„Ich habe Hermann Grabs Erzählung mit einem Vergnügen gelesen, wie sie mir lange kein Manuskript bereitet hat.“ Der Satz könnte von mir sein, ist er aber nicht. Thomas Mann hat sich so über Hermann Grabs kleinen Roman „Der Stadtpark“ geäußert, ein Werk, das fast vergessen war und auf das ich erst durch einen Hinweis meines Sohnes aufmerksam wurde. es war ein wertvoller Hinweis, denn Hermann Grab ist für mich persönlich wohl die literarische (Wieder-)Entdeckung des Jahres. Warum eigentlich?
Herman Grab war ein begnadeter Impressionist der Schriftstellerei. Geboren am 6. Mai 1903 – ja, uns eint der Geburtstag – in Prag, der Stadt in der 20 Jahre zuvor Franz Kafka auf die Welt kam. Zumindest letzteres ist kein Zufall, denn der Geist der Stadt an der Moldau prägte beide. Beide auch waren sie jüdischer Abstammung, wenngleich Grabs Familie wie zahlreiche andere großbürgerliche Sippen auch zum Katholizismus konvergiert war. Grab wie Kafka wurden gleichermaßen von der Erfahrung des Niedergangs der bürgerlichen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert wie vom Antisemitismus in der modrigen Spätphase der k.u.k.-Monarchie geformt.
Der lange Marsch in die Innerlichkeit in Verbindung mit der feinen Wahrnehmung des Bildungsbürgers erlaubte ihm die Durchdringung gesellschaftlicher Realitäten mit subjektivistischer und impressionistischer Schreibe. Adorno, den Grab zu seinen Freunden zählen durfte, bemerkte zu Grab, „dass ihm der österreichische Impressionismus noch selbstverständlich war, als längst die spiegelnd glatte Fläche der Gesellschaft zerbrochen lag. Er hat den poetischen Konflikt des zarten Subjekts mit der befestigten Bürgerlichkeit nachgelebt, während schon Kafka die schwarzen Parabeln schrieb, in denen das Subjekt einzig noch als verendendes erscheint. Aber er hat mit einer Zähigkeit, die seiner Zartheit gleichkam, aus dem Anachronismus ein Mittel der Verfremdung gemacht.“ (zit. nach Jakob Hayner; s.u.)
Worum geht es im Stadtpark?
Geschildert werden die (seelischen) Erfahrungen Renatos, eines Sohnes wohlhabender Eltern, der den jugendlichen Hermann Grab repräsentiert. Geschildert werden seine Erfahrungen mit der so monströsen wie morbiden Erwachsenenwelt, seine ersten amourösen Gefühle ebenso, wie die Erfahrung von Todesnähe, Krieg und Abschied. Eine empfindsame Kinderseele wird zum Zerrspiegel der Prager bürgerlichen Gesellschaft in den Jahren 1915/16. erlebbar wird dem Leser ein Panoptikum der Seele, eine Referenz psychoanalytischer Erklärung, eine Reise durch Friseurläden, Salons und immer wieder durch den mit Flanierenden belebten Stadtpark.
Grab war gelernter Soziologe aber eher doch schreibender Psychologe. Dabei war seine Wahrnehmungsfähigkeit von so akkurater Genauigkeit und seine Sprachbegabung von solch musikalischer und kompositorischer Kraft, das selten ein genaueres Psychogramm einer Gesellschaft und ihrer Protagonisten wohl erstellt wurde. Zu einer analytischeren Haltung war das Bürgertum zu keiner Zeit fähig.
Wer Hermann Grab kennen lernen will – und dies sei an dieser Stelle jedem geraten, der gerne liest – dem sei der kleine Roman „Der Stadtpark“ empfohlen, der im „Verlag Neue Kritik“ wieder aufgelegt wurde. Ach ja – und Jakob Hayners kenntnisreiche Besprechung des Werks in der Jungle World 50 vom 13. Dezember 2012 sei dem Leser auch noch ins Pflichtenheft geschrieben.
Eine Antwort
Toll, dass der Roman wieder in einer Neuauflage verfügbar ist. Er zählte zu einer interessanten literarischen Szene in Prag, die von Wolfgang Schiffer in seinem Blog sehr schön skizziert wurde: http://wolfgangschiffer.wordpress.com/2013/12/10/das-prager-literaturhaus-deutschsprachiger-autoren/