Je_suis_Charlie.svgAm 7.1.2015 wurden in Paris zwölf Menschen von schwerbewaffneten Attentätern erschossen. Die Karikaturisten von Charlie Hebdo, aber auch zum Beispiel Polizisten, von denen diese beschützt wurden. Das war ein schlimmer Terroranschlag, und die meisten waren traurig und entsetzt darüber. Weltweit riefen Menschen „Je suis Charlie“ oder änderten ihre Profilbilder in den sozialen Netzwerken. Oder sie zündeten einfach Kerzen an. Nach dem ersten Schock kam das Nachdenken und Meinungen waren zu hören. Viel Empathie war zu finden, viel ehrlich empfundenes Mitgefühl. In der Rhein-Zeitung stand  für mich einer der bemerkenswerten Kommentare zum Thema:

Das Grausamste am Grauen von Paris ist: Dieser Anschlag ist ein Fiasko für alle auf beiden Seiten, die guten Willens sind. Den Extremisten unter den Muslimen vermittelt es ein fatales Beispiel scheinbarer Stärke, den islamfeindlichen Strömungen in ganz Europa wird es Zulauf bescheren. Und alle in der Mitte, die sich menschlichen Werten statt fanatisch überinterpretierten Koranzeilen verpflichtet fühlen, geraten von beiden Seiten unter Druck.

Ich verstehe, was der Autor sagen will und ich teile seine Verzweiflung. Nirgendwo konnte ich allerdings lesen, dass es sich vor allem um einen terroristischen Anschlag gehandelt hat. Wer hier unbedingt den Islam ins Spiel bringt, vermischt Ursache und Wirkung. Terror und politischer Mord lassen sich nicht rechtfertigen, und selbst die Ursachenforschung stößt oft an ihre Grenzen. Das ist klar, denn eine Ursache, und sei sie noch so abwegig, wäre zumindest der Ansatz einer Rechtfertigung.

Dennoch, sobald Täter Moslems sind, hat die Tat sofort einen „islamistischen Hintergrund“. Das ist nur menschlich, denn es erleichtert uns offensichtlich. Das umgekehrte Beispiel: In der Süddeutschen Zeitung war gerade noch von der Belastung zu lesen gewesen, die der norwegische Massenmörder Breivik für seine Gefängniswärter darstelle. Den Artikel findet man noch auf jetzt.de:

Zwei Dinge machten den Umgang mit Breivik für die Gefängniswärter besonders schwierig, sagt Terrorismusexperte Franck Orban. Erstens, dass er Norweger sei, norwegisch aussehe und norwegisch spreche. (…)

In der Tat wäre es allen vermutlich lieber gewesen, er hätte einen schwarzen Bart gehabt und „Allahu akhbar“ gerufen, während er 77 Menschen ermordete. Ein rechtsradikaler Mörder aus den eigenen Reihen ist schwerer zu ertragen. Aber schon an dieser Stelle sträubt sich die Feder: Aus den eigenen Reihen – waren die Mörder von Paris nicht auch aus den eigenen Reihen? Junge Männer, die auf den ersten Blick alle Möglichkeiten hatten, französische Staatsbürger. Was war schiefgelaufen, dass sie so etwas schreckliches machten? Wir haben keine Antwort. Wie schnell kommt da „es waren ja Moslems“. Aber was soll das, reicht es nicht, daß die Tat weltweit(!) von moslemischen Staaten und Institutionen verurteilt wurde?

Der Anschlag war ein terroristischer, kein islamistischer.

Das führt uns weiter zu einer brisanten Frage: Gibt es nicht vielleicht doch auch gute Bombenleger und Attentäter? Gäbe es das, ließe es die Frage zu, ob es für islamistische Anschläge doch eine Rechtfertigung gäbe. Meine tiefste innerste Überzeugung sagt zu allen Formen von Morden deutlich „nein“, aber vielleicht bin ich auch nur ein Opfer des friedfertigen Christentums, das Nietzsche so verachtet hat. Terrorismus hat es wohl schon immer gegeben, wenngleich nicht unter diesem Namen. Ich greife mehr oder weniger wahllos Beispiele für Terror in der Geschichte auf. Kein Anspruch auf Vollständigkeit natürlich. Beispiele für staatlich ausgeübten Terror habe ich nicht betrachtet.

