Knapp eine Woche ist es her, dass der Stern mit seinem Artikel über Rainer Brüderle eine Debatte über Sexismus in Deutschland ausgelöst hat, wie es sie lange nicht gegeben hat. Während der altliberale Politiker mit dem Charme des Trollinger genießenden Gemütsmenschen beharrlich schweigt, scharen sich seine Parteifreunde von Rösler bis Niebling schützend um ihn und sprechen von einer Hetzkampagne gegen die FDP, wie es sie beispiellos sei.
Dabei geht es, wie Alice Schwarzer am Sonntag abend bei Günther Jauch in dessen Talk-Show so treffend bemerkte, schon lange nicht mehr um Brüderle und seine Anzüglichkeiten auf Herrenwitz-Niveau. Der Diskurs ist vorangeschritten, auch wenn es, wie die Schwarzer es bildreich formulierte, eigentlich seit über 40 Jahren um die gleiche Kacke geht, die noch immer dampft. Unrecht hat Schwarzer, die man ganz ohne sexistischen Hintergrund als Rampensau des Feminismus bezeichnen könnte (aber nicht darf, aus Gründen!) damit nicht.
Neu aber für Schwarzer ist, dass sie nicht mehr die alleinige Schwertträgerin feministischer Belange ist. Als junge, ebenso engagierte Gefährtin ist Anne Wizorek auf den Plan getreten, laut Medienberichten eine freie Projekt-Managerin und Online-Expertin. Darunter kann man sich nun viel vorstellen, aber darum geht es hier nicht.
Anne Wizorek hat in der vergangenen Woche die Sexismus-Debatte unter dem genialen Schlagwort #Aufschrei in die Twitter-Community überführt und damit bewiesen, dass sie die Online-Klaviatur bestens beherrscht. Als @marthadear startete sie einen Aufruf, den ganz alltäglichen Sexismus bei Twitter zu thematisieren und mit dem Attribut #Aufschrei zu versehen. Das Timing war perfekt. Wie das des Stern übrigens auch.
Über Nacht wurde sie mit ihrer Aktion zum Shooting-Star und Medienthema: Ob Bild oder Süddeutsche – Anne Wizorek, die Online-Expertin hat es geschafft, sie ist in allen wichtigen Zeitungen und Onlineportalen vertreten. Der Erfolg war derart groß (über 58.000 Tweets innerhalb von vier Tagen), dass es gleich für die Königsklasse reichte: Direkt in die sonntägliche Talkshow zu Günther Jauch. Seite an Seite mit Alice Schwarzer, Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn, Hemlut Karasek und anderen Gästen diskutierte sie über Brüderle und über die fließenden Grenzen zwischen Flirt und sexistischer Anmache.
Ein erster, ein großer Schritt ist gemacht: Mit ein wenig Glück und Geschick wird Anne Wizorek sich zum Dauergast in Talk-Shows und als langjährige Interview-Partnerin etablieren können. Ein Schelm, wer ihr dabei Selbstvermarktung unterstellt, ihr geht es natürlich nur um die Sache…
Derweil droht auf Twitter, die Sache, also die #Aufschrei-Kampagne inhaltlich zu kippen. Schien sich am Anfang tatsächlich ein Diskurs auf 140 Zeichen zu entwickeln, schwappte schon bald die „Ich auch Betroffenheits-Schilderung“ mit hinein, zum Teil sehr empfindsame und anrührende Kurznotizen, aber eben auch viel Rührseliges, Polemisches, Verbittertes. Verständlich ist das, doch liefern diese persönlichen Betroffenheitsstatements immer auch Angriffsfläche. Und genau dazu musste es dann auch kommen:
Denn mittlerweile passiert auf Twitter genau das, was immer auf dieser Plattform geschieht. Kaum ist eine Sau in dieses digitale Dorf getrieben und noch nicht mal am anderen Ende wieder heraus, wird es den Twitterern langweilig. Und dann tun sie das, was sie immer tun. Sie reagieren mit Ironie, Zynismus und Provokation, sie ziehen alles ins Lächerliche. Die gelangweilten Twitterer haben begonnen, den #Aufschrei als Stichwortgeber für Witze, Ironie und Spot zu nutzen – Zynismus pur. Auch sie verwenden das Schlagwort in ihren Tweets für ihre Provokationen, denn sie wissen, dass sie damit genau die treffen, die sie treffen wollen: Die Aktivistinnen.
Die Reaktion kommt wie erwartet, und sie kommt postwendend. #Aufschrei-Aktive, die diese Tweets entdecken, fahren erst aus der Haut, und dann die Provokateure via Twitterantwort massiv an. Das ist natürlich eine gewollte Reaktion, die Spaß macht und erst recht zu weiteren Provokationen führt. Gelegentlich ist in diesem Zusammenhang das schiller’sche Wort zu lesen: „Da werden Weiber zu Hyänen“. Ein Diskurs kippt um.
Andere gehen das Ganze weniger literarisch an. Zuerst twittern sie die Prophezeiung, gleich wild entfolgt zu werden, dann donnern sie eine ganze Latte an zotigen Witzen aus der alleruntersten Schublade heraus. Kaum ist das gemacht, fliegen sie aus der Timeline der Aktivistinnen. Gleichzeitig werden sie von anderen Lesern intensiv retweetet oder durchgefavt, werden also ihre Witze mit Sternchen favorisiert. Hier wird eine Sehne so lange gespannt, bis reißt.
Diese Angriffe auf #Aufschrei kommen übrigens, soweit das bei Twitter feststellbar ist, keineswegs nur von Männern, die sich mit dem „Jetzt Erst Recht“ Chauvinismus in Szene setzen. Auch für viele weibliche Twitterer ist die #Aufschrei-Kampagne mittlerweile durch, das Thema gilt als zerredet und zerfasert – vor allem entspricht es nicht gerade dem Unterhaltungsbedürfnis vieler Twitterer, die stets auf der Suche nach süffisanten Bonmots ihre Timeline durchforsten. Waren doch pointenreiche Penis- und Vagina-Bemerkungen und Anzüglichkeiten doch vor Kurzem noch das Twittergenussmittel zu später Stunde.
Für so manchen Twitterer ist die Sau wurde nun genug gejagt. Sie suchen längst eine andere. Sie wollen Spaß und ihre Zoten. Dafür blocken oder kicken sie die Aufschreierinnen gern mal aus ihrer Timeline oder sie riskieren, von diesen entfolgt zu werden. Tut ja gar nicht weh.
Auch das ist Twitter. Das hätte Anne Wizorek vielleicht einkalkulieren sollen. Schließlich ist sie ja Online-Expertin.
2 Antworten
Ich kann mit Biedermann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte.
Folgt ihr nur den Amerikanern in Allem, macht ihnen jeden Mist nach. Seid politisch korrekt und, frömmelt und katzbuckelt!
Ich rufe den Tag des Altherren-Witzes aus, steckt euch eure Chauvikasse in den Arsch!
Marx ist Dummheit und Feigheit, Marx ist Heuchelei und Falschheit, Marx ist Tyrannei und Armut, Marx ist schlecht. Wo immer der Mensch sich vor seinem Denkmal verbeugt, wird die Menschheit verdammt. Marx ist im wesentlichen antizivilisiert, antiliberal und antimenschlich.