Heute liegt sie also endlich am Kiosk: die vor einigen Wochen angekündigte “Blogger-Ausgabe” der Tageszeitung WELT KOMPAKT, der “kleinen Schwester” der ganzen WELT. Der Verlag hatte einige deutsche Blogger – von Mode-Bloggern über Wein-Surfer bis hin zu Politik- und Kultur-Bloggern – eingeladen, einen Tag lang die Print-Ausgabe der WELT KOMPAKT zu gestalten.
Leider konnte ich gestern aus Termingründen an der aktuellen Redaktionssitzung nicht teilnehmen, sondern nur an der “Vorproduktion”, womit ich mich in ordentlicher Gesellschaft befinde: die virtuellen “Edelfedern” Robert Basic und Jeff Jarvis lieferten auch nur Stehsatz ab. Immerhin ist Teil der heutigen WELT KOMPAKT mein Beitrag über die Zukunft sozialer Netzwerke “Sterbende Netze – warum wir schließlich alle ins Gesichtsbuch eingehen werden”. Es geht um die Dominanz von Facebook, die Chancen von LinkedIn und die Krise etablierter nationaler Netzwerke.
Was war Sinn und Zweck dieses “Experiments”? Frank Schmiechen von der WELT KOMPAKT ist schon seit vielen Jahren nicht nur an den neuen sozialen Online-Medien interessiert, sondern tummelt sich auch offen, neugierig und diskussionsfreudig in diesen Medien. Er interessiert sich für die Auswirkungen von Twitter, Blogs und Foren auf die traditionellen Medien und hat deshalb – nach eigenen Aussagen – Blogger eingeladen, sich einmal dem Diktat des Zeitdrucks und begrenzter redaktioneller Fläche zu unterwerfen. Er wollte eine Ausgabe seiner Zeitung mit dem typischen Duktus der Blogger (Meinung, Meinung, Meinung), verbunden mit den Nöten der Printredakteure (Druck, Druck, Druck). Aber natürlich war das ganze auch als schöne PR-Aktion für die WELT KOMPAKT gedacht. Warum auch nicht?
Die PR-Wirkung war freilich recht ambivalent. Im Vorfeld gab es in der Blogger Community heftige Diskussionen, ob man 40 Jahre nach Vietnam und Dutschke plötzlich wieder für “Springer” schreiben dürfe und ob man das dann auch noch “für lau” dürfe, also kostenlos. Die Debatte, die teilweise heftig unterirdisch geführt wurde, ist hier hinlänglich gut dokumentiert und ich mag das nicht noch einmal aufrollen. Schon weil weder Kollege Schmiechen noch die WELT KOMPAKT diese Diskussion verdient haben.
Gedruckte Postings sind noch keine Tageszeitung
Was ist aber nun bei der ganzen Sache herausgekommen?
Die Zeitung ist eigentlich keine wirklich aktuelle Zeitung. Sie besteht zum guten Teil aus mehr oder wenig zeitlosem Stehsatz, aus – natürlich lesenswerten (!) – Beiträgen der Blogger, die lediglich um einige wenige aktuelle Randnotizen, die die Blogger aus Agenturmeldungen zusammensuchen durften, ergänzt wurden. Letztlich hat man den Bloggern wohl nicht zugetraut unter Zeitdruck eine Zeitung druckfertig zu erstellen. Schade eigentlich. Man hätte sie ja wirklich mal auf Anschlag texten lassen können. So besteht die WELT KOMPAKT im Wesentlichen aus gedrucktem Internet: netter Online-Meinungs-Journalismus, aber keine kritische Reflektion des Tagesgeschehens. Dabei war gestern ja genug los: von der Umbenennung von Schloss Bellevue in Wullfsschanze bis zu seltsam guten Meldungen vom Arbeitsmarkt.
