Der Clearaudio TT5 ist der Einstieg in die ganz große Welt der tangentialen Tonarme. Clearaudios kleinster Tangential-Tonarm ist ein kleiner Lustgriffel. Manch kurzes Stück bringt langes Glück. Jedenfalls wenn Musik dabei herauskommt. Mit ihm kann man ganz lange sehr glücklich Musik hören. Vielleicht ist es sogar die endgültige Antwort auf die Frage nach einem klangneutralen, einfach zu bedienenden und hochwertigen Tonarm.
Abtastwinkel gleich Schneidewinkel
Das ist in Kürze das Prinzip eines Tangential-Tonarms. Der Schneidstichel kratzt bei der Produktion einer Schallplatte die Musik tangential in die Rille, also immer im 90-Grad-Winkel zur Tellerachse. Ein Drehtonarm wiederum steht immer ein wenig schief in der Rille. Dieser Schiefstand ist der Spurfehlwinkel. Auch wenn bei modernen gekröpften Tonarmen dieser Winkel in der Regel bei deutlich unter zwei Grad liegt, so entstehen doch in jedem Fall Verzerrungen bei der Tonabnahme. Es werden zusätzliche harmonische Oberwellen erzeugt, genauer: in der Regel wird die zweite Harmonische verstärkt. Wahrnehmbar sind solche Verzerrungen, folgt man aktuellen empirischen Untersuchungen, ab einer Abweichung von etwa 2,11 Grad. Damit liegen die Auswirkungen des Spurfehlwinkels bei einem guten Drehtonarm knapp unter der Hörbarkeitsschwelle (vgl. hierzu die diesbezüglichen Anmerkungen von Klaus Rampelmann für die AAA, die Analogue Audio Association).
Ganz sicher geht man freilich, wenn man den Ton so abnimmt, wie er auch in die Scheibe geritzt wurde. Bei einem Tangential-Tonarm bewegt sich die Abtastnadel auf geradem Weg Umdrehung für Umdrehung von außen nach innen. Einen Spurfehlwinkel und zusätzliche Verzerrungen gibt es nicht.
Klangrelevanter ist aber vielleicht ein anderer Vorteil von Tangential-Tonarmen: man spart sich die Einstellung der Antiskating-Kraft. Die Skating-Kraft drängt einen Drehtonarm immer ein wenig zur Plattentellermitte hin. Diese Kraft aber ist nicht immer gleich, sondern hängt von mehreren Faktoren ab: von der Form der Nadel, also vom Tonabnehmer, von dessen Auflagekraft, leider aber auch davon, ob die gerade abgespielte Rille sich eher außen oder innen auf der Platte befindet. Die Skating-Kraft bewirkt ebenfalls Verzerrungen, und mit einer Testschallplatte kann kann man die Auswirkungen einer nicht optimal eingestellten Antiskating-Kraft bei einem Drehtonarm auch recht gut hören. Ein Tangential-Tonarm aber kennt keine Skating-Kraft und vermeidet deshalb den klangverschlechternden Einfluss eines falsch eingestellten Antiskatings schon mal aus Prinzip. Deshalb ist ein Tangential-Arm weniger fehleranfällig, aber auch einfacher zu betreiben. Perfekt für alle, doppelt perfekt für Faule!
Warum hängen dann die meisten Tonabnehmer an fehleranfälligen Dreharmen und nicht einfach an Tangential-Tonarmen? Nun, die Konstruktion eines Tangentialarms ist alles andere als einfach: Erfolgt die Abtastung der Toninformationen nicht völlig gleichmäßig, sondern zum Beispiel durch eine störanfällige aktive Nachführtechnik mehr oder wenig ungleichmäßig, so entstehen hässliche Rumpelgeräusche. Auch sind motorgetriebene Nachführmechaniken störanfällig. Clearaudio hat sich deshalb schon vor vielen Jahren für das passive Souther-Prinzip entschieden, bei dem die Nadel allein von der Rille geführt wird. 1982 hat Peter Suchy das von Lou Souther gehaltene Patent für diese Tangentialtechnik gekauft und seitdem entwickelt clearaudio diese Technik immer weiter. Der TT5 ist die modernste und aktuellste Reinkarnation dieses Prinzips.
