Die achte Plattenkiste: Von Blues bis Jazz, von Bella Ciao bis zum Requiem

„Vinyl“ leitet sich ab vom lateinischen „vinum“ = Wein. Und manchmal ist Musik zum Weinen schön. Etwa meine kleine aber feine Requien-Sammlung. Eine Platte aus diesem Regal stelle ich heute vor: das Requiem von Verdi. Und damit wir vor lauter Rührseeligkeit nciht in Tränen ersaufen gibt es danach etwas zum Abtanzen:  das Buconvina Club Orkesta mit einer Aufnahme aus Sankt Pauli. Und ebendort haben die Beatles mal ein Lied gecovert, das von einem der größten Blues-Musiker aller Zeiten geschrieben wurde, von Blind Lemon Jeffeson.  Der Blues war ja eine der Quellen von R&B und so hören wir danach glatt geschliffenen Mainstream-Kaufhaus-Rokk aus der Herrenunterwäsche-Abteilung von Uriah Heep, ehe wir uns über King Crimson wieder intellektuell anspruchsvolleren Tönen widmen und uns der Jazz-Abteilung vom Kaufhaus Beck am Rathauseck nähern. Es endet dann mit einem Österreicher: Joe Zawinul. Nichts dabei für Euch? Kann eigentlich nicht sein. 

Guiseppe Verdi: "Requiem"

Ich habe eine kleine Requiem-Sammlung für trübe Tage und Verdis Requiem nimmt darin eine hervorgehobene Rolle ein. Seine Uraufführung liegt nun genau 150 Jahre zurück. Sie fand am 22. Mai 1874 in der Kirche San Marco zu Mailand statt. Er widmete seine „Totenmesse“ dem großen italienischen Dichter Alessandro Manzoni, der ein Jahr zuvor verstorben war. Nebenbei: „Die Nonne von Monza“ ist ein Buch dieses Schriftstellers, das ich vor Jahren mit viel Genuss gelesen habe. Dieses „Verdi-Requiem“ ist ganz großes Theater, eben Verdi pur. Große tonale Farbteppiche, dramatische Kesselpauken, ein gewaltiger Chor, hohe Tempi und eine überaus sinnliche Elisabeth Schwarzkopf mit einem betörenden Sopran, die 1963 im Aufnahmejahr auf dem Gipfel ihrer Karriere war.

Shantel und das Bucovina Club Orkesta: "The Mojo Club Session"

Lange nicht mehr abgetanzt? Dann wäre das die richtige Platte, um das zu ändern. Und zwar gründlich. Da geht mächtig die Bukowinische Post ab. Hüftsteif sollte man nicht sein. Die Musiker haben ordentlich Pfeffer im Ar… Schon beim ersten Song „Da Zna Zora“ fliegen die Stühle aus dem Fenster:

Da zna zora, da zna zora
Kako silno ljubim ja
A-a-a, ne bi zora, ne bi zora
Za godinu svanula
A-a-a,ne bi zora, ne bi zora
Za godinu svanula

Falls Ihr wider erwarten kein Bosnisch könnt hier die etwas freie Übersetzung:

„Wenn die Morgendämmerung wüsste
wie wild ich küsse
Die Sonne würde
ein Jahr lang nicht aufgehen“

Auf der dritten Seite wird dann noch ordentlich zu „Bella Ciao getanzt“. Das muss nicht jede/r mögen, aber auch Widerstandskämpfer wollen ja mal ordentlich abfeiern.

Diese Musik gibt es meines Wissens nur auf Vinyl. Auch ein Grund, warum man sie sich zulegen sollte. Und hier rockt der Balkan wie lange nicht mehr.

Der Aufnahmeort, der Mojo-Club, befindet sich übrigens in einem Keller mitten in St. Pauli. Man könnte also ganz gut die Platte auflegen den Aufstieg von St. Pauli feiern. Oder den Klasseerhalt des HSV. 😉

Blind Lemon Jefferson: "Volume 2"

Diese Platte ist als „Blues from Texas 1925-1929 Vol 2“ oder als „Roots 2“ in Umlauf. Sie versammelt 18 Titel, darunter der bekannte „Matchbox Blues“, „I want to be like Jesus in my heart“, „Low down Mojo Blues“, „Happy New Year Blues“ und „Cat Man Blues“. Blind Lemon Jefferson wurde nicht alt und es gibt nicht viele Aufnahmen von ihm. Geboren 1893 in Texas starb er schon 1929 in Chicago. Er war nahezu blind und schon als Jugendlicher darauf angewiesen als Straßenmusiker ein wenig Geld zu verdienen. In den zwanziger Jahren traf er auf Leadbelly, wurde in der aufkommenden Bllues-Szene recht bekannt und veröffentlichte erste Platten.

Heute gilt Blind Lemon Jefferson als einer der stilbildenden Väter des Blues. Bob Dylan bezeichnete ihn gar als eines seiner Vorbilder und sein Matchbox Blues wurde sogar von den Beatles gecovert. Die haben ihn allerdings als Urheber unterschlagen und Carl Perkins als Autor angegeben, der aber selbst bei BLJ abgeschrieben hatte. von den Beatles gibt es übrigens mehrere Versionen: gespielt haben sie den Song ab 1961, zu hören ist er u.a. auf dem Album „Live! at the Star-Club in Hamburg, Germany 1962“. So gesehen (nein: so gehört) Blind Lemon Jefferson auch auf die Reeperbahn.

