Berlin – ein Tag Paralleluniversum

Es wurde hier ja bereits angekündigt: Heute war ich in Berlin, zusammen mit meinen Mit-Czyslankys Tim Cole, Christoph Witte und Alexander Broy. Wir sind hier auf Einladung der WELT kompakt. Ein Blatt aus dem Springer-Konzern – und wir sollten es einen Tag lang schreiben, zusammen mit anderen Bloggern aus der Szene. Meine Selbstbefragung ergab keine Berührungsängste. Ich würde auch einen Tag lang die BILD machen – solange ich keine Vorgaben bekommen würde, was genau ich zu schreiben hätte.

Für die Berührungsängste haben die „anderen“ gesorgt. Im Vorfeld hatte es einiges an Ärger gegegeben. Man darf nicht für Springer schreiben, weil man von denen kein Geld nimmt, weil sie kein Geld zahlen würden, weil wir ehrlichen Journalisten den Job wegnehmen, weil wir einen Tag lang deren Job machen würden. Nun ja, nicht sehr realistisch, viele von uns haben über Geld nicht einmal nachgedacht. Blogger leben entweder davon, dann ist so ein Tag eine gute Chance für neue Eindrücke. Ein Angebot. Kann man annehmen oder ablehnen. Oder sie leben nicht davon. Dann müssen sie ggf. Urlaub nehmen, für einen Tag. Dazu gehöre ich. Mir macht es Spaß – eine zweifelhafte Motivation. Daß ich dieselbe Motivation für mein werbefreies Blog ohnehin unter Beweis stelle, kann nicht jeder nachvollziehen. Sei’s drum.

Also die Unterstellung, Springer spare an uns, läßt sich nicht halten. Der Tag ist noch nicht um, und wir können uns kaum noch bewegen. Den ganzen Tag wurden wir versorgt, Frühstück, zweites Frühstück, Mittagessen, Snacks, Kaffee mit Gebäck, und der Tag ist noch lang nicht rum. Spesenersatz bekommen wir auch. Das kann es nicht sein.

Bleibt: Haben wir unsere Seele dem Teufel bzw. dem bösen Springerverlag verkauft? Noch ist die Nummer nicht erschienen. Vielleicht stehen morgen unter meinem Namen schreckliche Dinge, die ich nie geschrieben habe. Aber, ehrlich, das glaube ich nicht. Also wird doch sicher zensiert! Na klar. Aber „zensiert“ wurde ich auch damals beim Heise-Verlag. Es gibt in jedem Verlag sogenannte Hausregeln, wie werden bestimmte Dinge formuliert, welche Rechtschreibung wird verwendet, welche Zielgruppe soll bedient werden. Ah – also Zensur. Nur, das heißt bei der Zeitung nicht Zensur, das heißt Chefredakteur.

Über die Regeln kann man nicht meckern, sie wurden uns vorher geschickt:

1. Du sollst werten.
2. Die Uhr ist Dein Feind.
3. Der Chefredakteur ist Dein Freund.
4. Die Themen der Zeit sind Deine Themen.
5. Schreibe offline wie online: Sei wer Du bist.

Der Chefredakteur als Freund? Naja, in gewissem Sinne wirklich. Ich empfinde ihn eher väterlich – man kann ihn überzeugen, aber das letzte Wort hat er. Zittern: Fliegt mein Artikel doch noch raus? Das Bessere ist der Feind des Guten. Wen es trifft, der schluckt. Vielleicht gewinnt Gauck? Dann tritt Frau Merkel vielleicht zurück? Dann landen 30 Prozent unserer Artikel in der Tonne, denn Aktualität ist Pflicht.

