„Jeder“ ist inzwischen Mitglied in mindestens einer dieser neuen, bunten und teilweise sinnvollen, teilweise aber auch völlig zweckfreien Web-2.0-Communities. Obwohl ich mich nicht für einen typischen Social Networker 2.0 halte, fallen mir auf Anhieb mehrere Communities ein, bei denen ich selbst eingetragen bin. Manche besuche ich regelmäßig, manche nie. Es würde zu weit führen, meine persönliche Einstellung zu all diesen Portalen aufzuzählen. Wertungslos liste ich also alle, die mir auf Anhieb einfallen, in alphabetischer Reihenfolge auf. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.
www.linked-in.com
www.lokalisten.de
www.orkut.com
www.utopia.de
www.xing.com
Ein Portal ist sogar dabei, von dem ich mich schon längst gelöscht hätte, wüßte ich mein Passwort noch. Es wiederzubeschaffen, nur um mich zu löschen, mangelt es mir an Energie.
Allen diesen Portalen ist eines gemein: Man gibt an, wen man alles kennt und zu wem man eine Verbindung eintragen will. Und wenn der andere dies bestätigt, ist man connected. Schwierig wird es, wenn man von jemandem als „Freund“ bezeichnet wird, den man im Leben noch nie gesehen hat. Oder genau einmal. Oder von dem man weiß, daß er nur was verkaufen will. Aber vielleicht was sinnvolles. Ist es ein Affront, „nein“ zu sagen? Aber was kostet das schon groß, sagt man halt „ja“.
Und schon hat man ein paar hundert Freunde. Oder Kontakte. Oder Buddies. Der Name variiert, je nach Portal, die Idee ist immer dieselbe. Manche dieser Menschen sind ausgesprochene Kontaktsammler. Einer meiner „Bekannten“ bei Xing hat selbst tausende Kontakte. Einer davon bin ich. Er hatte mich bei sich eingetragen und mich damit gefragt, ob ich diese Verbindung bestätigen könne. Nun heißt der Kerl genau so wie ein echter Freund von mir. Zufall. Er hat mit dem nichts zu tun. Aus Versehen habe ich die Verbindung bestätigt.
Konsequenz hieße nun, diesen Kontakt wieder zu löschen. Aber das ist ja auf der Affront-Skala eine volle Hundert! Einen Kontakt nicht abzusegnen ist nur ein Dreier, oder vielleicht ein Fünfer. Man kann später immer noch murmeln, man sei eh nicht so oft online, man habe es irgendwie übersehen, man sei ein technischer Trottel und schaffe das mit dem Klicken nicht, was auch immer. Aber jemanden auszutragen, das ist ein anderes Kaliber. Dieses Phänomen hat bereits Cory Doctorow 2007 in der Information Week beschrieben:
It’s socially awkward to refuse to add someone to your friends list — but removingsomeone from your friend-list is practically a declaration of war. The least-awkward way to get back to a friends list with nothing but friends on it is to reboot: create a new identity on a new system and send out some invites
Hilfe naht. Burger King hat eine Aktion gestartet. Wer auf Facebook, auch so ein Portal, zehn Freunden die virtuelle Freundschaft kündigt, bekommt einen Whopper. Darunter stelle man sich eine Art BigMac vor, nur ohne Mac. Wie das Spiel heißt? www.whoppersacrifice.com! Man lädt eine Applikation runter, opfert damit zehn Freunde (to sacrifice: opfern) und schon bekommt man einen Whopper. Die zehn ehemaligen Freunde haben dafür in ihren Profilen stehen „you have been sacrified for a Whopper“. Das ist so deutlich, daß man es bereits wieder als Scherz bemänteln kann.
Ein Whopper kostet in amerikanischen Burger King Filialen 3,70 USD. Damit ist ein Freund 37 ct. wert. Amerikanische Cent. Das ist nicht viel. 215484 Leute wurden bereits für einen Zehntelwhopper geopfert, sagt diese Seite jetzt. Als ich den Artikel anfing, waren es noch 210065. Vielleicht eine Viertelstunde habe ich bis hierher gebraucht…. Das Angebot wird also angenommen.
Das kann nicht an den Whoppern liegen. Das ist einfach nur ein Vorwand, um endlich all die Bekannten loszuwerden, die man nicht kennt. „Das war nichts persönliches, ich hatte einfach Hunger“. Welch segensreiche Idee! Und was für Marketing-Coup! Die Aktion hier betrifft Facebook, da bin ich nicht. Und die Aktion gibt es nur in USA. Wie schade. Aber wenn Studi-VZ Facebook 1:1 nachbauen kann, können das andere auch. Hier ist der Plan: Für 10 gekappte XING-Verbindungen gibt es eine Leberkäsesemmel vom Vinzenz Murr.
Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.
Bildquelle: http://www.whoppersacrifice.com/
Ein großes deutsches Industrieunternehmen, das hier ungenannt bleiben soll, hat gerade einen Exklusivdeal mit einem der beiden großen Mobilfunk-Netzwerkbetreiber verhandelt, und jetzt bekommen zwei Drittel der Belegschaft, zusammen mehrere Zehntausend Mitarbeiter, eine neue Handynummer. Das ist das digitale Gegenstück zum Fegfeuer, und entsprechend sauer sind die Leute. Ich wurde gebeten, ein Argumentarium zu erstellen, das den Wechsel irgendwie als etwas Positives darstellt. Das war eine echte Kopfnuß, denn eigentlich ist das für die Betroffenen nur doof. Aber ein Argument ist mir dann doch eingefallen: Das ist die einmalige Gelegenheit, Leuten seine Mobilnummer NICHT zu geben, denen man sie vorher leichtfertig verraten hat. Im Skriptvorschlag, das heutzutage bei einem deutschen Großkonzern natürlich auf Englisch sein muss, schrieb ich:
„Think of all the people you rashly gave out your number to that you never, ever want to hear from again.“
Ich gehe davon aus, dass wir mit der Zeit lernen werden, etwas zurückhaltender zu sein beim Abschließen digitaler Freundschaften. Was aber, zugegeben, das Problem der zuvor leichtfertig eingegangenen „Freundschaftsbeziehungen“ nicht löst. Better luck next time, kann ich nur sagen…
Leider habe ich ja keine Freunde, aber ein paar Twitter-Follower könnte ich gegen was Leckeres eintauschen …
Biete halben Streifen „Big Red“-Kaugummi ohne Papiermantel (nur noch Alufolie vorhanden). (den anderen halben musste ich an die Tochter verfüttern 😉 )