Zum Kugeln
Ein Tangential-Tonarm muss horizontal extrem leichtfüßig geführt werden, die Nadel soll ja der feinen Rille widerspruchslos folgen. Dies gelingt bei allen Tangential-Armen von clearaudio durch zwei sehr leichtgängige präzise geschliffene Kugellager, die einen Schlitten mit dem kurzem massearmen Tonarm führen. Vertikal kippt der Tonarm über die Kugeln, horzontal fährt der Schlitten durch ein extrem glattes Glasrohr. Im Gegensatz zu Kugellagern in Fahrrädern oder Motoren darf dieses hier aber auf gar keinen Fall gefettet oder geölt werden. Jedes Öl würde die Leichtgängigkeit behindern und den ganzen Tonarm ruinieren.
Andererseits ist schon ein kleines Staubkorn im Glasrohr Gift für den Tonarm. Deshalb sollte man das Röhrchen ab und an mal reinigen. Clearaudio empfiehlt hierfür Feuerzeugbenzin. In einem Nichtraucherhaushalt halte ich dies nicht für notwendig. Trockene Staubkörnchen lassen sich mit einem kleinen Blasebalg oder Druckluftsystem aus dem Fotofachhandel schnell entfernen. Den Schlitten mit dem Tonarm sollte man dabei aber fixieren, sonst fliegt er einem um die Ohren und die Nadel ist hin. Außerdem sollte man natürlich dafür sorgen, dass die Platte unter dem Tonabnehmer stets staubfrei ist. Eine Reinigung vor jedem Abspielvorgang ist Pflicht – mindestens mit Besen oder Tuch. Dann gibt es wirklich nur noch ganz selten einmal einen Hänger.
Kurz: ein Tangentialarm gehört zum Besten, was man einer wertvollen Platte antun kann. Die Mechanik des TT5 ist hervorragend gearbeitet. Hier profitiert clearaudio offensichtlich von der langjährigen Erfahrung mit diesen Armen. Der TT5 ist pflegeleicht, aber nicht pflegefrei.
Alles eine Frage der Einstellung
Die Einstellung des TT5 gelingt schneller als bei einem Drehtonarm. Trotzdem ist die Einrichtung des kleinen Lustgriffels nichts für Grobmotoriker und auch nichts für Einsteiger. Ein wenig Erfahrung mit der Einrichtung von Tonarmen sollte man schon mitbringen, wenn man diese eigentlich lustvolle Arbeit nicht dem Händler überlassen will.
Als erstes wird der Tonarm an die Tonarmbasis geschraubt. Während man die großen Tangential-Arme von clearaudio zum Wechseln der Schallplatte nach oben klappen kann – was mir angesichts des Gewichts und der Komplexität der großen Arme immer ein wenig ungeheuer ist, erlaubt die normale Tonarmbasis des TT5 kein solches vertikales Verschwenken. Man muss also beim Plattenwechsel die Schallplatte nach dem Anheben des Tonarms immer unter dem Tonabnehmer einfädeln. Das ist eigentlich kein Problem, solange man nicht volltrunken ist. Neben der normalen Tonarmbasis gibt es aber als Alternative auch die Swing Base.
Mit ihr lässt sich der Tonarm bei Nichtgebrauch oder zum Plattenwechsel nach hinten wegschwenken. Holger Barske hat in einem frühen Test in der Zeitschrift LP noch moniert, dass die Bedienung des Tonarmliftes bei Verwendung der Swing Base „nicht stabil genug“ sei. Dieses Problem gibt es definitiv nicht mehr: der Lift läuft sämig und satt, und die Swing Base macht einen überaus soliden Eindruck: da wackelt nichts, alles passt perfekt und läuft völlig spielfrei.
Ich habe die Swing Base bei mir aber so eingerichtet, dass ich den Arm nach vorne verschwenken kann. Auf dem Innovation macht das Sinn, wenn auf der zweiten hinteren Tonarmbasis wie bei mir ein 12-Zoll-Drehtonarm montiert ist. Dreh- und Tangential-Tonarm würden sich ohne Swing Base ins Gehege kommen. So aber schwenke ich meinen TT5 einfach ein wenig nach vorne und schon hat bei Bedarf der lange 12-Zöller hinten ausreichend Bewegungsfreiheit über der Platte. Außerdem parke ich so bei Nichtgebrauch des Plattenspielers den Tonabnehmer direkt über der Säule mit der Tonarmbasis des TT5, was ich irgendwie beruhigend finde.
Clearaudio liefert übrigens alles notwendige Werkzeug sauber in kleine Beutelchen sortiert mit. Ich habe noch selten ein so perfektes Begleitpaket gesehen …
Im nächsten Schritt wird der Tonabnehmer provisorisch montiert. Dabei muss das Auflagegewicht grob eingestellt werden. Hierzu liefert clearaudio vier verschiedene Gegengewichte, die auf eine Stange an der Rückseite des Tonarmrohrs geschoben werden.
