Der Computer sei ein „ausgelagerter Teil des Körpers“, sagt Verfassungsrichter Winfried Hassemer in einem Interview der „Süddeutschen„. Fragt sich nur welcher?
Wie wäre es mit dem Bewegungsapparat? Ich träume schon lange von einem Gerät, das mir die Mühe des Fitnesstrainings abnimmt, etwa durch gezielte Stimulation von Muskelgruppen.
Und was ist mit den Geschlechtsorganen? Unterhalb der Gürtellinie hat die Computerrevolution ja längst begonnen: „Cyberdildonics“ nennt sich eine Unterdisziplin der Informationstechnologie, bei der es um die computerisierte Fernsteuerung des Lustempfindens mittels Sensoren und Stimulatoren an besonders empfindlichen Körperstellen geht. Ich erinnere mich an eine Cybersex-Messe in Frankfurt, auf der sich Paare, in Latex gehüllt und mit Drähten gespickt, sozusagen fernliebten. Für Sadomachoisten gab es damals schon die Variante mit spitzen Nadeln, um sich per Hyperlink gegenseitig am Po (oder sonst wo) zu pieksen.
An diesen Messebesuch denke ich nur fröstelnd zurück. Aber wenn wir schon beim Erinnerungsvermögen sind: Ich fände es toll, wenn wir Teile unseres Denkapparats auslagern könnten. In meiner aktuellen Lebensphase beginnt bekanntlich das Langzeitgedächtnis nachzulassen. Einfach in regelmäßigen Abständen eine Backup-Kopie machen! Fehlt dann nur noch der Stirnschlitz für die Memorycard. Am besten jeden Morgen das Gehirn mit Outlook synchronisieren!
Ich hoffe, Herr Hassemer und das hohe Gericht werden mir diese despektierlichen Zeilen verzeihen, zumal er und seine Kollegen durch ihre kürzliche Entscheidung zugunsten eines Rechts auf eine unversehrte Festplatte – das so genannte Computer-Grundrecht – in meinen Augen höchste Anerkennung verdient haben. Und wer weiß, vielleicht ist seine Vision von der Vereinigung von Mensch und Maschine auch gar nicht so weit entfernt.
Der Amerikaner Ray Kurzweil geht ja davon aus, dass es mit Hilfe der Nanotechnik in absehbarer Zeit möglich sein wird, menschliche Gehirnzellen zum Nachrüsten herzustellen. Man wird sie, so sagt er, sogar vorprogrammieren können. Was, Sie können noch kein Französisch? Macht nichts: Langenscheidt & Co. hat den entsprechenden Upgrade auf Lager. Und es tut überhaupt nicht weh!
6 Antworten
Das von Dir erwähnte Interview in der SZ war leider recht oberflächlich geführt und wurde der Bedeutung des Themas und auch der Bedeutung Winfried Hassemers an keiner Stelle gerecht.
Hassemer hat darauf hingewiesen, dass sich die Einstellung vieler Bürger zur „Privatheit“ seit den 80iger Jahren massiv verändert hat. Und das ist natürlich richtig: wer damals noch gegen die Volkszählung auf die Straße ging und gegen ISDN aus Datenschutzgründen auf getrennte Netze setzte, der hinterlässt heute im Internet eine Blutspur persönlicher Informationen; der macht seine Gewissens-DNA heute in unzähligen Blogs und Communities publik. In diesem Sinne wird der Computer zu einem ausgelagertem Körperteil „oder jedenfalls ein ausgelagertes Tagebuch“, wie Hassemer im Interview sagt. Was er aber auch erwähnt – und das ist wichtig – : „Die vom Staat zu schützenden Innenräume werden andere – aber der Mensch braucht diese Innenräume.“ Und weiter: „Auf das sich wandelnde Gefühl von Privatheit passen möglicherweise nicht mehr die Gesetze, die wir zum Datenschutz gemacht haben.“
Dies aber ist die zentrale Herausforderung heute: wie schützen wir den Bürger, der in seiner Jugend intimste persönliche Einstellungen in Internet-Foren hinterlässt, davor, mit diesen Jugendbekenntnissen zwanzig Jahre später im Einstellungsgespräch unsanft konfrontiert zu werden? Wie schützen wir das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers, der diesen Schutz „zur Zeit“ gar nicht erwartet?
Es geht eben nicht nur um den Zugriff des Staates auf die Festplatten der Bürger oder um die notwendige Verschlüsselung von Informationen, damit die Telekom oder andere Unternehmen sie nicht unberechtigt auswerten können, es geht um den Schutz des Bürgers vor sich selbst.
Auf die Frage „Was sagen Sie als Datenschützer zu dem Satz: ‚Ich habe nichts zu verbergen?’“ antwortet Hassemer: „Das ist eine Frage der persönlichen Erfahrung. Solange man mit der Masse schwimmen kann und nirgendwo auffällt, mag das kein Problem sein. Aber wenn die Polizei sagt: ‚Sie schon wieder!’, dann sieht das anders aus. Dann sind Sie markiert und isoliert, und plötzlich hat Ihre Umwelt ein anderes Gesicht.“
Die Diskussion um diesen „Schutz des Bürgers vor sich selbst“ hat noch gar nicht wirklich begonnen. Helmut Kerscher und Heribert Prantl von der SZ haben diesen Faden leider auch nicht weiter aufgegriffen. Es macht ja auch mehr Spaß mit falschen wolhklingenden Plattitüden rumzupolemisieren: „Grundrechte sind wie Seife: Durch zu häufige Benutzung werden sie immer kleiner.“ So ein Unfug aber auch!