Uriah Heep: "Fallen Angel"

„Fallen Angel“, erschienen 1978, war das 12te Album von Uriah Heep. Es war ihre vorerst letzte Platte mit John Lawton als Lead-Sänger. Später gab es noch einige gemeinsame Auftritte, u.a. 1995 zusammen mit DeepPurple in Südafrika. Eingefleischte Uriah Heep Fans sagen ja häufig, dass die Platte ihren Namen zurecht trägt: Auf „Fallen Angel“ führten sich die Jungs auf wie gefallene Engel. Sie werden sich ein wenig untreu und ihre Musik ist nicht so recht Fisch und nicht so recht Fleisch, arger Mainstream-Rock um nicht zu sagen „Easy-Listening-Rock“ aus der Kaufhaus-Pop-Abteilung. Ach Leute: Für mich ist „Fallen Angel“ klassische 70er Jahre Musik, sicher nix für Gothic- und Hard-Metal-Jünger, kein Nachfolger von „Demons and Wizards“, aber ein perfekt eingespieltes Medley aus schwermütigen Rockballaden, feinen Slide-Gitarren-Leads und rumpelnden Double-Time-Beats. Das ist kein Konzept-Album, das ist ein hübscher Rock-Bauchladen für dicke Bäuche auf großen Mopeds.

King Crimson: "Lizard"

Das dritte Studioalbum der Band, erschienen am 11. Dezember 1970. Vielleicht das jazzigste aller Crimson-Alben, sicher aber eines der umstrittensten und ungewöhnlichsten. PopMatters wählte den Titelsong unter die 25 besten ProgRock-Songs aller Zeiten, Dave Lynch analysiert in AllMusiv das Album als schwer von Miles Davis beeinflusst. Bassd scho, meint der Franke.

Die ganze Platte kommt recht intellektuell und reichlich verspielt daher, was schon das Cover nahelegt. Die Vorderseite zeigt den Namen „Crimson“, wobei jeder Buchstabe in mittelalterlichen Bildern die Texte der Tracks 1 bis 4 illustriert. Der Buchstabe „i“ zum Beispiel stellt die vier Beatles dar und illustriert Song 3 „Happy Family“, im Buchstaben „n“ erkennt man Ginger Baker, Peter Gabriel und Jimi Hendrix. Auf der Rückseite des Covers illustrieren ähnliche Buchstabenbilder, die zusammen das Wort „King“ bilden, die vier Abschnitte des Songs „Lizard“.

Die Zusammensetzung der Band ist für diese Aufnahme ebenso ungewöhnlich, wie Stil und Programm: Robert Fripp, Mel Collins, Gordon Collings, Gordon Hasekell, Andy McColloch, Peter Sinfield und zahlreiche Gastmusiker.

The Zawinul Syndicate: "The Immigrants"

Wenn ein Österreicher als Kind Akkordeon lernt, dann muss er nicht als Schrammelmusiker enden. Joe Zawinul hat gezeigt, dass es auch anders geht. Nichts gegen die Schrammeln, aber Joe war Jazzer durch und durch und er war einer der besten. Er arbeitete mit Cannonball Adderley, Miles Davis, Charlie Mariano und Wayne Shorter. Oder arbeiteten sie mit ihm? Jedenfalls muss man ihn mit diesen in einer Reihe nennen. In den 70iger und 80iger Jahren war er neben Shorter der bestimmende Teil von Weather Report, der wohl wichtigsten Fusion-Band ever. Ab 1988 entwickelte er sich zunehmend mit seiner Band Zawinul Syndicate zu einem Verfechter der „Weltmusik“ (was auch immer das sein mag). Er brachte einfach Msuiker und Stile aus allen Kontinenten zusammen, am Ende kam immer etwas dabei heraus, was man Jazz nennen konnte, mal tanzbar, mal nicht, mal wippten die Füße, mal verknoteten sie sich. Immer war es großartig und innovativ.

The Immigrants ist das Debut-Album des Syndikats. Der Name ist Programm. Joe erklärt ihn so: “It’s called The Immigrants because I realized that everybody [in the band], except for Scott and Cornell, is an immigrant. I’m an Austrian citizen. Acuna is a Peruvian Indian. Abraham Laboriel is from Mexico City. Rudy Regalado is from Venezuela.”

Diese erste Platte führt ein wenig ein Schattendasein. Die Band scheint sich noch nicht so richtig gefunden zu haben bei der Aufnahme. Zawinul improvisiert mächtig auf den Keyboards, aber alles ist noch im Fluss und ohne rechtes Ziel, scheinbar ohne Konzept oder Leitidee. Aber sie ist ein wichtiges Dokument der Musikgeschichte: sie dokumentiert den Start der dritten Schaffensperiode eines der größten europäischen Jazzer.

Illustrationen © Michael Kausch

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