„Die Schule der Trunkenheit“ ist nun wirklich nicht mein erstes Buch aus dem Verbrecher-Verlag. Aber ich habe, so glaube ich zumindest, noch nie ein Buch aus dessen Programm besprochen. Was für ein Verbrechen. Schließlich verlegt der Verlag wirklich Hochprozentiges. Antifaschistisches, Literarisches, Ozeanisches. Folget dem Link, es lohnt sich.
Die „Schule der Trunkenheit“ gehört neben den Shell Autoatlas, und sonst nirgendwohin
„Die Schule der Trunkenheit“ lohnt sich allemal. „Welche Spirituose kurvte im Glas von Willy Brandt und was trug diese zur Entspannung zwischen Ost und West bei? Warum gefährdete ein katholischer Geheimbund die Brandy-Produktion?“ Wer die Antwort auf solche Fragen sucht, der trinkt nicht aus Sucht, sondern weil er weiß, dass die Antwort auf die Frage aller Fragen nicht 42 lautet, sondern 40. Und zwar exakt 40, weil 40 Prozent der Alkoholgehalt ist, den der Erfinder des Periodensystems der Elemente Dmitri Iwanowitsch Mendelejew 1894 als russischen Standard definierte, weil so der Wodka am bekömmlichsten ist. Wer das weiß, der trinkt nicht aus Sucht, sondern aus wissenschaftlichem Interesse und der liest das Buch „Die Schule der Trunkenheit“ eben aus literarischem Interesse, ach was, als Sachbuch, als Standardwerk, als Grundlagenwerk, als das Buch, das im Regal direkt neben dem Shell Autoatlas steht und nirgends sonst. Weil ohne diesem Werk alles gar keinen Sinn hat.
Wie komme ich auf Shell und dessen Atlas? Ach ja, logisch, weil die beiden Autorinnen ihr Werk mit dem Hinweis auf die Weltausstellung 1889 einleiten, auf dem in Paris, zu Füßen des Eiffelturms Europas erste American Bar ihre Flügeltüren öffnete, als „ein Ort der Kommunikation zwischen den Geschlechtern […]. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der Alkohol als Treibstoff des gesellschaftlichen Fortschritts diente. Obwohl nicht verschwiegen werden sollte, dass er nicht selten auch seine Bremsflüssigkeit war.“
Darf ich vorstellen: die blutige Marie
Und so geht es denn dahin, das Gedenke und das Fabulieren rund um jene Verbindung, die keine Lösung, aber auch kein Problem ist. Jedenfalls für den (aus)gebildeten Trinker. Im Folgenden stellen die Autorinnen die wichtigsten Drinks und die besten Geschichten rund um diese Drinks vor. Und ich kannte und kenne viele (Drinks und Geschichten) und habe doch viel Neues bei der Lektüre dieses Buches kennengelernt.
So kannte ich natürlich die blutige Marie, die „Bloody Mary“, von der „Roten Katjuschka“ hatte ich aber noch nie zuvor gehört. Mein Freund und Czyslansky-Bruder Alexander Broy kennt die Katjuschka vermutlich persönlich. Aber der hat ja auch eine Zeitlang als Barkeeper gearbeitet. Aber ob er die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen James „Jim“ Beam und Jakob Böhm kennt? Und ob er weiß, dass Jack Daniels – Ich weiß, Freunde nennen ihn „John“ – nicht an einem gebrochenen Herzen, sondern an einem gebrochenem Zeh starb? Der Verletzung soll er sich bei einem harten Tritt gegen eine verklemmte Tresortür zugezogen haben. Geld macht nicht glücklich, nein nein …
God bless the Queen
Dass der Begriff „Proof“ für einen Alkoholgehalt von 57 Prozent steht und daher rührt, dass man Alkohol mit mehr als 57 Prozent Alkohol mit gelber Flamme anzünden kann. Dazu muss man den Alkohol mit Schießpulver vermengen vor dem Anzünden. Hat er genau 57 Prozent verpufft er mit blauer Flamme. Hat er weniger, tut sich gar nichts.
Als Whisky-Trinker wusste ich das und ich wusste auch, dass diese Tradition aus der englischen Seefahrt kommt, als man auf Schiffen den Rum so testete. Königliches Qualitätsmanagement.
Was ich aber erst in diesem wunderbaren Buch erfahren habe waren die Trinksprüche, die auf den Schiffen ihrer Majestät ausgelobt wurden. Ich zitiere: „So trank man sonntags `auf abwesende Freunde und Kameraden zur See´, am Montag `auf unsere Schiffe auf allen Weltmeeren´, am Dienstag `auf unsere tapfere Mannschaften´, mittwochs `auf uns selbst, da sich wohl sonst niemand um unser Wohl ergehen schert´, donnerstags `auf einen blutigen Krieg und eine ungesunde Jahreszeit´(beides versprach durch den unverhofften Tod von Vorgesetzten schnelle Aufstiegschancen), freitags `auf einen bereitwilligen Feind und unsere sicheren Seewege´ und am Samstag schließlich `auf Geliebte und Ehefrau, und dass sie sich nie begegnen mögen!´. „
Einfach Tierisch
„Die Schule der Trunkenheit“ ist auch ein lehrreiches Buch für Tierfreunde. Denn der Rausch, die beiden Autorinnen vergessen das nicht zu erwähnen, ist durchaus nicht dem Menschen vorbehalten. Nicht nur Finnen stürzen regelmäßig ab. Sie berichten von Zugvögeln, die in der Taiga regelmäßig nach dem Genuss überreifer Weintrauben dramatisch abstürzen, die sie zuvor gezielt verzehrt hatten. Auch von torkelnden Elchen und Bären berichten sie, die den Genuss von vergorenem Obst zu schätzen wissen. Wie wusste schon der große F.W. Bernstein:
„Die größten Kritiker der Elche
waren früher selber welche.“
So ist es.
Das Buch endet übrigens mit einer kleinen Liste mit Rezepten einschlägiger Versuchsanordnungen, von Alfonso (Würfelzucker, 3cl Dash Angosture, 1,5 cl Dubonnet, Champagner) bis Zombie (6cl Dark Rum, 2 cl White Rum, 2 cl Cherry Heering, 2 cl …) ach nee, das Zeug kann ja wirklich kein Mensch saufen. Das ist ja wie aus dem Philips Chemiebaukasten. Da bin ich altersmäßig drüber hinaus. Aber „Die Schule der Trunkenheit“ von Kerstin Ehmer und Beater Hindermann aus dem Verbrecher Verlag empfehle ich unbedingt. Und wie schreibt der KulturSPIEGEL nicht völlig unsinnig: „zu anregend, um es nüchtern zu lesen, aber historisch zu ausschweifend, um es nach drei Drinks noch zu verstehen.“ Harry Rowohlt hätte einen drauf gelassen.
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Apropo Harry: Dann will ich doch noch ganz schnell auf eine andere kleine Buchvorstellung verweisen: „Er lenzte die letzte der Pints„. Ein Grabstein für Jack Taylor. Kann man gut nach der „Schule“ lesen. Sozusagen für Fortgeschrittene.
Lieber Mik,
was für eine wundervolle Rezension. Da ich den „Roten Katjuschka“ leider auch nicht kenne, habe ich mir das Buch sofort gekauft – nein, genauer gesagt – ich habe überlegt wie viele Trinkerfreunde und ich habe und – vermutlich spricht das nicht für mich – habe gleich ein paar mehr geordert…