlich die ideale Interpretin für diese Gedichte. Vielen ist sie sicherlich als „Kleingeldprinzessin“ bekannt. Und wirklich begann sie ihre Karriere als Straßenmusikerin. Sie spielte immer quer zu allen Konventionen nach Lust und Laune und hat ihr „Handwerk“ auf der Straße gelernt. Und sie hat es gut gelernt. Von Bossa Nova über Folk und Rock bis zum Jazz reicht ihr künstlerisches Können.
Auf dieser Platte klingt Südamerika manchmal noch ein wenig durch. Die meisten Stücke kommen aber eher ruhig daher, wie ein großer stiller Fluss. Klassische Singer-Songwriter-Musik für stille Abende, aber niemals langweiliges Geschrubbe. Kongenial begleitet wird sie am Schlagwerk von Janis Görlich, an der E-Gitarre von Jan Rohrbach und am Piano von Jonas Hauer. Unbedingt anhören. Sowohl die Musik, als auch die Texte sind es wert.

Antonio Vivaldi: Die vier Jahreszeiten. Collegium aureum

Von Vivaldis Jahreszeiten habe ich insgesamt neun verschiedene Versionen. Eine meiner liebsten Fassungen ist die Aufnahme des Collegium Aureum unter Franzjosef Maier, gespielt auf alten Originalinstrumenten. Das Collegium Aureum war in den sechziger Jahren wegweisend bei der Begründung der Aufführungspraxis mit historischen Instrumenten aus der Barock-Zeit. Franzjosef Maier, der inzwischenVom West-Mann Johnny Cash bis zu Dr. Ostbahn verstorben ist, ist der vielleicht wichtigste deutsche Dirigent und Violinist dieser Schule und diese Aufnahme gehört zu seinen wichtigsten Aufnahmen. Ich schätze an dieser Produktion die immense Durchhörbarkeit, die bei moderner großer Orchestrierung häufig verloren geht. Die zurückhaltende Dynamik lässt sich da leicht verschmerzen.

Kurt Ostbahn und die Musiker seines Vertrauens: Auf der Kaiserwiese 2014 live

Herr Dr. Ostbahn. Im vergangenen Jahr ist der Schmetterling leider verstorben. Die Aufnahme ist schauderhaft, die Musik graziös. Beide Platten vom Live-Konzert vom August 2014 auf der Kaiserwiese im Wiener Prater sind offiziell vergriffen, aber durchaus noch erhältlich. Die Pressqualität ist ok, aber die Abmischung ist grausam grottig, auch wenn die Adepten des Meisters da völlig anderer Meinung sind und beide Scheiben längst zum Kult erklärt haben. Aber würde Dr. Kurt Ostbahn einen fahren lassen, seine Fans würden die Abluft in Dosen sperren und diese in ihren Gemeindebauten altarisieren. Trotzdem höre ich ihn gerne. Er ist einfach gut. Und er ist der Doktor. Auch die Musiker sind es wert: Ricky Gold am Bass, Worldmasta Eigner am Schlagwerk, der junge Herr Axel im Harmoniegesang, Herr Dipl. Ing. Eduard Jedelsky mit dem Zeugl, Professor Shorthair am Grand Piano und all die anderen kleinen und großen Pfeifen. Schade, dass man Dr. Ostbahn nur noch am Zentralfriedhof live hören kann. Und nur wenn man ganz leise ist. Und nur, wenn der Ambros Wolfi dort nicht grad herumbrüllt.

Illustrationen © Michael Kausch

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