Der Inbegriff des Terroristen (damals noch „Anarchist“ genannt) im neunzehnten Jahrhundert war der bombenlegende Garibaldist. Italienische Nationalisten sprengten nicht nur in Italien Menschen in die Luft, es ereigneten sich auch Anschläge in Paris, da von dort der stärkste Widerstand gegen die Gründung eines einigen Italiens ausging. Mit der Gründung des Königreichs Italien am 17. März 1861 war der Spuk endgültig vorbei und niemand denkt heute mehr direkt an Terroristen, wenn er einen patriotischen Italiener sieht.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem zwanzigsten Jahrhundert, etwas die Euskadi Ta Askatasuna, besser bekannt als „ETA“. Der baskische ETA-Terror richtete sich gegen ihre eigene kulturelle Auslöschung im faschistischen Spanien. Der Gegner war General Franco, aber auch nach Franco gab es immer wieder ETA-Anschläge. Niemand zog deshalb seine Baskenmütze aus, im Gegenteil, sie wurde zu einem Symbol des Intellektualismus und der Kunst.

Ein neuzeitliches Thema? Keineswegs. Sehen wir es mal ohne die deutsche Nationalbrille: Der römische Offizier Arminius, das war der mit dem germanischem Migrationshintergrund, verübte einen barbarischen Akt der Grausamkeit, als er drei komplette römische Legionen unter dem Kommando von Publius Quinctilius Varus aus dem Hinterhalt niedermetzelte. Drei komplette Legionen, die XVII, die XVIII und die XIX, in Summe über 15.000 Menschen. Heute wird das als beeindruckende nationale Befreiungstat gewürdigt, aber es war Terror, nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn es heute vielen nicht mehr klar ist, die Cherusker waren römische Bundesgenossen, Hilfstruppen. Sie hatten den unglücklichen Varus um Hilfe gebeten, aber das war eine Falle. Die Römer waren über dieses Verhalten so schockiert, daß sie die Nummern der untergegangenen Legionen nie wieder vergaben. Dennoch resultierte daraus kein Rachefeldzug gegen alle Germanen der Welt. Argumentiert hier jemand, dass Gewalt gegen Soldaten kein Terror sei? Wie sieht es mit der Gewalt gegen Polizisten aus? Wo führte das wohl hin?

Aber vielleicht war das alles noch nicht krass genug: Wie steht es denn mit Graf Stauffenberg? Er plazierte am 20. Juli 1944 eine Bombe im Führerhauptquartier und tötete vier Menschen, darunter Heinrich Berger, den Stenographen(!). Hitler wurde nur leicht verletzt. Mir ist klar wie waghalsig dieser Blogartikel wird, wir sind von Gewalttätern aus der Unterschicht, deren Tat weltweit mit Abscheu kommentiert wurde, bei einem Attentäter angekommen, der heute als Held gefeiert wird. Man verzeihe mir die Drastik, mir liegt es fern, zu verletzen, aber mir fehlt auch der Mut, die These weichzuspülen:

Politischer und religiöser Terror ist immer nur eines: Terror. Kein Zweck heiligt ein solches Mittel.

Terror ist Terror ist Terror.

Ich bin mit dieser Meinung vielleicht in der Minderheit, vielleicht unterscheiden viele doch zwischen den Terroristen unterschiedlicher Couleur. Rechts: Böse, Islam: Böse, nationalistisch: Gut, wenn es gegen die Bösen ist, links: gut. Oder zumindest weniger schlecht. Aber so zu denken ist mir unbeschreiblich fremd. Gehen wir dennoch zurück zum Islam: Es scheint fast, als hätten viele Menschen ein Problem mit „dem Islam“. Das ist ungefähr so sinnvoll wie ein Problem mit dem Christentum zu haben. Für einen ist es „Opium fürs Volk“ (Karl Marx), für den anderen „die gefährlichste und unheimlichste Form aller möglichen Formen eines Willens zum Untergang“ (Friedrich Nietzsche). Für den dritten ist es die Religion, die Inquisition und Kreuzfahrer zu verantworten hat, für wieder andere der Grund, wieso wir heute keine Menschenopfer mehr bringen, Blutrache üben oder die Schwachen einfach in ein Boot setzen und den Rhein runtertreiben lassen.

