Der Journalist als Auslaufmodell

Der Mensch im Zeitalter von Vernetzung und digitaler Beschleunigung hat mehr Information zu Verfügung als je zuvor – zu viel, wie Kulturpessimisten vom Schlage eines Frank Schirrmacher behaupten. Das Bild einer riesigen Tsunamiwelle aus Bits und Bytes, die uns alle zu überfluten droht, ist zum gängigen Klischee geworden, das vor allem von denjenigen beschworen wird, die bisher selbst gewohnt waren, an den Schleusentoren zu stehen und zu regulieren, welche Informationen letztlich bis zum “Konsumenten” der Information gelangten. Mit Floskeln wie “Qualitätsjournalismus” oder “Sorgfaltspflicht” haben die Nachrichten-Jäger und -Sammler selbst, vor allem aber diejenigen, die sie bezahlt haben – die Bosse in den Verlagen, Medienhäusern und Fernsehsendern – die angeblich so wichtige Funktion der Vorselektion und Interpretation der Ereignisse durch für eigens dafür ausgebildete und deshalb angeblich besonders kompetente “Informations-Profis” besungen. Wie die delphischen Orakel von einst sollen ihrer Meinung nach nur Eingeweihte in der Lage sein, aus dem wirren Geflecht von Fakten die allein seligmachende Wahrheit zu extrahieren, die sie dann bedeutungsschwanger auf den Leitartikelseiten oder mit sonorer Stimme in den “Tagesthemen” dem ungebildeten Volk verkünden.

Dafür wurden sie früher fürstlich bezahlt – heute weniger, vor allem diejenigen, die tatsächlich an der Informations-Front dienen und das Jagen und Sammeln besorgen. Bei Zeitungen bewege sich das Texthonorar auf dem Niveau von vor 20 Jahren, schieb der “Standard” im Mai 2012. Laut einer Umfrage des Deutschen Journalistenverbands verdienen fast die Hälfte aller für Printmedien tätigen “Freien” im Monat weniger als 1000 Euro. Der Journalistenberuf droht inzwischen, ins Präkariat abzurutschen.

Schuld daran sind vor allem die besagten Medienbosse, die teuer eingekaufte oder erstellte Inhalte im Wege der “Zweitverwertung” online verschenken in der trügerischen Hoffnung, damit “Werbung” für ihr eigentliches Produkt (die Tageszeitung, das Nachrichtenmagazin) oder ihren Sender zu machen. Das Ergebnis: Die Auflagen der etablierten Zeitungen befinden sich seit Jahren im freien Fall. Der Medienwissenschaftler Prof. Wolfgang Henseler von der Universität Passau hat die seit Jahren ständig sinkenden Auflagenzahlen und Anzeigenumsätze der Verlage untersucht und kommt zu der (zumindest für einen altgedienten Printjournalisten) niederschmetternde Prognose, dass spätestens im Jahr 2034 die letzte Tageszeitung in Deutschland auf Papier gedruckt werden wird. Keine FAZ mehr – zum Glück wird Frank Schirrmacher das nicht mehr miterleben müssen, es sei denn, er erreicht ein geradezu methusalem’sches Alter. Die etwas dünner gedruckten Blätter der so genannten Regenbogenpresse wird es wahrscheinlich noch früher erwischen: Der Medienexperte Peter Turi von turi2.de rechnet nach einer Analyse der aktuellen Zahlen der freiwilligen Auflagen-Selbstkontrolle IVW damit, dass in spätestens 15 bis 18 Jahren die letzte “Bild”-Zeitung verkauft sein wird. “Für die meisten anderen ist schon vorher Schluss”, behauptet er. Seit 2002 folge die verkaufte Auflage von “Bild” einem stabilen Pfad – und zwar nach unten: Von 3,96 Mio sei die Auflage binnen einer Dekade um 1,44 Mio auf 2,52 Mio. geschrumpft. Wahrscheinlich früher als später wird es sich für den Verlag nicht mehr lohnen.

Für die Mächtigen im Medienapparat hat das katastrophale Folgen: Sie verlieren nämlich die Kontrolle über die Botschaft und damit ihr wirtschaftliche Daseinsberechtigung. Darum geht es nämlich in Wahrheit bei dem kulturpessimistischen Geklage über die schwindende Macht des “Vierten Stands”. Und wie immer, wenn Machtverschiebungen in der Gesellschaft anstehen, klammern sich diejenigen, die bisher das Sagen hatten, bis zum Schluß mit ihrer toten, kalten Hand an den Hebeln, die für sie Macht bedeutet haben.

Aber bedeutet das unbedingt auch das Ende des Journalisten? Ist der rasende Reporter eine vom Aussterben bedrohte Art? Wird uns Google in Zukunft “all the news that’s fit to print” (so der berühmte Slogan der altehrwürdigen “New York Times”) bescheren? Wohl kaum. Nur werden andere bestimmen, was es wert ist, “gedruckt” (respektive online veröffentlicht) zu werden und was nicht.

