Wie sich die Bilder gleichen: Zwei Grenzfälle auf einmal in der Donnerstags-SZ
Ein Dauerthema dieser Tage nicht nur auf Czyslansky ist die Frage, wie die armen, vom Aussterben bedrohten Tageszeitungen vor der digitalen Bedrohung des Internet gerettet werden können. Die SPD verstieg sich kürzlich, wie an dieser Stelle ausführlich diskutiert, zur gewagten Gleichung „Qualitätsjournalismus = Printjournalismus“ , was natürlich bei jedem Online-Journalisten eine offene Wunde weiter aufriß.
Seitdem schleichen wir Cyber-Schreiber mit hochgeklapptem Revers nachts durch dunkle Gassen und starren voller Neid auf die hellerleuchten Büros, zum Beispiel auf die der „Süddeutschen“ in ihrem neuen Hochhaus im Münchner Osten, wo die „richtigen“ Journalisten an hochqualitativen Texten arbeiten, mit denen sie emsig Tag für Tag ihre langen Papierbahnen füllen. Ja, das sollte uns allen eine neue Zeitungs-Steuer wert sein. Gut, diesmal hat es nicht geklappt, weil die SPD das Thema zu spät in die politsiche Debatte warf, um damit ihren chronischen Wählerschwund zu stoppen, der übrigens fatal an jenen Leserschwund erinnert, der die eigentliche Ursache für die ganze Diskussion um Qualitäts- und/oder Printjournalismus gewesen ist. Aber in vier Jahren sind ja wieder Wahlen, und vielleicht ist es bis dahin dann so weit. Falls es bis dahin noch Tageszeitungen gibt.
Eine mögliche Methode, den Zerfall zumindest aufzuhalten, könnte in der bewährten Verdopplungsstrategie liegen, die jedem besseren Roulettespieler geläufig ist. Man setzt, sagen wir, auf Rot. Kommt Schwarz, setzt man den doppelten Einsatz abermals auf Rot. Kommt wieder Schwarz, verdoppelt man abermals, und so weiter, bis irgendwann einmal hoffentlich dieses verflixte Rot mal kommt, dann hat man, wenn man alles zusammenrechnet, sein Geld zurück plus einen Gewinn in Höhe des ursprünglichen Einsatzes. Das ist eine totsichere Methode, die Bank zu sprengen. Und gerade deshalb haben die Casinos den so genannten „Tischlimit“ erfunden , der die Höhe des maximal zulässigen Einsatzes nach oben begrenzt und über kurz oder lang die Verdopplungsstrategen ausbremst.
Aber doppelt genäht hält ja auch besser, und es erscheint uns deshalb als logisch, wenn die Qualitätsjournalisten in der Tageszeitung auf die Idee verfallen, sozusagen die Quadratur der Qualität dadurch zu erreichen, dass sie ein und dasselbe Thema zweimal an einem Tag ins Blatt hieven. Natürlich von zwei verschiedenen Qualitätsjournalisten geschrieben, zum Beispiel Christine Dohler und Peter Schanz, die beide offenbar unabhängig voneinander auf die gleiche wunderbare Idee gekommen sind, 20 Jahre nach dem Fall der innerdeutschen Mauer entlang der ehemaligen Grenze zwischen BRD und DDR zu wandern und ihre Eindrücke und Erlebnisse in Form von ausführlichen Reportagen mitzuteilen, die eine im Reiseteil, der andere im SZ-Magazin.
Früher nannte man sowas unter Qualitätsjournalisten eine „Dublette“. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um ein Lehnwort aus dem 18ten Jahrhundert nach der französischen „doublet“ (von „double“ = doppelt) und bezeichnet zum Beispiel ein doppelt vorhandenes Stück oder Katalogisat in einer Sammlung oder Bibliothek, beziehungsweise in der Jägersprache das Erlegen von zwei oder mehr Stück Wild unmittelbar hintereinander oder gleichzeitig. Im Journalismus ist damit eine Meldung gemeint, die doppelt in der Zeitung steht. Sie ist also auch ein Gradmesser für journalistische Qualität. Das heißt, genauer gesagt: Ihr Fehlen ist ein solcher Gradmesser. Ihr Vorhandensein ist eher das Gegenteil, nämlich ein Zeichen von schlechtem oder schlampigem Journalismus oder von Kommunikationsdefiziten innerhalb einer Redaktion.
