Gauck stellt die (rhetorische) Frage, ob die Linke bereits in der Demokratie angekommen sei – und die Linke empört sich. Und nun meine ich mit der „Linken“ nicht die Partei, sondern all jene, die sich in unserem Land als „links“ verstehen, wesalb auch viele in der SPD und bei den Grünen nun über Gauck herziehen. Ich finde das falsch.
Gauck interpretiert das Amt des Bundespräsidenten nicht als dasjenige eines Repräsentanten des kleinsten gemeinsamen Nenners der Bundesbürger. Nicht zu jedem Thema, das in unserer Gesellschaft umstritten ist, darf er keine Meinung haben. Er will – und soll – kein Bonner Grußaugust sein, sondern ein Berliner Anreger. Nur wenn er seine Meinung sich zu sagen wagt, repräsentiert er wirklich den Kern unserer Gesellschaft: die auf Diskurs basierende Meinungsbildung und Meinungsfreiheit.
Gauck soll zum Diskurs anregen, in dem er seine Meinung, so sie einen relevanten Teil unserer Gesellschaft vertritt, in die Debatte wirft. Und natürlich dürfen jene, die unter der SED gelitten haben, misstrauisch sein in Bezug auf die PDS und die „Linke“. Ihre Angst und ihre Sorge gehören zu unserem Land.
In der Sache freilich mag ich Gauck nicht zu stimmen: die Linke ist heute längst eine (links)sozialdemokratische Partei, jedenfalls in den neuen Bundesländern. Und Bodo Ramelow ist ein typisches Westgewächs der sozialdemokratischen 70iger Jahre: aus „“einfachen“ Verhältnissen, Karstadt-Lehrling, zweiter Bildungsweg, Gewerkschaftssekretär. Ich kenne viele solche Biografien. Und mit der SED hat so jemand wirklich nichts zu tun, weniger jedenfalls, als die zahlreichen gestrigen Blockflöten in der CDU oder der FDP.
Nein, in der Sache teile ich Gaucks Bedenken nicht. Aber dass er sie äußert ist gut und richtig, denn dass es noch immer viele nachhaltig geschädigte Lebenslinien aus dem SED-Unrecht gibt, darf nie vergessen werden.
Ein Bundespräsident, der offen nicht meiner Meinung ist, ist mir lieber, als ein Repräsentant des Schweigens.