Denn woher soll Google seine News beziehen, wenn nicht von anderen, also von bestehenden Nachrichtenquellen, seien sie von Profis oder von Amateuren betrieben? Der Suchmaschinen-Spezialist beschäftigt schließlich keine Jäger und Sammler. Braucht sie auch gar nicht, denn den Typus des Berichterstatters, des Lagerfeuererzählers und des Kontextgebers ist ein urmenschlicher. Nur haben sich die Medien, derer sie sich bedienen, gewandelt und werden sich weiter wandeln. Die “Blogosphäre” ist voll von Mist und Unfug, das ganz sicher. Aber dazwischen blitzt leuchtfeuerartig hochwertig Geschriebenes in dem seichten Meer aus Trivialgeblabbel auf. An ihnen werden sich Menschen – und Medienmacher – in Zukunft orientieren, weil sie dort das finden, was sie zum Überleben in dem Zeitalter informationaller Reizüberflutung benötigen: Kontext! Was bedeutet das, was ich überall umsonst abrufen oder beziehen kann? Wohin geht die Reise? Warum ist gerade diese Information für mich wichtig?

Wer das einleuchtend und überzeugend erläutern kann, wird in der Medienwelt von morgen eine ähnlich wichtige Rolle spielen wie früher die Medienbosse. Nur, dass jeder von uns sein eigener Boss sein kann. Und das ist gut so.

Bleibt nur die Frage: Wer soll das bezahlen? Zum Glück gibt es dafür bereits gute Vorbilder, die Alternativen aufzeigen. Der Autor verdient den Löwenanteil seines bescheidenen Einkommens mit Vorträgen, die er auf Kundenveranstaltungen, Führungskreisen oder Firmenworkshops hält und in denen er vor Managern, Mitarbeitern oder Kunden von Unternehmen im Wesentlichen über die Dinge reden, über die er in seinen Büchern, Blogs und Zeitungartikeln schreibt. Das Geschäftsmodell lautet sozusagen: „Schreibe ein Buch und rede darüber.“ Das Honorar vom Verlag ist dagegen relativ unbedeutend. Das Buch ist so gesehen eine bessere Visitenkarte, die man abgibt in der Hoffnung, als Vortragsredner, Seminarleiter oder Berater gebucht zu werden.

Für Autoren vom Schlage eines Günter Grass oder Michael Crichton mag es wie eine Herausforderung klingen, aber für andere mag es durchaus interessant sein, darüber nachzudenken, wie sie ihr Geschriebenes zu einer Performance machen können.

Und auch hier gibt es historische Vorbilder: Die Bücher von Charles Dickens wie „Oliver Twist“ oder „David Copperfield“ erschienen ursprünglich als Fortsetzungsromane in Tageszeitungen, die ihm dafür das damals übliche Honorar bezahlten. Anschließend wurden die einzelnen Episoden zu Büchern zusammengefasst, die in England erscheinen und sich dort einigermaßen gut verkauften. In Amerika, dem weitaus größeren Markt, wurden seine Bücher allerdings von geschäftstüchtigen, aber skrupellosen Verlegern in Raubkopien herausgegeben, und Dickens sah dafür keinen Cent. Der Autor reagierte darauf, indem er mehrmals auf USA-Tournee ging und Lesungen seiner Bücher vor vollbesetzten Theatersälen hielt, was ihm genügend Einnahmen verschaffte, um am Ende als wohlhabender Mann zu sterben.

Die Lehre daraus: Jammert nicht, lieber Künstler, Journalisten und Autoren, sondern schafft an! Lasst Euch etwas einfallen, um Euch andere Einnahmequellen zu erschließen als der Verkauf von Tonträgern oder Papierbüchern. Schafft Mehrwert für den Zuhörer oder Leser, schafft einmalige Momente oder authentische Erlebnisse. Auch das ist ein Teil der Digitalen Aufklärung – eine Lektion, die wir noch lernen müssen. Vor allem aber verschanzt Euch nicht hinter einem archaischen Urheberrecht, dessen Zeit so langsam abgelaufen ist.

2 Antworten

  1. Oh Gott, und solches halbgare Geschreibsel soll dann die Zukunft sein? Voller Rechtschreib- (prekär!) und Flüchtigkeitsfehler, kürzlich aufgeschnapptem Halbwissen (Dickens!) und unrecherchiertem Blödsinn (Schirrmacher ist 2034 genau „methusalemische“ 75 Jahre alt!)? Da lob ich mir doch die knallharte Redakteurs-Auswahl der FAZ, die solch Kasperle-Performances nicht nötig hat.

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