Wem gehören eigentlich meine Daten? Ganz sicher nicht dem NSA. Aber wie ist es mit den vielen Firmen, die sich anschicken, im Zeitalter von „Big Data“ möglichst viele Informationen über mich und meine Kaufgewohnheiten zu sammeln, um sie meistbietend an die werbetreibende Wirtschaft zu verhökern?
Ich wurde neulich in einem Interview gefragt, was ich von der grassierenden Sammelwut der Datenindustrie halte und ob es mich nicht beunruhige. Nein, habe ich gesagt, so lange eine Firma Informationen über mich sammelt und vorhält, finde ich das prinzipiell in Ordnung. Die Dame, die die Frage gestellt hatte, schaute mich ungläubig an, als ob sie gedacht hätte, bei mir sei eine Schraube locker. Ich habe meine Antwort daraufhin präzisiert: Firmen wollen ja nur mein bestes – und davon so viel wie möglich. Sie sammeln Informationen über mich, um mich besser bedienen zu können. Sie haben nur ein Ziel: Mich möglichst mit Dingen zu erfreuen, die ich haben will oder die mich interessieren. Gleichzeitig wollen sie mich von Dingen verschonen, die ich nicht haben will oder die ich nicht mag. Für mich bedeutet das weniger Belästigung und ab und zu sogar eine richtig tolle Entdeckung. Wenn die Firmen das gut machen, dann „erwischen“ sie mich immer genau in dem Moment, wo bei mir ohnehin gerade ein Bedürfnis entstanden ist. Wenn sie mir eine Woche vor dem Geburtstag meiner Frau eine Mail schicken, in der drin steht, dass das Lieblingsparfüm meiner Herzdame gerade um 20 Prozent herabgesetzt worden ist, finde ich das gut, genauso wenn sie mir mittags eine gute Pizzeria um die Ecke empfehlen, wo ich sowieso gerade Hunger habe.
Amazon empfiehlt mir Bücher, die ich haben will. Sie empfehlen mir niemals Bücher, die ich nicht haben will. Sie können das, weil wir seit Jahren einen engen Datenaustausch miteinander pflegen. Ich bin einverstanden, dass Sie mich beobachten, und ich helfe ihnen manchmal sogar dabei, zum Beispiel indem ich Bücher bewerte, die ich woanders gekauft habe. Ich weiß nämlich, dass Amazon diese Information dazu verwenden wird, mir noch gezieltere Empfehlungen zu machen, also habe ich etwas davon.
Keine Firma, die noch bei Verstand ist, wird jemals die Informationen, die sie über mich gespeichert haben, zu meinem Nachteil verwenden. Sie wissen nämlich, dass ich ein mächtiges Mittel besitze, um mich davor zu schützen: den Entzug der Kundenbeziehung! Wenn ich so was merken würde, wäre ich weg. Und schlimmer noch: Ich würde das allen meinen Freunden auf Facebook, Twitter, Quora oder sonst wo im Sozialen Web weitersagen und sie davor warnen, jemals Geschäfte mit dieser Firma zu machen. Davor fürchten sich Firmen so wie der Teufel vorm Weihwasser, und das Ergebnis ist ein autonomes, also ein selbstregulierendes Datenschutzsystem, das dafür sorgt, dass meine Informationen immer nur in meinem Sinne eingesetzt werden. Und wenn nicht, kann ich mich wehren.
Ganz anders, das habe ich der Dame auch gesagt, verhält es sich mit dem NSA und anderen so genannten Staatsschutzorganen. Bei denen weiß ich nicht, was mit meinen Daten passiert, aber ich ahne, dass es nichts Gutes sein wird. Es könnte sein, dass ich eines Tages nicht mehr ins Flugzeug steigen kann, ohne dass ich weiß, warum ich auf der Flugverbotsliste stehe oder was ich tun kann, um meinen Namen dort wieder löschen zu lassen. Schlimmstenfalls könnte eines Tages das mobile Einsatzkommando vor meiner Tür stehen und in Putativnotwehr losballern. „Oh, tut uns leid, Sie waren wohl der Falsche. Aber shit happens…“
Deshalb, so sagte ich, sind Ossi Urchs und ich für ein absolutes Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie wir in unserem neuen Buch, „Digitale Aufklärung“ (Hanser-Verlag) schreiben. Wir möchten wissen, wer welche Daten über uns gesammelt hält und was damit geschieht. Und wir möchten gerne das Recht haben, falsche Informationen über mich zu löschen, egal ob sie in einer Firmendatenbank stehen oder im Keller des Geheimdienstes.