Mit dem Islam verhält es sich genauso. Für die einen ist es Scharia, Ehrenmorde und Steinigungen, für die anderen die Überlieferung unserer abendländischen Kultur. Für die dritten ist es der Gegner vor Wien und der von Lepanto, für die vierten aber vielleicht der Geist, der hinter dem Roten Halbmond steckt wie christliche Barmherzigkeit hinter dem Roten Kreuz.

Es ist daher billig und überhaupt nicht hilfreich, den Islam anzugreifen, den Moslems Vorwürfe zu machen. Natürlich kann man alles auch anders verstehen, aber das kann man auch mit dem Christentum machen, oder mit dem Hinduismus oder sogar mit dem Buddhismus, dem das eigentlich keiner zutraut. Werde ich gerade missverstanden? Die Täter müssen wir zur Rechenschaft ziehen. Auch und gerade die können sich nicht auf den Islam berufen für ihre Verbrechen, religiöse Wahnvorstellungen sind keine mildernde Umstände.

Es bleibt dabei: Religion und Terror sind Begriffe, die sich nicht direkt verknüpfen lassen. Es bedarf der Menschen, um das zusammenzubringen.

4 Antworten

  1. „Gute“ Bombenleger heißen „Freiheitskämpfer“. Es kommt immer darauf an, wer am Ende gewinnt. Wäre Deutschland noch nazionalsozialistisch, dann wäre Stauffenberg heute immer noch ein „Terrorist“.

  2. Vielen Dank für diesen Beitag. In der Tat: „Wer hier unbedingt den Islam ins Spiel bringt, vermischt Ursache und Wirkung. Terror und politischer Mord lassen sich nicht rechtfertigen“. Mir ist auch klar, dass wir alle immer wieder in der Gefahr stehen, Terror zu bewerten und gegen Terror aufzurechnen. „Da schau her: die Rechten haben ja mehr Leute auf dem Gewissen, als Bader-Meinhof“. Ein böses Aufrechnen. Und auch wenn es eine verständliche Reaktion auf das „Aufrechnen“ und die Richtungsblindheit vieler Politiker und Behörden ist: ein Aufrechnen der Toten ist so wenig akzeptabel, wie ein Hinweis auf die Religion oder Religionslosigkeit eines Terroristen. Die Linke hat sich immer leichter damit getan, wenn der Terror von rechts kam. Und das ist schäbig, denn der Terror kennt kein links oder rechts. So wenig, wie er eine Religion kennt. Vielleicht sollten wir den schönen Satz von Martin Luther King ein wenig anpassen: „I have a dream, that one day the religion of a terrorist is as important, as the color of his eyes.“ Oder so ähnlich.

  3. Vielleicht sollte man bei der ganzen Diskussion mal die Politik und ihre Instrumentalisierung der Religion ins Spiel bringen. Diese hochschwierige Gemengelage zwischen politischer Religion (gleich welcher Konfession) und religiöser Politik führt nämlich überhaupt erst zu der Legitimation jedweder Aggression gegen andere Konfessionen, andere Völker…
    Der Islam könnte genauso gut wie das Christentum ohne Politik auskommen, zumindest ohne das politische Machtstreben. Aber es ist immer schon einfacher gewesen, sich an die herrschenden politischen Systeme anzuschmiegen (Thron & Altar)…

    Allah braucht Attentate und Terror nicht. Mohammed auch nicht. Also wem nützt dieser Fanatismus, diese aufgebrachten, mordbereiten und zum Töten ausgebildeten Menschen? Wem nützt es, den Terror in die Welt zu tragen? Nicht den fanatischen Attentätern, nicht den versprochenen Jungfrauen im Paradies. Auch nicht dem Islam an sich und als Religion. Sondern nur denen, die den Islam instrumantalisieren, um Menschen so zu fanatisieren, dass sie bis ans Äußerste gehen und darüber hinaus.

  4. Meine geliebte Süddeutsche Zeitung zitiert heute ganz wunderbar Sigi Zimmerschied: „Kein Gott kann so armseelig sein, dass er diese Psychopathen braucht, die momentan als seine Krieger die Welt ziehen. Das gilt für den Islam, den Katholizismus und für überall, wo man diese Hardliner trifft. Gott kann sich selbst verteidigen. Wenn ich Gott wäre, dann wäre ich jetzt beleidigt.“

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