Varian Fry Auslieferung auf Verlangen

Buchvorstellung: Varian Frey - Auslieferung auf Verlangen

Als ich mich 1987 beim Verfassen meiner Dissertation über die Arbeiten der emigrierten Mitglieder des Instituts für Sozialforschung zur Kulturindustrie mit der Emigration deutscher Schriftsteller während der Nazi-Diktatur beschäftigt habe, war das Thema Exilliteratur noch weitgehend unerforscht. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Und spätestens seit Uwe Wittstock mit „Marseille 1940“ einen Bestseller gelandet hat, hat das Thema Eingang in die vordere Reihe der Schaufenster der großen Buchkaufhäuser gefunden. Und so hat auch Varian Fry endlich die Bekanntheit gefunden, die er verdient hat. Ihm verdanken viele deutsche Schriftsteller, aber auch Schauspieler und bildende Künstler ihre Rettung vor den Schergen der Nazi-Barbarei – und wir verdanken ihm viele wunderbare Bücher, Bücher, Bücher …

Auf den Spuren von Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann

In dem Buch „Auslieferung auf Verlangen. Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41“ schildert Varian Fry die Geschehnisse zwischen dem 15. August 1940 und dem 29. August 1941 in der südfranzösischen Stadt. In diesem Jahr leitete er das „Emergency Rescue Committee“ (ERC) und organisierte die Flucht von mehreren Hundert politisch Verfolgten aus Europa. Unter den Geretteten finden sich berühmte Namen wie Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Alfred Döblin, Hans Sahl, Franz Werfel, Walter Mehring, Maler wie Marc Chagall, Marcel Duchamp und Max Ernst. Er kümmerte sich auch um zahlreiche Gewerkschafter und Politiker, die er, wie die Künstler, über die Berge oder auf Schiffen aus Frankreich und über Spanien, Portugal oder Nordafrika nach Mexiko, Südamerika oder in die USA brachte.

Kassiber in der Tube

Viele seiner Aktionen waren finanziert durch Privatpersonen. Die Rückendeckung durch die US-Regierung war schwach, häufig auch gar nicht gegeben. Die Rettungsaktionen erfolgten überwiegend illegal, die Methoden waren abenteuerlich und immer wieder wurden Mitarbeiter seines Büros von den Deutschen oder von französischen oder spanischen Kollaborateuren verhaftet. In seinem Buch schildert er immer wieder die Arbeit im Untergrund, die Herstellung falscher Ausweisdokumente, den Transport von Kassibern und ähnliches. Einiges ist sehr lehrreich. Wer kommt schon auf die Idee, dass der einfachste Weg illegale Botschaften im Reisegepäck zu transportieren darin besteht, eine Zahnpastatube hinten aufzuschneiden, die Botschaft hineinzuschieben, und anschließend die Tube von hinten aufzurollen, wie man das eben macht mit Zahnpastatuben?

Die Surrealisten im Warteraum

Varian Fry erzählt aber auch ausführlich vom Alltag der in Marseille Gestrandeten, von einem Alltag, der vor allen Dingen aus Warten bestand: Warten auf echte Ausreise-Visa und gefälschte Ausweisdokumente. War ein Ausreise-Visa für Frankreich da, war das Transitvisum für Spanien gerade abgelaufen oder es fehlte das Ticket für die Schiffspassage nach Mexiko oder eine Einreiseerlaubnis für die USA. Gab es eine Einreiseerlaubnis fehlte der Ausreiseschein oder die gefälschten tschechischen Ausweise waren plötzlich nutzlos geworden, weil sie nicht mehr von der französischen Polizei akzeptiert wurden. Für mehrere Monate saßen zahlreiche Maler des Surrealismus, um die sich Fry kümmerte, am Rande von Marseille in der Villa Air-Bel fest. Maler wie Max Ernst und André Breton lebten und arbeiteten dort und organisierten illegal Ausstellungen.

1941 musste Fry Frankreich verlassen, nicht nur auf Druck der Vichy-Regierung, auch weil die US-Administration auf seine Rückkehr drängte. Man wollte einfach keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, erst recht keine linken und jüdischen Intellektuellen, und diese machten natürlich einen erheblichen Anteil unter den antifaschistischen Emigranten aus. Heute schätzt man, dass rund 4.000 Menschen durch direkte oder indirekte Hilfe von Varian Fry aus dem Einflussbereich Hitler-Deutschlands fliehen konnten. In Berlin wurde eine kleine Straße nach ihm benannt. Keine Allee ist groß genug, um ihn zu ehren.

 

Titelbild © Michael Kausch; Foto „Varian-Fry-Straße“ Goesseln/Wikimedia

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