Buchbesprechung: Matthias Brandt: Raumpatrouille

Da schreibt einer über meine Kindheit. Ach, das ist ja Matthias Brandt, der Sohn von Willy. Er schreibt über Raumpatrouille, Ricky Shane, Bonanzarad und Percy Stuart. Schon auf den ersten Seiten. Vor Monaten war das meine Lektüre auf einer viel zu kurzen Zugfahrt. Was für ein schönes Kinderbuch. Wir haben den gleichen Vater, Matthias Brandt und ich. Irgendwie.

Ich habe es damals versäumt eine Besprechung dieses Buchs zu schreiben. Es wird allerhöchste Zeit dies nachzuholen. Denn es ist ein wunderbares Buch. Und ich kann natürlich nicht versäumen zu erwähnen, dass ich Vater Willy vor vielen Jahren noch kennenlernen durfte. Zwei Mal sogar: einmal als kleiner Bub und einmal als junger Mann. Als Bub muss das 1965 gewesen sein, im Bundestagswahlkampf. Willy Brandt war Kanzlerkandidat und ich Sohn meines sozialdemokratischen Vaters. Willys Wahlkampf-Bus machte Station im Gasthof „Zur Windmühle“, 500 Meter von meinem Elternhaus. Die örtlichen SPD-Honoratioren empfingen ihn, aber niemand sah Willy so gut wie ich, auf den Schultern meines Vaters sitzend. Um was es ging war mir nicht klar, ich war gerade Mal sechs Jahre alt. Aber der Mann muss wichtig gewesen sein. Ich kann mich jedenfalls gut an den Tag erinnern.

Drei Mal Willy

Später war der Mann oft im Fernsehen zu sehen und er war neben Willy Millowitsch der einzige Mann im Fernseh-Kasten den meine achtzigjährige Großmutter mit Namen kannte. Sie machte sich auch immer ein wenig hübsch und setzte sich ins rechte Licht, da man ja nie wissen konnte, ob die beiden Willys im Fernsehkasten sie nicht auch sehen konnten in ihrem Sessel im Wohnzimmer…

Überhaupt die beiden Willys. 1972 war ja das große „Willy wählen“-Jahr. Auch an unserer Schule trugen wir alle diese Plakette – bis sie an bayerischen Schulen verboten wurde. Also gründeten wir spontan eine Kampagne „Willy Millowitsch muss den BRAVO Otto erhalten“. Und auch in der Schülerzeitschrift erschien ein Artikel zu dieser Kampagne, illustriert mit einer verbotenen Willy wählen-Plakette. Seit der Zeit hieß diese Plakette bei uns nur noch Willy-Millowitsch-Plakette.

Ein paar Jahre später konnte ich mich dann sogar ein wenig mit dem richtigen, also dem SPD-Willy unterhalten. Das begab sich am Rande eines Juso-Bundeskongresses. Ich war dort einer der jüngsten Delegierten, Mitglied der gleichen Juso-Zeitschriften-Redaktion wie ein gewisser Gerd Schröder. Ein wenig später habe ich dann mit einem anderen Nordlicht namens Olaf Scholz Anträge zur Technologiepolitik abgestimmt für den SPD-Bundesparteitag. Im Unterschied zu Gerd und Olaf bin ich nach dem Tête-à-Tête mit Willy dann aber in die Industrie zu Bill gewechselt (auch ein Willy) und hab mich wirklich mit neuen Technologien beschäftigt. Aber ich schweife ja schon wieder ab, ich wollte ja über dieses Buch schreiben, diese Raumpatrouille …

Jetzt aber: Matthias Brandt: Raumpatrouille

Matthias Brandt erzählt in seinem Buch vierzehn Geschichten von der Kindheit. Nein: er erzählt vierzehn Geschichten aus der alten Bonner Republik und zwar aus der Perspektive eines Kindes, aus seiner Kindheitsperspektive. Und wenn man einmal davon absieht, dass einige Protagonisten seiner Geschichten Herbert Wehner oder Heinrich Lübke heißen, dann könnten diese Geschichten genau so gut meine Geschichten sein. In meiner Kindheit hießen sie eben Onkel Alois oder Onkel Ernst (das ist der nette Onkel im Titelbild ganz rechts, schwäbischer Textilarbeiter, ganz rote Socke …). Das Buch ist eben KEINE Liebeserklärung an Willy Brandt, wie Georg Löwitsch in der taz meinte. Es ist einfach ein Buch über eine Kindheit in der alten BRD, eigentlich ein Buch über MEINE Kindheit. Es ist ein Buch über Ricky Shane, der als Bravo-Starschnitt in grüner Hose und gelbem Seidenhemdchen über meinem Bett hing; ein Buch über Percy Stuart, der in 13 Folgen im Vorabendprogramm lief; und natürlich über die Raumpatrouille mit der stolzen Russin Tamara, in die ich unsterblich verliebt war.

Das Buch ist der Gegenentwurf zu einem Roman eines anderen Fernsehkommissars, zu „Hast du uns endlich gefunden“ von Edgar Selge. Selge rechnet mit einer schweren Kindheit und Jugend und mit seinem Vater ab. Matthias Brandt muss das nicht. Er hatte alles in allem eine glückliche Kindheit, freilich mit den Untiefen von Einsamkeit und Leid, die wir alle immer wieder – spätestens in der Pubertät – durchlitten haben.

Im Übrigen schreibt Brandt wie er schauspielert: zurückhaltend, leise, mit karger Mimik. Es ist ein langsames Buch, das langsam gelesen werden will. Man will immer wieder mal eine Pause einlegen beim Lesen, um eigene Erinnerungen in Brandts Erzählungen einzuweben. Dann wird daraus tatsächlich eine Liebeserklärung – aber nicht an Willy, sondern an Matthias. Und an unsere gemeinsame Kindheit. An Ricky Shane, an Tamara, Percy und die anderen von der Gang.

Illustrationen © Michael Kausch

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3 Antworten

  1. Dieses Mal darf/kann ich mich nicht für eine Leseempfehlung bedanken, denn ich habe dieses Buch bereits gelesen und postwendend ein weiteres Exemplar meinem Bruder geschenkt, weil es mir so gut gefallen hat.
    Das ist mit der Orion Crew sozusagen nicht nue der Rücksturz zur Erde sondern in auch unsere Kindheit, die etwas später war als Deine. Matthias Brandt dürfte altersmäßig zwischen uns liegen.

  2. Nein, bisher noch nicht. Immer drängelte sich Anderes, was ich unbedingt sofort lesen wollte, dazwischen.

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