Jetzt wirds kompliziert, denn nun muss der Tonarm exakt waagrecht ausgerichtet werden – und zwar wirklich exakt! Dies geschieht mit Hilfe zweier kleiner Schräubchen, einem Inbusschlüssel und einer Wasserwaage, die oben auf dem Tonarm sitzt. Im nächsten Schritt wird der VTA, der Vertical Tracking Angle, also die Tonarmhöhe eingestellt.
Da die gleichen Einstellschrauben zu lösen sind, wenn man die Tangentiale einstellen will, also den exakten Versatz zwischen Fluchtpunkt des Tonarms und dem Mittelpunkt des Plattentellers, könnte es fummelig werden: man will die Tangentiale ändern und – schwupps – verschiebt man die Armhöhe versehentlich. Und umgekehrt. Und genau dies haben nach der Auslieferung der ersten Exemplare des TT5 zahlreiche frühe Anwender kritisiert. Clearaudio hat schnell reagiert und für Abhilfe gesorgt: heute gehört der TT5 VTA fix zum Lieferumfang. Dabei handelt es sich eigentlich um nichts anderes als eine simple Klemmschelle, die den Tonarm in seiner Höhe arretiert, aber das Verdrehen des Tornarmschaftes zur Einstellung der Tangentiale erlaubt. Clearaudio hat aber diese Schelle gleich in einer solchen Güte gefertigt, dass man den VTA fix auch einfach am Tonarm belassen kann: er sieht, also würde er zum Arm gehören, in so perfekter Materialqualität wird er angeliefert.
Nun müssen nur noch Azimuth – also die exakt vertikal unverkantete Ausrichtung der Nadel – und die finale Auflagekraft eingestellt werden. Das ist ein wenig knifflig. Hierzu muss die Arretierung des Tonarms am Schlitten mittels zweier kleiner Schrauben gelockert werden. Dabei darf der Arm aber nicht verschoben werden. Zwischen Nadelspitze und Vorderkante des Wägelchens muss ein Abstand von exakt 64 Millimetern eingehalten werden. Für die exakt senkrechte Ausrichtung des Tonabnehmers gibt es eigentlich keine weiteren Hilfsmittel außer dem Auge des Betrachters. Ich finde das ein wenig dürftig. Ich habe mir deshalb einen kleinen Workaround ausgedacht: ich lege auf den Tonabnehmer eine lange Bleistiftmine und kontrolliere mit einem exakt plan geschliffenem Plexi-Block, auf dem waagrechte Linien eingetragen sind, die saubere Ausrichtung des Tonabnehmers. Falls die Nadel exakt senkrecht im Tonabnehmer steht, ist die Ausrichtung dann sauber. Steht die Nadel aber schief in ihrem Träger, dann hilft nur eine Kontrolle mit einem Spiegel unter der aufgesetzten Nadel. Dann kann man so einigermaßen erkennen, ob Nadel und ihre Spiegelbild in einer Linie fluchten.
Starkes Foto-Finish
Den clearaudio TT5 gibt es in zwei verschiedenen Varianten: schwarz oder silber. Beide Versionen verfügen über eine außergewöhnlich wertige Oberflächenqualität. Haptisch ist ihre Bedienung ein Genuss. Alle beweglichen Teile weisen keinerlei Spiel auf. Alles lässt sich sahnig und exakt bewegen. Der Arm ist weder ein sensibles Uhrmacherkunstwerk, noch ein grober Klotz aus der Schmiedewerkstatt. Er ist ein Ergebnis solider deutscher Ingenieursarbeit und bester Feinmechanik aus einer deutschen Hightech-Manufaktur. Korrekt eingestellt kann man die mitgelieferten Inbusschlüssel für viele Jahre zur Seite legen. Optisch passt er nicht nur zu den Drehtonarmen von clearaudio, sondern sowohl zu grazilen, als auch zu massiven Verwandten aus anderen Familien.
Mir ist das wichtig, bin ich doch ein großer Freund von Mono-Schallplatten. Und natürlich höre ich Mono-Aufnahmen im liebsten mit einem Mono-Tonabnehmer an. Ein zweiter Tonarm ist also unabdingbar und ein dritter mit einem eher rustikalem System für besonders alte und vielleicht ein wenig verwellte oder beschädigte Platten ist auch nicht zu verachten.
Klingt klar knackig
Und wie klingt er nun, der TT5?