Ob ich wirklich daran glaube, fragte sie zurück, und ich musste zugeben, dass es sich dabei vorerst mal um einen frommen Wunsch, einen schönen Traum handelt. Aber eines Tages, sagte ich, da wird der Druck der Netizens so groß sein, dass wir sie – die Firmen und die staatlichen Datenschnüffler – dazu zwingen werden, mit offenen Karten zu spielen. Die Dame lächelte mild und wechselte das Thema.
Das war bevor ich einen Artikel in den New York Times las, in der es um die amerikanische Firma Acxiom Corporation ging. Wahrscheinlich kennen Sie Acxiom gar nicht, aber die kennen Sie, darauf jede Wette! Axciom ist der Marktführer unter den so genannten Data Brokern, also die Leute, die ständig das Internet durchkämmen sowie alle – legalen – Datenquellen wie die Datenbänke von Kreditkartenfirmen, Auskunfteien und anderen halbamtlichen oder sogar richtig amtlichen Stellen, die Informationen über so gut wie jeden Bürger zumindest in der westlichen Welt vorhalten und diese gerne weiterverkaufen, wie die Einwohnermeldeämter hier bei uns es seit der Verabschiedung des neuen Meldegesetzes durch den Bundestag im Juli 2012 tun dürfen.
Acxiom und ihre Wettbewerber arbeiten weitgehend im Verborgenen, weil sie Angst vor der Wut der Menschen haben, die sich von ihnen ausspioniert fühlen könnten. Das heißt: Axciom hat jetzt das Ruder herumgerissen und eine PR-Kampagne gestartet, deren Ziel es ist, möglichst vielen Leuten ganz offen zu sagen, was sie über sie wissen. Das Programm heißt „Aboutthedata“ und ist ein Fenster, durch das wir Verbraucher jederzeit Einblick bekommen sollen in die Informationen, die Acxiom über uns gesammelt hat.
Der CEO, Scott E. Howe, hat sich zum Start der neuen Website selbst an den Computer gesetzt und sein Profil abgerufen. Dort stand, dass er 45 Jahre alt ist, verheiratet mit zwei Kindern, dass er ein Haus der oberen Mittelklasse in einer guten Wohngegend besitzt, dass er gerne Tennis spielt, Reisen macht und Hobbykoch ist. Die Datenbank weiß, dass er in seiner Freizeit gerne tischlert und dass er verrückt nach Preisausschreiben ist. Das alles stimmt genau, hat Howe bestätigt. Das heißt: Nicht ganz. Offenbar sind einige Informationen veraltet. So weiß die Datenbank nicht, dass seine Frau und er inzwischen ein drittes Kind bekommen haben. Und das Programm behauptet, dass er italienischer Abstammung sei. In Wahrheit stammten seine Großeltern aus Norwegen. Die Algorithmen von Acxiom führen eine Wahrscheinlichkeitsanalyse durch anhand der Nachnamen der Probanden, und beim Boss der Firma lag Kollege Computer halt mal daneben.
Aber Acxiom geht noch einen Riesenschritt weiter in Richtung informationeller Selbstbestimmung. Sie lassen den User nämlich seine Daten verändern. Howe konnte die Zahl seiner Kinder gleich online korrigieren. Aber so einfach ist es leider nicht mit der Datenhoheit, wie Datenschützer in Frankreich letztes Jahr merken mussten, als sie versuchten, im Nachbarland ein Recht auf Löschen online gespeicherter Daten beispielsweise bei Google durchzusetzen und dabei ausgerechnet an den Archivaren und Geschichtsforschern gescheitert sind, die dagegen protestierten, dass Jedermann das Recht bekommen sollte, die Geschichte nach eigenem Gutdünken zu verfälschen.
Auch bei Acxiom hat man sich darüber Gedanken gemacht. „Was wäre, wenn viele Menschen, die 45 sind, plötzlich beschließen, dass sie 35 sein wollen?“, fragte Howe. Deshalb hat man das bei Acxiom so gelöst, dass jeder zwar frei ist, seine Einträge zu ändern, dass aber der Originaleintrag daneben stehen bleibt, zusammen mit der Information darüber, wer die Änderung vorgenommen hat. Wer den Eintrag sieht, kann also selbst entscheiden, für wie glaubwürdig er die Korrektur hält.