Diese Themen aber finden in der heutigen WELT KOMPAKT eher am Rande statt. Es entstand eben keine Melange aus Online- und Print, sondern gedrucktes Online, Blogs auf Papier. Schade vor allem, dass durch diese Redaktionsstruktur das aktuelle Informationsinteresse der regelmäßigen Leser sicherlich enttäuscht wurde (siehe w&v). Eine aktuelle Ausgabe, gemacht in Kooperation von klassischen Redakteuren UND Bloggern wäre wohl eine bessere Alternative gewesen.
Für einige Blogger mag das alles eine nette Redaktionsbesichtigung gewesen sein, andere – wie Tim oder Christoph – kannten das Geschäft aus ihrer eigenen journalistischen Vergangenheit. Die Springer-Redakteure haben mal einige “echte Blogger” gesehen und vielleicht feststellen können, dass auch diese des Schreibens durchaus mächtig sind. Weitere Lerneffekte aus diesem “Experiment” blieben und bleiben wohl aus.
Wir sich selbst ein Bild von der kompakten Welt machen möchte: die Zeitung gibt es hier zum Download: http://archiv.welt-kompakt.de/pdfaktuell/index.php
Die Tageszeitung von Bloggingen muss erst noch geschrieben werden. Wie wär’s mit einem neuen Versuch, Kollege Schmiechen? Mit ein wenig mehr Mut? Dann wäre ich gerne auch bei der Redaktionssitzung dabei. Meine Tageszeitungszeit liegt nun auch schon einige Jahre zurück. Damals wurde gerade mal der Bleisatz abgeschafft und in den Redaktionsstuben standen keine Computer, sondern Schreibmaschinen.
Die Projektidee war klasse. Nur ein klein wenig weiter springen sollten Sie noch, was aber doch wohl im Hause Springer möglich sein sollte …
15 Antworten
Das operative Stichwort ist „Mut“. Verlag und Redaktion hatten eben doch nicht den Mut, ihr Blatt den Bloggern „in die Hand gegeben“, sondern haben sie an der Hand geführt. Als wir ankamen, war das Blatt schon fertig: Layout, Artikelverteilung, Bebilderung – alles gesetzt. Die Texte hatten die Blogger „vorsichtshalber“ schon vorher abgeliefert, aber am Ende wurde damit das ganze Blatt gefüllt.
Es gab zwar ein paar zaghafte Töne der Teilnehmer, nach dem Motto: „Das ist doch die Zeitung von vor zwei Wochen, lasst uns die Zeitung von heute machen.“ Das hätte aber den Mut vorausgesetzt, deie Blogger auf das aktuelle Tagesgeschehen loszulassen, was aber mit dem – natürlich absolut richtigen – Einwand sanft abgeblockt wurde, dass für jeden neuen Beitrag ja ein anderer rausfliegen müßte. Und Blogger, das eine nicht allzu überraschende Erkenntnis aus Berlin, sind genauso eitel wie Journalisten und verteidigen „ihr“ Stück mit Klauen und Zähnen gegen jeden, der sie aus dem Blatt kicken will.
Diese übervorsichtige Vorgehensweise war natürlich der verständlichen Angst geschuldet, die Blogger könnten es vielleicht nicht schaffen, an einem einzigen Redaktionstag eine vernünftige Tageszeitung auf die Beine zu stellen. Aber dadurch hat man das Experiment auch entwertet – schade.
Ich würde nach gestern sogar behaupten: Gib uns noch 20 gute Blogger (und die finden wir schnell), und wir machen Euch die Zeitung jeden Tag! Wenn uns die Profi-Journalsten netterweise die lästige Blattproduktion (kürzen, Bildtexte Schreiben, etc.) abnehmen, umso besser.
Das wäre mal ein Experiment: Die „virtuelle Redaktion“. Also gar nicht erst nach Berlin fahren, sondern die Blogger bauen ein Blatt an einem Tag von Null bis Ultimo, inklusive Themenkonferenz, Schreiben, Redigieren. Ob Springer so viel Mut haben wird?