Allerdings betreffen Dubletten in der Regel kleine, eher unwichtige Meldungen, über die der Leser meistens auch drüberliest, ohne sie richtig zur Kenntnis zu nehmen. Mir ist jedenfalls in meiner mittlerweile 40jährigen Laufbahn als Journalist, ehrlich gesagt, kein solcher Fall bekannt, nämlich dass in ein und derselben Ausgabe einer großen Qualitätszeitung (Papier!) zwei große Reportagen zu ein und demselben Thema erschienen – in einem Fall der sechsspaltige Aufmacher eines redaktionellen Sonderteils, im anderen die sechsseitige Titelgeschichte einer Magazinbeilage.
Das ist schon mehr als eine Dublette – das ist eine Super-Dublette, vielleicht sogar die größte Dublette aller Zeiten – eine GDAZ!
Bezeichnenderweise handeln beide (im übrigen sehr lesenswerte!) Stücke von einem ehemaligen Grenzstreifen, sind also selbst sozusagen Grenzfälle des Qualitätsjournalismus. Der Himmel über diesem Landstrich, der einst von Stacheldraht und Minen durchzogen war, hieß übrigens früher im Militärjargon „ADIZ“ (die Abkürzung für „Air Defense Identification Zone“ oder Flugverbotszone). Kann das Zufall sein? Ich denke, nein.
Aber wie gesagt: Vielleicht war das alles ja im Sinne der Verdopplungsstrategie so gewollt. Und wenn die SPD am vergangenen Sonntag gewonnen hätte, dann hätte die SZ vielleicht gleich zweimal Zeitungs-Steuer kassiert. Das sollte uns Staatsbürger unsere Tageszeitung schließlich auch wert sein. Wir brauchen Qualitätsjournalismus, und zwar so viel davon als möglich, egal zu welchem Thema oder von mir aus immer zum gleichen Thema. Und was die Dubletten angeht: Papier ist schließlich geduldig…
Köstlich. Ich stelle mir vor, wie die beiden nebeneinander hergetrottet sind, sich argwöhnische Blicke zuwerfend. „Der sieht aus wie ein Kollege“ – „Der wird doch nicht auch über das Thema schreiben wollen?“ – „Aber gottseidank, der ist ja von einer anderen Redaktion“….
Aber nun müssen wir warten, wer von beiden zuerst einen Drehauftrag von SuperProTL.1 kriegt… das mit den Doubletten geht dann schon noch weiter.
PS.: Schreibt man wirklich Dubletten? Ich dachte, das wären die Einwohnerinnen von Dublin 🙂
Und wieder war Lewis Carroll vorher da, im fünften „Fit“ des Snark („The Beaver’s Lesson“):
But the valley grew narrow and narrower still,
And the evening got darker and colder,
Till (merely from nervousness, not from goodwill)
They marched along shoulder to shoulder.
PS: „Dublette oder Doublette (Lehnwort aus dem 18. Jahrhundert nach frz. doublet, zu double = doppelt)“ (Wikipedia)
Ich dachte, das hat was mit Filmschauspielern zu tun.
Wenn man jemanden hat, der gleich gross ist, ist es ein Double. Ist er größer, ist es eine Dublone, ist er kleiner, ist es ein Dublin. Ist es ein Mädel, ist es eine Doublette. Aber auf das alles hat ja Czyslansky schon ausgiebig hingewiesen, das muss ich jetzt nicht wiederholen („Ich bügle, Du plättest – etymologische Lingualmetamorphosen als Beispiel angewandter Sprachforschung“, S. 411ff).
Vielleicht ist das bei Print ähnlich wie bei Twitter (ich kenn mich halt mit Print nicht aus) Man schreibt seine Nachricht und drückt auf „Senden“, da aber der Server klemmt, oder der Browser spinnt und man meint die 140 Zeichen wurden nicht gesendet, klickt man erneut auf „Senden“ und schon ist es passiert: man twittert eine Doublette (Ich vermute der Name bedeutete ursprünglich: „Freudenmädchen aus der Irischen Hauptstadt“)
Das kann jedenfalls anscheinend auch beim Zeitungsdrucken passieren, wenn man einen nervösen Zeigefinger hat.