Bild: titanic
„Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Dieses Mal guckt Jürg Altwegg spitzbübisch hinter den Lettern der F.A.Z. hervor und schmiedet neue ganz große Koalitionen im aktuellen Kulturkampf um das Internet. Gestern machte er den Schirrmacher (ein bißchen von hier, ein bißchen von da, dreimal rühren, fertig ist die Wahrheitsdroge) und kommentiert das neue französische Gesetz gegen Raubkopierer, genannt „Hadopi – Haute Autorité pour la Diffusion des Œuvres et la Protection des Droits sur Internet“.
Nachdem dieses Gesetz, das den Urheberrechtsverletzungen im Internet ein Ende bereiten soll und derart der tradierten abendländischen Hochkultur wie auch der Kulturindustrie die Zukunft sichern will, nach langem Hin und Her und ebenso kreativen wie subversiven Aktiönchen der französischen Piraten im vergangenen Jahr vom französischen Parlament verabschiedet wurde, hat vor wenigen Tagen in Paris die eigens neu geschaffene Hadopi-Behörde ihre Arbeit aufgenommen. Jürg Altwegg nimmt dies zum Anlass, sich aus radikalliberaler Sicht an die Online-Piraten anzuwanzen. Er beobachtet korrekt, dass sich bei unseren westrheinischen Nachbarn linke und konservative Kulturpolitiker gleichermaßen für den Schutz des Urheberrechts stark machen und deshalb gemeinsam Hadopi durchgeboxt haben. Er hält das für eine neue Allianz aus Links und Rechts, aus kultureller Avantgarde und Konservativen, und behauptet frech: „Die Intellektuellen stehen nicht mehr links – jetzt sind sie auch nicht mehr in der Opposition. Das Internet hat eine bislang nie vorstellbare Allianz der Kulturschaffenden und der Regierung entstehen lassen.“
Dabei waren sich in der Grande Nation Linke und Rechte seit der Französischen Revolution wohl immer darin einig, dass ein starker Staat für den Schutz der Kultur notwendig und zu begrüßen sei. Die politische Linke begriff sich wie die kulturelle Avantgarde in Frankreich niemals als antistaatlich. Wenn es um den Schutz französischer Kulturgüter ging – etwa die französische Sprache in der Populärmusik oder die religiöse Neutralität des Staates – gab es immer schon eine ganz große Koalition. Aber wären Mitterand und Nicolas de Funés deshalb je miteinander ins Bett gestiegen? Wohl kaum!
Jürg Altwegg aber bläst das gemeinsame Abstimmungsverhalten von Links und Rechts zum Popanz auf und auch gleich das Halali zur konservativ-piratischen Gegenrevolution, wenn er von der bekrittelten Mesalliance behauptet: „Ihre Front des Widerstands gegen die Piraten ist auch eine Maginot-Linie gegen den Pöbel im Netz. Er fordert seine demokratische Meinungsfreiheit ein und macht sie zur Meinungsgleichheit. Es geht um Kritik, die Privatsphäre und die Debattenhoheit. Im Internet tobt ein Klassenkampf gegen die Elite und die Regierung. Manchmal hat man den Eindruck, der Graben sei so tief wie vor 1789. Frankreichs politische und intellektuelle Klasse hat Angst vor den Bloggern und Kampagnen im Netz, in dem ein Dritter Stand der Debattenkultur die Macht zu übernehmen droht.“
Geht’s vielleicht auch mal eine Nummer kleiner? Die guten Blogger und braven Web-Piraten als dritter Stand, untergehakt bei staatsfernen Liberalkonservativen im Klassenkampf gegen die links-rechte Toskana-Fraktion! Was für ein Bild! Da fährt die F.A.Z. ihre Tentakel aus, um die ge-taz-ten Online-Piraten an ihre feuchte Brust zu drücken. Die F.A.Z. macht sich zum pseudoliberalen Kampfblatt der Piraten-Partei. Letztere wird diese Liebkosungen schwerlich überleben. Man sieht schnell, wohin Altwegg die Fuhre steuern will: „Sarkozy betreibt eine offensive Internetpolitik, von der immer deutlicher wird, dass sie von Napoleon inspiriert ist. Napoleon disziplinierte die Kultur nicht nur mit Zensur, sondern auch mit neuen Institutionen, Privilegien und Anreizen – auf ihn gehen die Orden und Literaturpreise zurück.“ Nehmt den Künstlern ihre von Jury-Vorbetern zugeschanzten Preise weg – das Volk weiß schon, was es will. Mit der Kritik an subventionierter Hochkultur vermischt Altwegg in Schirrmacherscher Manier gleich noch die Diskussion um die Internet-Überwachung gegen Kinderpornografie und die „Google-Steuer“ und malt daraus das Bild vom Überwachungsstaat – als wenn es zwischen Laissez fair-Netz und Big Brother-Diktatur keine Alternativen gäbe. Wer immer für staatliche und demokratisch legitimierte Förderung von Kultur oder auch für den Schutz des Urheberrechts sich einsetzt wird ihm zum totalitären Kulturfaschisten – mal schwarz, mal rot lackiert. Wie schon bei Schirrmacher mangelt es hier an Differenzierungsvermögen. Man kann aus gutem Grunde für staatliche Kulturpolitik eintreten und trotzdem zugleich gegen sinnlose und in der Perspektive gefährliche Überwachungstechniken im Kampf gegen Kinderpornografie argumentieren.
Was mich an den aktuell überhand nehmenden F.A.Z.-Sprachrohren von Schirrmacher bis Altwegg so gnadenlos nervt, ist ihr Versuch unter dem Deckmäntelchen der ganz großen Kulturkritik alles was man irgendwo mal gelesen hat zwanghaft miteinander zu vermengen und die vermeintlich einfache Lösung des Marktes als einzigen Ausweg gelten zu lassen. Was mich an der F.A.Z. zunehmend nervt ist ihr akademischer Boulevardjournalismus.
2 Antworten
ein leser-kommentar in der f.a.z. zum oben erwähnten artikel:
„Das Internet ist eine Gefahr für das linksliberale Establishment, da es die Vernetzung und Vergewisserung des Volkes ggn. einer korrupten und autistischen Funktionselite gewährleistet.“
das kommt dabei raus, wenn man populistisch verkürzt argumentiert. spinnereien über korrupte linksliberale eliten …
Blogger aller Länder – vereinigt Euch!