Im Übrigen sei auf die kräftige und kritische Resonanz zur heutigen Ausgabe von „Welt Kompakt“ in der Fachpresse hingeweisen, zum Beispiel bei w&v und kress.
Natürlich kann man immer auch MEHR Mut haben, aber mal ehrlich wäre es nicht eher tollkühn gewesen, völlig Unbekannten seine Zeitung vollständig zu überlassen.
Das war eben der erste Schritt und ich hoffe ein Zweiter wird kommen, dann vielleicht mit aktuellen Themen, aber immer einer nach dem anderen und immer an die Leser denken …
Der Inhalt ging ja noch aber das Layout war eine mehr als große Katastrophe.
Schade eigentlich, beim nächsten mal bitte bitte ein anders Layout!
Ich bin mir nicht mal sicher, ob Mut hier wirklich notwendig gewesen wäre. Eher ausführlichere gemeinsame Vorbereitung in der von Tim angesprochenen „virtuellen Redaktion“.
Aber ganz ehrlich bin ich auch nicht nach Berlin gefahren, um mich mal an einer Tageszeitung auszuprobieren – auch wenn ich mich dann mit Euch in die Newssuche gestürzt habe 😉
Mir ging es tatsächlich drum der Zeitung einen Bloggerstempel aufzudrücken. Inhalte rein zu bekommen, die ICH für wichtig erachte. Nachrichten sind für mich nur bedingt relevant und interessant und werden meist völlig überbewertet.
Die „mutige“ Variante wäre gewesen: „wir haben hier 32 Blogger und 32 Seiten seht zu, wie Ihr die vollkriegt, wir gehen essen.“
So oder so hat es mich gefreut euch kennen gelernt zu haben und mit czylansky mal wieder ein lesenswertes blog mehr in meinem reader zu haben 🙂 ausserdem isses mir schon LANGE nicht mehr passiert, morgens um 11:15 aus ner Bar geschmissen zu werden 🙂
@Berliner: Danke! Für das Layout konnten wir nichts – das hat die WELT kompakt gemacht. Sollte halt unverwechselbar sein. Man stelle sich vor, Blogger schreiben eine Zeitung und keiner kriegt es mit 🙂
Es hat wirklich Spaß gemacht. Das Ergebnis finde ich ziemlich gelungen, wenn man einmal von den allzu breit laufenden Zeilen absieht. Dass sich die Redaktion abgesichert hat und uns Blogger im Vorfeld gebeten hat, etwas zu produzieren, halte ich für sehr verständlich. Die Welt-Kompakt-Redaktion konnte nicht wirklich wissen, auf wen sie sich einässt und eine Tageszeitung steht immer mächtig unter Dampf. Abgabetermine sind einzuhalten, gedruckt und verteilt werden muss auch.
Ich wünsche mir für das nächste Mal (hoffentlich gibt es eins), dass wir die Vorproduktion schon mit einer virtuellen Redaktionskonferenz einleiten, um uns besser abzustimmen und die Stücke, die wir vorher schreiben, schon in unseren Blogs diskutieren können, so dass wir in die später zu druckenden Artikel die Diskussion im Netz mit einfließen lassen können. Dann könnten wir bloggen und zeitungmachen besser miteinander verzahnen. Auf jeden Fall war es eine spannende Erfahrung. Und toll war es, die vielen anderen BloggerInnen und Twitterees zu treffen und in Realiter zu erfahren, wie sie ticken. Super Gelegenheit.
Kann man die Bloggerzeitung auch irgendwo ohne Click&Buy einsehen? Mir geht es nicht um die 55cent aber ich hatte massiven Ärger durch jede Menge unerwuenschter Werbemails die mich im Gefolge eines einzigen Artikelkaufs bei Spiegel der eine Registrierung dort erforderte erreichten.
@trk
ja, inzwischen gibt es auch einen kostenlosen download: http://on.welt.de/wk_scroll