Obwohl selbst wohlgesonnene Zeitgenossen den großen Cyzslansky gelegentlich als „etwas exzentrisch“ beschrieben haben, so muss er doch normal, ja spießig erscheinen im Vergleich zu einigen derjenigen, denen er im Laufe seines langen und wechselvollen Lebens begegnet ist. Der vielleicht kauzigste von allen war Jára („Jaroslav“) Cimrman, der legendäre tschechische Nationalheld, der von seinen Verehrern unter anderem als Erfinder des Jogurts, Entdecker des Nordpols und geistige Vater des Panamakanals gefeiert wird. Cimram soll auch der Erfinder der Glühbirne gewesen sein, sei aber leider auf dem Weg zum Patentamt aufgehalten worden, so dass ihn Thomas Edison um ca. 5 Minuten zuvorkam.
Obwohl seine Lebensgeschichte an sich hochspannend ist, soll es an dieser Stelle nur um eine Randnotiz gehen, nämlich der Behauptung verbohrter Cimrman-Apologeten, ihr Held habe auch das Internet erfunden.
Wie jeder halbwegs gebildete Mitteleuropäer weiß, gebührt dieser Lorbeer einzig und allein dem genialen Vordenker der digitalen Revolution – Cyslansky, eben, der sogar ein arbeitsfähiges Modell aus Papiermaché hinterließ, das sich allerdings beim tragischen Untergang seines am Amsterdamer Prinsengracht vertäuten Hausboots mit Wasser vollsog und zerlief.
Eine denkbare Erklärung für diese hartnäckig wiederholte Fehlinformation liegt jedoch nahe. Von Cimrman wird allgemein angenommen, dass er 1914 letztmals im Isergebirge Nordböhmens gesichtet worden ist, wohin er sich angeblich zurückgezogen hatte, um seine Tage fernab vom Trubel eines wildbewegten Lebens inmitten seiner geliebten Wälder zu verbringen.Hier sind Zweifel angesagt.
Die Angaben zu Cimrmans Geburtsjahr schwanken je nach Quelle stark, nämlich zwischen 1854 und 1872, wobei neuere Cimrman-Forschung eine Spanne von 1869 bis 1874 wahrscheinlicher erscheinen lässt, wie das Fachmagazin „Cimrmanův zpravodaj“ bereits 1963 berichtete (hier ein Link zur tschechischen Originalausgabe). Er wäre zu diesem Zeitpunkt also zwischen 42 und 60 Jahr alt gewesen. Cimrman hat zeitlebens einfache und gesunde Ernährung vorgezogen und sich regelmäßig körperlich betätigt – das beweist schon die Schnelligkeit, mit der er vor feindseligen Eskimos davonlief, die ihn am Betreten ihres als heilige Stätte verehrten Nordpols hindern wollten. Es ist also wahrscheinlich, dass Cimrman noch viele Jahre weitergelebt hat, auch wenn er offenbar nie wieder sein Versteck in den Wäldern Nordböhmens verließ.
Von Cyzslansky wiederum ist bekannt, dass er im Jahre 1950 einen Sommer im Hause seines Freundes Dr. Evžen Hedvábný in Liptákov (dem deutschen Liptau) in der heutigen Mittelslowakei verbrachte und dort gelegentlich zu mehrtägigen Wanderungen durch das Isergebirge aufbrach. Von einem solchen Ausflug soll er in einem Zustand hoher Erregung sowie fortgeschrittener Beschwingtheit, letztere wahrscheinlich ausgelöst durch den übermäßigen Genuss schwarzgebrannten Pflaumenschnapses, zurückgekehrt sein. Bei dieser Gelegenheit rief er, wie Augenzeugen berichten, immer wieder aus: „Was für eine komische Alte!“
Wen er mit dieser Bezeichnung meinte ist nicht überliefert, aber der reizvolle Schluss liegt nahe, dass es sich um den zu diesem Zeitpunkt etwa 80jährigen Cimrman gehandelt haben könnte. Aufmerksame Leser werden natürlich den scheinbaren Widerspruch bemerkt haben, der sich aus dem Geschlecht der Person ergibt, die Czyslansky auf seinen Wanderungen begegnet sein muss. Tatsächlich lässt sich diese scheinbare Ungereimntheit jedoch mühelos auflösen: Cimrman wurde von seinen verarmten Eltern, einem tschechischen Schneider und einer wenig erfolgreichen österreichischen Schauspielerin, als Mädchen aufgezogen, damit er die Sachen seiner älteren Schwester (der späteren Dorfschullehrerin von Liptákov) auftragen konnte. Was liegt näher als anzunehmen, dass Cimrman im hohen Alter, in dem bekanntlich viele Menschen als Folge seniler Altersreversion die Angewohnheiten ihrer Kindheit wieder annehmen, in Frauenkleidern durch die Wälder lief, was im übrigen auch erklären würde, weshalb er angeblich seit 1914 nie wieder gesichtet worden ist.
In der Tat spricht sogar einiges dafür, dass Cimrman, in welcher Gestalt auch immer, im Hause von Dr. Hedvábný in Liptákov verkehrte, denn nach dessen Tod am 26. Februar 1966 wurde dort eine Truhe mit Papieren und Habseligkeiten entdeckt, die Cimrman zugeschrieben werden. Darunter befanden sich angeblich auch Aufzeichnungen, die belegen, dass er vorübergehend in der Westukraine als Polizeispitzel tätig war. Er soll dort eine Methode zur Erstellung von Abhörprotolkollen ersonnen haben, die er „Transmission Cimrman Protocol„, abgekürzt „TCP“, nannte.
Wie leichtgläubige oder sogar böswillige Cimrman-Anhänger den Kardinalfehler begehen konnten, aus dieser rein zufälligen und irrelevanten Ähnlichkeit der Abkürzungen eine Verwechslung mit Cyzslanskys grandioser theoretischen Erfindung des TCP-Protokolls und damit des Internet-Prinzips herbeiführen können, kann Kenner der Materie nur verwundern. Natürlich wissen wir, dass TCP die Abkürzung von „The Czyslansky Protocol“ ist, auch wenn Vinton Cerf und Bob Kahn, die auf diesen früheren Arbeiten Czyslanskys aufbauten, die Bezeichnung 1974 in „Transfer Control Protocol“ abänderten.
Angesichts der Fülle von Fehlinformationen aus tschechischen Quellen ist es an der Zeit, sozusagen das Protokoll zu berichtigen und ein für allemal klar zu stellen: Das Internet hatte nur einen Vater, und das war unser großer, unser göttlicher Czyslansky!
Sehens- und Lesenswert: Sechs Tschechen speisten einen Nuklearschlag ins Wetterfernsehen ein und berufen sich dabei auf den Geist von Jara Cimrman. Nun droht ihnen wegen der „böswilligen Verbreitung falscher Nachrichten“ eine Gefängnisstrafe:
Atompilz im Riesengebirge