Das Internet vergisst nichts, lieber EuGH!

Da steht es schwarz auf weiß!
Da steht es schwarz auf weiß!

Die Aufregung um das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum „Recht auf Vergessen“ hat natürlich hohe Wellen geschlagen. Während die einen das Urteil als „Sieg für den Datenschutz“ feiern, geißeln andere ihn als die „Zensur durch Datenschutzrecht“. Haben die Oberrichter die Meinungsfreiheit abgeschafft? Werden Google & Co. bald aus Angst vor der Staatsanwaltschaft jede negative Meldung vorsorglich vom Netz nehmen? Ist das Internet in ein paar Jahren nur noch roasrot und himmelblau?

Ich denke, in der Aufregung des Augenblicks vergessen die meisten, wie das Internet funktioniert. Erinnern wir uns: Den Auftrag zum Bau des „ARPAnet“ (das „Advanced Research Projects Agency Network“), kam 1962 vom US-Militär, die sich darüber sorgten, dass die Russen es schaffen könnten heimlich eine Atombombe über dem Hauptquartier der Luftwaffe zu zünden, wobei der so genannte „EMP-Effekt“, also der bei der Zündung verursachte elektromagnetische puls, die empfindlichen Kommunikationssysteme außer Gefecht setzen könnten. Der Albtraum der Generäle war, sie könnten in ihren Betonbunkern festsitzen und immer wieder vergeblich auf den roten Knopf drücken, um den atomaren Gegenschlag auszulösen, und nichts passiert. Sie wollen also ein Kommunikationssystem haben, das auch dann noch funktioniert, wenn Teile davon unbrauchbar geworden sind. Das ARPAnet verwandte deshalb das TCP/IP-Protokoll, das gerade von Vinton Cerf und Bob Kahm erfunden worden war und das die zu übertragenen Daten in winzige elektronische Pakete aufteilt, die einzeln auf die Reise geschickt und nacheinander am Zielort wieder zusammengesetzt werden. Trifft ein Datenpaket unterwegs auf eine Störung, dann leitet es sich selbst einfach drum herum. Die „Störung“ kann ein rauchender Bombenkrater sein. Sie kann aber auch ein Zensurversuch sein. Technisch macht das für TCP/IP keinen Unterschied.

Die Entscheidung des EuGH betrifft einen winzigen Zeitungsartikel, der am 19. Januar 1998 in der spanischen Tageszeitung „La Vanguardia“ erschien und aus folgendem Text bestand:

Lesdues meitats indivises dun habitatge al carrer Montseny,8, propietat de MARIO COSTEJA GONZÁLEZ i ALICIA VARGAS COTS, respectivament. Superficie:90 m2.Cárregues: 8,5 milións de ptes. Tipas de sbhasta: 2 milions de ptes.cadascuna de lesmeitats.

Es ging also darum, dass ein gewisser Mario Costeja Conzález eine ungeteilte Haushäfte an der Straße Montseny verkauft hat. Insider wussten damals, dass Senor Costeja das nicht ganz freiwillig getan hat, sondern dass er Schulden hatte und dringend an Baren kommen musste. Inzwischen ist er wieder flüssig, und er möchte gerne diesen dunklen Kapitel seiner persönlichen Geschichte vergessen – und andere vergessen machen. Da hat ihm das EuGH nun Recht gegeben. Nur nützt es ihm gar nichts, denn selbst wenn Google den Link zur Originalausgabe von La Vanguardia löschen würde: Als ich vor ein paar Minuten eine Google-Suche nach der entsprechenden Kleinanzeige startete, spuckte die Suchmaschine nach 41 Sekunden sage und schreibe 18.700 Fundstellen aus.

37.000 Mal die Wahrheit!
37.000 Mal die Wahrheit!

Der Grund ist einfach: In den vergangenen Wochen und Monaten hat der Fall großes öffentliches Aufsehen erregt, und alle möglichen Leute haben deshalb auf die Anzeige verlinkt. Senor Consteja müsste also jetzt 13.700 Löschanträge bei Google stellen, und bis die abgearbeitet worden sind, gibt es wahrscheinlich ein paar Zehntausende neue. Das ist wie Goethes Zauberbesen, seid’s gewesen – er wird sie nicht mehr los, der arme Kerl.

So lange jemand etwas, das einmal im Internet gestanden hat, zu verbergen versucht, wird er damit scheitern – wenn es genügen andere Leute gibt, die finden, dass diese Information es wert ist, weiter erhalten zu bleiben. Und so wird die Empörung über das Urteil der alten Männer und Frauen in ihren roten Roben, die sich angeschickt haben, das Internet mittels Datenschutzrecht an die Zügel zu nehmen, wahrscheinlich bald in höhnisches Gelächter umkippen ob der komischen Verrenkungen derjenigen, die versuchen werden, das Urteil in der Praxis umzusetzen.

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