Im Vergleich zu anderen Tonarmen gehört der TT5 klanglich zur eher schlanken und hochauflösenden Fraktion. Da der eigentliche Tonarm sehr kurz ist, kommt der TT5 bestens mit dynamischer und schneller Musik klar. Da geht kein musikalisches Detail verloren. Seine Bassfähigkeit ist trotzdem groß und hängt ganz wesentlich vom Tonabnehmer ab. Natürlich kann man ein hochwertiges MM-System darunter hängen und erhält dann bei der relativ hohen Compliance eines MM-Tonabnehmers ein System, das auch welligen Schallplatten perfekt folgt. Ich neige aber zur Verwendung eines MC-Tonabnehmers mit mittlerer oder niedriger Compliance. Mein Clearaudio Stradivari liegt mit 15 μ/mN im Mittelfeld des aktuellen Angebots. Helmut Hack empfiehlt in der Zeitschrift Fidelity das deutlich preiswertere clearaudio Essence, das mit 9 μ/mN klar härter durch die Rille läuft. Kann man machen.
Nicht groß rumspielen kann man mit unterschiedlichen Tonarmkabeln. Das muss man aber beim TT5 auch nicht. Clearaudio hat den TT5 fest an die Leine gelegt. Der Arm ist durchgehend bis zu den MPC Cinch-Steckern hochwertig mit einem clearaudio Sixstream Super Wire verkabelt. Dadurch spart man sich nicht nur die Ausgaben für ein Kabel, sondern man erspart auch dem empfindlichen Signal den niemals klangverbessernden Übergang zwischen Buchse und Stecker am Tonarmende. Gut so. Im Sixstream wurden die hauchdünnen hochflexiblen Einzellitzen sauber miteinander verflochten und unter der Isolierung sind die Signale vor HF-Einstreuungen gut geschützt. Bei einem Phono-Kabel ist das noch wichtiger, als bei anderen Cinch-Verbindungen. Das clearaudio Kabel ist 110 Zentimeter lang und recht flexibel, also einfach und dezent zu verlegen.
Die antimagnetischen Cinch-Stecker sind 24-Karat-direkt-hartvergoldet, robust und lassen sich zuverlässig kontaktierend stecken und ziehen.
In Sachen Eigenklang nimmt sich der TT5 weitgehend zurück. Das Recht zu klingen überlässt er der Musik und natürlich dem Tonabnehmer. Ich habe den Arm mit dem clearaudio Stradivari und einigen MCs anderer Hersteller gehört. Und ich liebe den TT5 über jeder Art von Musik. Bleibt anzufügen: Der TT5 spielt auch falsch herum geschnittene Platten fehlerfrei. Die legendäre oreloB von TACET lässt sich gerne vom TT5 tangential streicheln.
Resumée
Mit einem Preis von derzeit rund 2.250 Euro (zzgl. 450 € für die Swing Base) ist der TT5 tatsächlich ein Schnäppchen. Andere Tangentialtonarme kosten leicht ein Mehrfaches. Die Verarbeitungsqualität ist super, das Handling sehr gut. Was ich mir noch wünschen würde? Eigentlich nur zwei Dinge:
- Eine einfache Höhenverstellung, die auch während des Abspielvorgangs funktioniert.
- Eine Möglichkeit den Tonarmschlitten zu arretieren.
Letzteres macht keinen Sinn, beruhigt aber das Gewissen. Das ein sündhaft teurer Tonabnehmer auf dem auch bei angehobenen Tonarm verteufelt leicht laufenden Schlitten von einer mittelgroßen Hummel jederzeit über die Platte geschoben werden kann, macht (mir) Angst und Bange. Aber solange Willi von der Tulpe nicht gleich während des Abspielvorgangs Sticky Fingers auf dem Stradiavri abrockt, kann eigentlich nicht viel passieren. Über eine Höhenverstellung verfügen nur die größeren Tangential-Tonarme von clearaudio. Irgendwo muss man dann eben bei dem günstigen Preis des TT5 kompromissbereit sein. Beim Wechsel von der 180-Gramm-Edelscheibe zum 70er-Jahre-Sparvinyl behelfe ich mir mit einer dünnen Ledermatte auf dem Plattenteller. Schon passt die Tonarmhöhe wieder. Dies erlaubt dann auch das Abheben der Platte vom drehenden Plattenteller. Und meine Singles werden so überhaupt erst einigermaßen vernünftig abhebbar. Sagte ich schon, dass der TT5 Tangential-Tonarm von clearaudio auch Singles abspielt? Nein? Hätte ich sollen? 😉