Ein Detektiv unter Nazis: Philip Kerr – Feuer in Berlin. Buchbesprechung

Colt

Sie lieben klassische Detektivgeschichten? Philip Marlowe? Sir Henry Merrivale? Hercule Poirot? Sherlock Holmes?  Ellery Queen? Sam Spade? Nero Wolfe? Philo Vance? Lord Peter Wimsey? Jerry Cotton?  Na gut, Jerry war ja eigentlich Agent. Aber die anderen, das waren die großen Klassiker des Genres. Da waren Männer noch Männer. Und Frauen wurden erst beschützt und dann ausgezogen. Und wenn Walther aus dem Hosenbund lugte war es eine Parabellum. Und von Remington kam nicht nur die Schreibmaschine, sondern auch der passende Colt.

 

Nein, politisch korrekt aus heutiger Sicht sind die großen Detektivgeschichten nicht. Aber man las sie ja auch stilgerecht unter der Bettdecke. 

Dabei kann man Detektivgeschichten auch offen auf dem Nachttisch liegen lassen. Jedenfalls wenn es um die Geschichten rund um den Berliner Detektiv Bernhard Gunther geht, die sich Philip Kerr hat einfallen lassen. 

Kriminelle in Nazi-Deutschland: die Auswahl ist groß 

Der Roman „Feuer in Berlin“ bildete 1989 den Start der Thriller-Trilogie (tolles Wort)  Berlin Noir um Privatdetektiv Bernhard Gunther. Dieser ermittelt im Berlin des Olympiajahres 1936, also mitten im Nazi-Sumpf.

Philip Kerr Feuer in Berlin

Ein ziemlich verwegener Plot, der den Vorteil hat, dass es ausreichend kriminelles Personal gibt. Tatsächlich steht das Berlin des Jahres 1936 atmosphärisch Chicago oder der Bronx in nichts nach.  Ein wenig lästig wird es, wenn Gunther wie einst Marlow sich in allzu blumigen Vergleichen verliert, aber was solls. Es ist ein Detektivroman und da floskelt sich die Story nun mal stets ein wenig selbstironisch durch den Plot.

Das Buch hat immerhin 335 Seiten und hält die Spannung bis Seite 297, was man ja nun von einem durchschnittlichen Tatort-Drehbuch nicht behaupten kann. Man lernt so nebenbei das Vorkriegs-Berlin kennen. Die Nazi-Barbarei und die ganze Doppelmoral in den verschiedenen „arischen“ Segmenten der Stadtgesellschaft werden realistisch nachgezeichnet. Dabei darf man sich moralisch immer auf der richtigen Seite fühlen. Gunther ist alles andere als ein Widerstandskämpfer, aber ist kein Nazi, kein Rassist, eher ein Beobachter und Berichterstatter mit Abstand. Das ist wohltuend. Denn das Eis ist dünn, wenn man sich als Untergrund für eine Detektivgeschichte dieses dunkelste aller deutschen Kapitel heraussucht.

Die letzten 30 Seiten aber sind mit dem Pritt-Stift für die Kulturredaktion drangeklebt worden. Da verschlägt es unseren Detektiv nach einer Begegnung mit Heydrich als Undercover-Agent ins Konzentrationslager nach Dachau. Und nein, dieses Sujet verbietet sich mir für alle belletristischen Eskapaden. Ich halte es auch nicht für gelungen, nicht für wesentlich für die Geschichte. Ich verstehe nicht, was das soll. Katharsis? Ein Kapitel fürs Feuilleton? Das Buch hätte gut und gerne auf Seite 297 zu Ende sein können. Der Fall ist da auch schon gelöst. Alles was danach kommt stört mich, ist Dokumentation des Grauens. Ich habe viele Bücher über die Konzentrationslager gelesen. Ich lebe und arbeite im Landkreis Dachau. Das ist mein Zuhause. Das ist meine Verantwortung und Geschichte. Das ist keine Detektivgeschichte. Gunther hat dort nichts verloren. Es regt mich auf.

Aber das Buch ist gut. Ich lese selten Krimis. Und schon lange habe ich keinen Detektivroman mehr gelesen. Ich werde mir weitere Bücher von Philip Kerr holen. Er schreibt großartig düster, zynisch, realistisch, versaut. 1995 hat er den „Bad Sex in Fiction Award“ erhalten. Das klingt doch auch irgendwie vielversprechend.

Kerr starb übrigens 2018, angeblich an einem profanem Blasenkrebs. Das kann natürlich gar nicht sein. Da muss irgendein Geheimdienst dahinter stecken. Wurde nur noch nicht aufgeklärt. Typisch…

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