Acxiom hat sogar das eigentlich Undenkbare gewagt und hat dem Dateninhaber auch ein Recht zum „opt-out“ eingeräumt. Wer seine Daten ganz gelöscht haben will, dem steht das frei. Das könnte das Todesurteil für Acxioms Geschäftsmodell sein, würde man meinen. Aber Howe ist ziemlich zuversichtlich, dass sich die Zahl der Datenverweigerer in Grenzen halten wird. Er verweist auf eine Studie von Forrester Research, wonach nur 18 Prozent der Amerikaner die bereits in allen modernen Webbrowsern eingebaute „Do Not Track“-Funktionen aktiviert haben, um Online-Vermarkter daran zu hindern, ihnen beim Surfen nachzuspüren.
Für Acxiom steht viel auf dem Spiel. Das Unternehmen hat letztes Jahr 1,1 Milliarden Dollar mit Big Data verdient und ist damit Marktführer. Warum also stößt ein solches Unternehmen die Menschen sozusagen mit der Nase auf die Tatsache, dass sie längst zu gläsernen Verbrauchern mutiert sind?
Es ist wohl nicht nur Altruisimus, der Howe antreibt. Dazu ist der ehemalige Microsoft-Manager zu sehr Pragmatiker. Es ist wohlverstandenes Eigeninteresse im Spiel, eine Art Schutzreflex. Howe und jeder andere in der Branche weiß, dass der Druck auf die Regulierungsbehörden wachsen wird, Big Data zum Öffnen ihre digitalen Schatztruhen zu zwingen und den Menschen ein Mitspracherecht zu geben. Howe wird in dem Beitrag der IHT mit den Worten zitiert: „Wir müssen uns entscheiden, ob wir ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung sein wollen.“ Statt also sich auf Rückzugsgefechte zu versteifen, ist er zur Gegenoffensive übergegangen.
Man darf gespannt sein, ob sein Beispiel Schule machen wird. Immerhin mehren sich die Zeichen, dass in der verschwiegenen Datenbranche ein Umdenken im Gang ist. So können Privatpersonen in Deutschland seit April 2010 einmal im Jahr kostenlos ihre Daten bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa einsehen. Das ist schon mal ein Fortschritt!
Es ist auch ein Hinweis darauf, dass der Datenschutz, wie er gerade in Deutschland praktiziert wird, genau der falsche Ansatz ist, um das Problem des Datenmissbrauchs in den Griff zu bekommen. Ich will ja, dass Firmen mich so gut kennen, dass sie mir besseren Service bieten und tolle Angebote machen können, die ich haben will. Ich will denen das also gar nicht verbieten lassen. Genau diesen paternalistischen Ansatz fahren aber die Datenschützer, und sie werden damit scheitern. Ich will nicht, dass jemand sich dazu berufen fühlt, mich vor mich selbst zu schützen.
Wenn das Beispiel von Acxiom Schule macht, werden immer mehr Menschen merken, dass sie das Heft selbst in die Hand nehmen können und genau so viel Datenschutz haben können, wie sie wollen. Und wenn ihnen das ganze Thema am Arsch vorbeigeht, wie den meisten jungen Menschen, die ich kenne, dann ist das auch in Ordnung so. Das wäre echte Selbstbestimmung.
Aber da ist noch das Problem unserer so genannten Beschützer. Dass uns die schleimigen Schnüffler von NSA, BND und MAD nach wie vor im Verborgenen und mit dem Segen der von uns Bürgern gewählten und legitimierten Staatsorgane hemmungslos ausspionieren müssen, ist ein Grund, auf die Straße zu gehen. Und auch das passiert immer öfter, wie die Proteste gegen ACTA im Februar 2012 oder gegen die flächendeckende Geheimdienstüberwachung im Juli dieses Jahres gezeigt haben.
Ja, wir leben im Zeitalter von Offenheit und Transparenz. Aber was die Staatsspitzel da treiben, ist das Gegenteil von Offenheit. Auch NSA & Co. müssen sich die Frage stellen, ob sie ein Teil der Lösung sein wollen. Wenn nicht, werden sie selbst ziemlich schnell ein Problem bekommen.
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