Der liebe Gott heißt also Frank Schmiechen. Lustige Einleitung, jeder bekam einen Sekt in die Hand gedrückt, um sich dann anzuhören, das sei heute alles so anders, schon gleich ein Sekt in der Frühe, das seien die regulären Journalisten nicht gewöhnt. Belustigung – wir etwa? Wer hat denn damit angefangen. Wir bleiben standhaft – wir müssen schließlich heute noch arbeiten. Unterdessen bin ich erstaunt, wie wenig abgebrüht hier die Profis sind. Frank Schmiechen haben die kritischen Kommentare und Trolltexte draußen wirklich getroffen. Selber schuld, kann man sagen, wieso arbeitet man auch für Springer. Aber Hand aufs Herz: Ist das nicht ein bisschen retro? Letztes Jahrhundert? Überkommenes Feindbild? Der Chefredakteur ist dünnhäutig. Er macht die Zeitung, nicht der Verlag. Also Springer hin oder her, hier geht es um WELT kompakt. Als Netizen bin ich verblüfft. Daß es sowas noch gibt – im Netz ist es man gewöhnt, völlig respektlos angeredet zu werden und solche Leute je nach Stimmung einfach zu ignorieren.

Jetzt ist es 18:00. Es wird ernst. Die Zeitung muß gedruckt werden, aber irgendwie mangelt es an einem Bundespräsidenten. Also an einem eindeutigen. Ich habe Glück, mein Artikel, ich gebe es zu, behandelt das Thema Bundespräsident, aber er funktioniert immer, egal, wie die Wahl ausgeht.

Das also ist die wahre Einschränkung. Die Zeitung muß fertig werden, und wenn sie am Kiosk liegt, ist es zu spät, einfach ein Update zu schreiben. Und der Platz ist beschränkt. Das ist beim Bloggen echt einfacher. 40 Zeilen a 30 Anschläge zum Thema Schulsystem. Fingerübung, gleich fertig. Tim Cole findet meinen Artikel zu brav. Nach konstruktiver Kritik steht mein Name unter einem echt undifferenzierten, einseitigen, polternden Kommentar. Nur: Tim ist ja nicht Springer. Also wieder keine Zensur.

Eigentlich machen wir wohl gerade nichts anderes, als hier vermutlich normal gemacht wird. Wir schreiben. Auffällig ist vielleicht, daß die WELT kompakt-Leute wenig Vertrauen zu uns hatten. Viel haben wir schon vorproduziert. Das ist bereits gesetzt. Man merkt schnell, selbst wenn wir nichts mehr schreiben, gibt es morgen keine leeren Seiten. Das nimmt ein bißchen von der Nervosität, aber auch von der Authentizität. Und das Layout wurde geändert. Die Zeitung ist quer, „scroll edition“, und lange, lange Zeilenwürste schreien geradezu nach augenfreundlichem Spaltensatz. Sollten wir also nur Unsinn absondern, sieht jeder auf den ersten Blick, daß das ja garnicht die WELT kompakt ist, wie man sie kennt. Hmm …

Ok – jetzt langt’s. Die erste Seite wird umgeschmissen. Die Zeitung muß fertig werden. Jetzt gleich ist Redaktionsschluß.

Spaß hat’s gemacht – und die versprochene Party kommt erst noch.

Bild: Alex Kahl, Kollege für einen Tag, danke 🙂

4 Antworten

  1. Also wir haben gestern schon an den Buffets dafür gesorgt, dass Springer auf keinen Fall einen Gewinn aus unserer Arbeit zieht, den er nicht mit richtigen Journalisten auch gemacht hätte.

    Aber mal ernsthaft: wer behauptet Springer wollte mit diesem Experiment Geld sparen ist so etwas von auf dem Holzweg. Die Spesenerstattung, die Flüge, Bahnkarten, Taxis, Hotels und die Verpflegung von 23 Bloggern das allein kostet mehr als eine paar noch so hoch bezahlte Lohnschreiber aus dem Qualitätssektor. Die Scrolledition erscheint zu dem in einem komplett neuen Layout und was das bedeutet, kann nur jemand beurteilen, der schon mit den Redaktionssystemen und Layout-Programmen der großen Verlagshäuser gearbeitet hat. (Also ich auch nicht wirklich)

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