„Wo die Moral abhanden kommt, da gerät der freiheitliche Rechtsstaat in Gefahr.“ Dies lies Horst Köhler vor wenigen Tagen bei der Verleihung des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik in Berlin verlauten. Aber stimmt das eigentlich?
Ich meine, es stimmt auf gefährliche Weise nicht! Angesichts der zahllosen aktuellen Skandale um offene Rechtsbrüche unserer Vorzeigeunternehmen von Siemens bis zur Deutschen Telekom vermischt die öffentliche Diskussion zwei grundsätzlich voneinander unabhängige Probleme:
Natürlich ist es wahr, dass die soziale Ungleichheit in unserem Land zunimmt. Natürlich orientieren sich die Vorstände unserer börsennotierten Unternehmen in erster Linie an den Interessen ihrer Shareholder und nicht an den Interessen ihrer Mitarbeiter. Natürlich schanzen sich Vorstände hohe Abfindungen zu, wenn sie ihr Unternehmen mitsamt ihrer Mitarbeiter an den Wettbewerb verkaufen. Und natürlich ist das alles nicht schön und manchmal auch auf lange Sicht für unsere Gesellschaft, die auf Konsens beruht, gefährlich. Aber das ist eine Wertedebatte, die es in privatwirtschaftlich verfassten Wirtschaftssystemen immer schon gab und auch immer geben muss. Es ist die alte Diskussion um die neuerdings wieder so beliebten paternalistisch organisierten Familienunternehmen einerseits (siehe Handelsblatt vom 17. Juni) gegen die modernen und anonymen Aktiengesellschaften, die für Karl Marx eine Vorlage für sozialistische Unternehmen und für Norbert Blüm eine prima Voraussetzung zum sozialen Ausgleich über die Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen, darstellen. Da scheinen heute in der Diskussion die Fronten gehörig durcheinander zu geraten. Aber das ist ein eigenes Thema …
Die ganze Diskussion um Moral und Werte in Unternehmen muss sorgfältig unterschieden werden, von der Debatte um kriminelle Machenschaften von Unternehmern. Die Steuerhinterziehung von Zumwinkel ist ein gewöhnlicher krimineller Akt, der juristisch verfolgt werden muss. Das gleiche gilt für Bestechungen durch Siemens Manager und die unseligen Abhörspitzeleien bei der Deutschen Telekom. Hier lautet doch die Frage nur, welche Kontrollmechanismen es braucht, um solche kriminellen Machenschaften aufzudecken. Die Dunkelziffer bei solchen Fällen dürfte extrem hoch sein.
Ich plädiere für eine Trennung der Diskussion um Rechtsverstöße von der Diskussion um Unternehmenswerte weil man sich zwar über Unternehmermoral streiten kann, nicht aber über Recht und Gesetz. Gegen Rechtsverstöße braucht es Kontrollmechanismen. Bessere, als wir sie zur Zeit haben. Neue Befugnisse und Regeln für Aufsichtsräte zum Beispiel.
Wer den Wertediskurs mit den juristischen Fakten um Wirtschaftskriminalität vermengt, verharmlost die organisierte Wirtschaftskriminalität und suggeriert letztlich, dass die Einkommenssteuer von Zumwinkel eine freiwillige Zahlung ist, die nur mangels Moral nicht geleistet wird. Steuerhinterziehung ist keine Frage der Moral. Die Orientierung am Shareholder Value aber sehr wohl! Klartext: Bestechung ist aus gutem Grund gesetzlich untersagt, nicht nur weil es sich dabei um eine Wettbewerbsverzerrung handelt, sondern vor allem auch weil auf diese Art Gelder in illegale Strukturen fließen (auf wievielen Payrolls deutscher Unternehmen stand Saddam eigentlich?). Moralisch müssen die diesbezüglichen Aktivitäten von Siemens-Managern dabei keinesfalls immer verwerflich sein. Ich habe persönlich mehr Respekt vor einem Siemens-Manager, der sich und seinen Mitarbeitern Aufträge durch Bestechung sichert, als vor einem Manager, der seine Steuern nicht bezahlt. Falsch ist das Handeln beider.
Na, wir sind aber weit gekommen seit den 68ern, lieber Michael. Damals hättest du ganz anders über Werteverfall und Unmoral vom Zaum gezogen.
Und ich finde auch, dass du, wo du inzwischen ein gutsituierter Agenturchef und Unternehmer geworden bist, es dir ein bisschen zu einfach machst. Gut, du magst ja selbst ein äußerst sozial agierender Arbeitgeber sein (siehe die ungewöhnlich liberale Regelung der Jahrestantiemen bei Vibrio, die faktisch auf eine Art Mitarbeiterbeteiligung am Betriebsergebnis hinausläuft).
Aber das kann doch unmöglich deinen Blick vor der Tatsache verschließen, dass mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Modells weltweit der Raffkapitalismus inzwischen sozusagen zum Weltstandard geworden ist und nicht etwa die aufgeklärte soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard (der heute vermutlich als Linksradikaler aus der CDU ausgeschlossen werden würde).
Tatsache ist, dass die Zügel für die Superreichen niemals seit der „Gilded Age“ Ende des 19. Jahrhunderts so locker gewesen sind wie heute. Das ist auch der Grund, weshalb Exzesse in der Chefetage so alltäglich geworden sind. Und es ist auch der Grund, weshalb wir heute beispielsweise in Deutschland eine deutliche linke Mehrheit im Parlament haben. Dass die SPD dies ignoriert und sich damit zusehens selbst in die historische Irrelevanz verabschiedet, ist eine andere Sache.
Dass wir Kriminelle bestrafen müssen ist selbstverständlich, und das passiert auch, mehr oder weniger. Dafür sorgen schon die sich ständig verschärfenden Regularien und Richtlinien, Stichwort: „corporate compliance“.
Übrigens nur zur Erinnerung: Da es bei Cyzlansky vorwiegend um Digitalität und Vernetzung geht, sei bemerkt, dass die Digitaltechnik hier in Zukunft eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen wird, denn Vertrauen (in die menschlichen Aufpasser, zum Beispiel die Compliance-Abteilung von Siemens…) ist gut, aber Kontrolle (durch unbestechliche, manipulationsgehärtete Überwachungssysteme für alle relavanten Geschäftsprozesse im Unternehmen) ist besser.
Aber wir brauchen auch mehr soziales Gewissen. Und die lässt sich leider nicht durch Software, sondern nur mit Begriffen wie Moral und Ethik erreichen. Ich bin jedenfalls nicht bereit, unmoralisches Handeln von Managern und Unternehmern sozusagen auf die hintere Herdplatte zu schieben! No pasaran!
vorsicht: ich argumentiere nicht gegen die wertediskussion in unternehmen. mir geht es nur darum, dass, wer die wertedebatte mit den straftaten vermischt, eben diese strafdaten verniedlicht. und ich warne davor zu glauben, dass grundlegende probleme – etwa die ungerechte verteilung von reichtum – über eine wertediskussion allein in den griff zu bekommen ist.
auch tausend freundliche ältere altruistische familienunternehmer sind kein garant für vollbeschäftigung! ich bin zwar sehr für diese familienunternehmer – ich bin ja auch für mich – aber die grossen gesellschaftlichen herausforderungen werden wir so nicht lösen. oder, tim, falls dir das besser gefällt: die compliance manager haben die unternehmen nur immer verschieden interpretiert. es kömmt aber darauf an, sie zu verändern …