Berlin ist immer für eine Lachnummer gut. Dazu muss man weder den grandiosen Großflughafen BER bemühen, dessen Bauplanungsfehler die Eröffnung auf den St. Nimmerleinstag datieren lassen. Dazu muss man auch nicht die Anfrage der Berliner Piraten von 2013 in Erinnerung rufen, ob die Stadt für den Fall einer Zombie-Apokalypse einen Vorsorgeplan hat. Man muss auch nicht auf das jahrzehntelange Gerangel um das wiedererrichtete Berliner Stadtschloss verweisen und die Angst der Dahlemer Museen, in Zukunft verwaiste Räume ausstellen zu müssen oder den Streit um die zukünftige Verwendung der Flächen des ehemaligen Flughafens Tempelhof, die Diskussionen um die Landesbibliothek oder… oder… oder… Und schon gar nicht muss man an den Gentrifizierungswahn der Sprachwissenschaftler an der Berliner Humboldtuniversität erinnern, obwohl das in diesem Zusammenhang vielleicht gar nicht mal verkehrt wäre.
Wir sprechen von einer Stadt, die es zunächst für das eigene Selbstverständnis gebraucht hat, Wowererits Satz „Wir sind zwar arm, aber trotzdem sexy“ zum Claim er erheben. Erst wurde so das Selbstverständnis definiert und gleichzeitig so das angekratzte Selbstvertrauen aufpoliert – zum Beispiel gegen die stets polterige Mia san Mia Arroganz aus München, und das  nicht auf Fußball sondern auf das bayerische Erfolgsmodell von Laptop und Lederhose bezogen.
Mittlerweile scheint das arm, aber trotzdem sexy sich zum Wahlversprechen und schließlich zur Handlungsmaxime und politischen Richtliniendefiniton weiterentwickelt zu haben.
Ampelmann_rotDas zumindest darf man sich fragen, wenn in Berlin von der Einführung der Ampelfrau gesprochen wird: Jetzt müssen endlich Ampeldamen her, meint Martina Matischok-Yesilcimen. Die SPD-Fraktionsvorsitzende des Berliner Bezirks Mitte hat einen Antrag eingereicht, der vorsieht, an einigen Standorten Ampelfrauen einzuführen: „Wir wollen ein Zeichen setzen in Richtung Gleichberechtigung. Die Ampelfrauen sollen die Ampelmännchen aber nicht ersetzen, sondern nur dort eingesetzt werden, wo Ampeln ohnehin ausgebessert werden müssen. So entstehen der Stadt auch keine zusätzlichen Kosten.“ So ist auf ntv.de zu lesen. Während die Abgeordnete davon spricht, dass keine zusätzlichen Kosten entstehen, kursieren in der Gerüchteküche der Hauptstadt und deren viralen Ableger Twitter bereits siebenstellige Beträge, die das Umrüsten im Sinne der Gleichberechtigung verursachen können. Berlin hat’s ja. Hohn und Spott gibt’s im Netzt gleich tonnenweise und gratis dazu. Übrwiegend natürlich von Männern. Was auch nicht weiter verwunderlich ist…
ampelfrauDabei ist das Ansinnen auf der einen Seite zwar nachvollziehbar, auf der anderen Seite aber für die praktische Umsetzung schon in den üblichen Vorfelddiskussionen ein Eigentor ( Entschuldigung, liebe Hauptstädter. Kein Eigentor, ein Bärendienst!) „Wir wollen aber keine Frau mit Zöpfen und Walla-Walla- Rock“, sagt Martischok-Yesilcimen, „sondern eine moderne, selbstbewusste Frau.“ Sie denke da an eine Ampelfrau in Hose und Absatzschuhen. wird die Politikerin im Tagesspiegel  zitiert. Zustimmung findet der Vorschlag laut gleicher Zeitung vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. „Wir finden Maßnahmen gut, bei denen keine stereotypen Geschlechterbilder reproduziert werden“, sagt Geschäftsführer Jörg Steinert. Die Frage sei aber: „Wie will man Vielfalt zeigen?“
Und genau hier fangen die Probleme an, für deren Lösungen Berlin ja berühmt ist:

1. Es gibt nicht nur Männer und Frauen. Allein Facebook bietet je nach Land 58 verschiedene Gender Options an, Facebook Deutschland nebenbei bemerkt nur zwei, wie ich soeben erst mit meinem eigenen Leibe abgestimmt und dann am eigenen Account überprüft habe.
Wenn das Umrüsten der Ampeln in Berlin und vielleicht auch in anderen Städten stattfinden soll, müssen dann nicht alle Varianten berücksichtigt werden – von Agender, androgyn und Bigender über Cisgender, Intersex und Pangender zu Transsexual? Und das ist jetzt nicht etwa ironisch gemeint sondern ein berechtigtes und vor allem politisch korrektes Ansinnen.

Ampelmann_gruen2. Wie bitte soll die graphische Umsetzung der Ampelmenschen dann aussehen, dass man sie zwar genderisiert zuordnen kann aber nicht wie Martina Matischok-Yesilcimen erwartet, klischiert und steretotyp auf Zopf und lustiges Röckchen reduziert wie zum Beispiel in Zwickau?

3. Wie passt das Ampelweibchen und ggf. alle weiteren Geschlechtsvarianten grafisch zum etablierten und durchkommerzialisirtem Ampelmännlein, dass von Tasche bis T-Shirt, Becher bis Schreibwaren alles ziert, was Merchandisinglieferanten möglich gemacht haben und Souvenirshops ins Sortiment bekommen? Es muss ja alles homogen aufeinander abgestimmt werden, damit die Produktpalette rund bleibt.

4. Wenn die Ampeln durch sind, werden dann auch di- oder besser gleich multimorphistische Varianten der Verkehrsschilder erstellt? Es stellt sich ja auch die Frage, warum zum Beispiel die Schilder 239 bis 242.2 Gehweg – Fußgängerzone eine Frau bzw. ein rocktragendes Wesen mit einem Kind oder einem kleinwüchsigen geschlechstneutralem Menschen an der Hand zeigt? Stimmt. Da war mal was. Der Herr mit Hut, der früher zu sehen war, wurde wegen eines Kollektiv-Verdachts gegen alle männlichen Wesen wegen potentiellen Kindesmissbrauchs ausgetauscht, weil Kinder hier eine ikonographische Ermunterung erkennen könnten, mit fremden Männern mitzugehen…

Mein Vorschlag: Erst mal einen Senatsausschuss gründen und einen Vorsitz wählen lassen, dann einen Agenturpitch veranstalten und letztlich eine möglichst hochkarätige Grafikagentur beauftragen. Gegen ein astronomisches Honorar, versteht sich. Wie gesagt: Berlin hat’s ja.

Und wenn die Hauptstädter damit fertig sind, könnten die Stadträte in den anderen Kommunen gleich nachziehen – natürlich auch wieder den jeweiligen regionalen Bedürfnissen entsprechend. Also plädiere ich dafür, dass zumindest in München, Nieder- und Oberbayern Ampelmenschen, wenn sie denn überhaupt umgerüstet werden, ggf. in fescher Lederhosn und Dirndlgwand gezeigt werden. Schließlich: Mia san mia!

Fotos: Wikipedia, User Elya

2 Antworten

  1. Sakrament!

    Wenn ich allein den wundervoll phonetischen Doppelnamen: Martischok-Yesilcimen höre, weiss ich schon Bescheid über die „Dame“

  2. Also, ich finde, das hat was. Allerdings würde ich sie nur dort aufstellen, wo besonders viele Frauen über die Straße gehen. Nach dem gleichen Prinzip könnte man auch das „Ampelkind“ kreiieren und in der Nähe von Schulen aufstellen. Und der „Ampelhund“ wäre toll, wenn dort viele mit Lumpi Gassi gehen.

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