Den Bürger vor sich selbst schützen, klingt mir zu vermessen. Das bedeutet doch, dass er nicht weiß, was er über sich selbst veröffentlichen soll, und dass er das auch nicht lernt. Ich glaube, es reicht, wenn wir vor der Datensammelwut der Behörden und vor allem der Unternehmen geschützt werden. Vor allem letztere setzen inzwischen immer mehr Mittel ein, um uns zu profilieren und unserer Gewohnheiten auszuspähen. Die Veröffentlichungen über sich selbst, kontrolliert der webmündige Bürger selbst. Zugegeben, im Moment geht er noch sehr lax mit Informationen über sich selbst um. Aber spätestens wenn er einmal auf die Schnauze gefallen ist, wird er entsprechende Vorsicht walten lassen. Wetten!?
Angenommen! Man hat noch nie eine Wette verloren, bei der es um die Sorglosigkeit der Menschen beim Herausrücken ihrer persönlichen Daten geht. Professionelle Datenschützer beklagen das regelmäßig und hoffen auf bessere Einsicht, aber vergebens.
Das Blöde ist nämlich, dass es den meisten Menschen schittegol ist, ob jemand seine persönlichen Daten kennt. Das digitale Ich, also die Entsprechung des Einzelnen in der Welt hinter dem Bildschirm, ist für die überwiegende Mehrzahl so abstrakt, dass er sich überhaupt nicht darum kümmert. Daran krankt auch die IT Security, wie ein Kamarateam des BBC vor ein paar Jahren eindruckvoll bewies: Sie fragten Menschen auf der Strasse, ob sie bereit wären, ihnen Benutzername und Passwort ihres Computers zu verraten, was etwas mehr als die Hälfte bereitwillig und ohne Gegenleistung tat.
In einer zweiten Runde erhöhte der BBC den Einsatz: Es gab für die Zugangsdaten ein Schinkenbrötchen (was mich an die rühmte Frag von George Bernhard Shaw erinnert: Was ist besser, ewige Seligkeit oder ein Schinkenbrötchen?“ Antwort: „Ein Schinkenbrötchen, natürlich. Denn nichts ist besser als ewige Seligkeit, aber ein Schinkenbrötchen ist besser als nichts…“). Jedenfalls erhöhte sich die Erfolgsquote auf über 70 Prozent.
Vielleicht liegt hier der Schlüssel: Wir müssen den Leuten immer wieder klar machen, dass persönliche Informationen für die Anbieterseite unheimlich wertvoll sind, denn sie versetzen sie in die Lage, ihr Angebot zu optimieren und mir gezielte, personalisierte Angebote zu unterbreiten, also langfristig mehr Geld zu verdienen. Dafür sollte es einen gegenwert geben: Persönliche Informationen als Handelware. Merke: Die Aussicht auf Entlohnung ist allemal eine stärkere Triebfeder als Angst davor, ausgeschnüffelt zu werden.
Sehr richtige Punkte. Aber existiert man den- zumindest in manchen Bereichen -überhaupt, wenn man nichts über sich im Internet verbreitet. Wenn man nicht seine digitale Identität auf Xing, myspace oder stayfriends hinterlässt. Wenn man nicht Experte bei bestimmten Plattformen ist. Möglicherweise gehört man ganz schnell zum Internet Proletariat, wenn man nicht einen eigenen Blog schreibt oder wenigstens in einem Forum oder einem Blog einen Kommentar hinterlassen hat. Die Frage ist also nicht hinterlasse ich Spuren, sondern wie kann ich meine Spuren kontrollieren. Wer gibt mir die Möglichkeit mir unliebsame, persönliche Informationen zu erkennen und wieder zu entfernen?
Tim Cole
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Internet-Proletariat – ein Stichwort, das zur Diskussion einlädt. Wie definiert man ihn. Ich glaube, dass wir alle viel zu sehr von George Orwell beeinflusst sind, der die “proles” als “den Rest” definierte, der im Gegensatz zu Mitgliederern der Innen und der Äußeren Partei wirklich nur als menschliche Verfügungsmasse diente. “Proles” im ursprünglichen lateinischen Kontext waren die „Nachkommen“, also eigentlich die Hoffnung des Staates. Wenn die NICHT bloggen, haben wir ein Problem – nämlich keine Hoffnung mehr…
„den bürger vor sich selbst schützen“ heisst ihm die mittel in die hand zu geben, sich zu korrigieren. heute vermasseln sich viele jugendliche ihre zukunft durch online-einträge, die sie eines tages bereuen werden. meine dummheiten, die ich mit 15 jahren gemacht habe, sind inzwischen gesellschaftlich vergessen. diese gnade der frühen geburt haben junge menschen heute nicht mehr. darum geht es (auch).
wir müssen wege finden, dem internet ein wenig der anonymität zurückzugeben, die es uns einst versprach.