Es hätte so schön sein sollen: Sympathische uniformierte Damen und Herren lächeln mit anderen Menschen um die Wette. So ungefähr hatte es sich die New Yorker Polizei gedacht, als sie die Twitter-Idee #myNYPD ins Leben rief: Der Polizist als Freund und Helfer, smart, lächelnd, hilfsbereit und bürgernah. Dabei hatten Stadtverwaltung und Polizei sicher eine klare Vorstellung davon was passieren würde. Der Bürger würde zu einem Beamten gehen, beide würden wettgrinsen, ein Dritter macht ein Foto – und ab damit in die Twitterwelt.
So ungefähr würde das Ergebnis aussehen:
Falsch gedacht: Es kam ganz anders. Und zwar so:
Wer unter dem angegebenen Hashtag, der längst als Bashtag fungiert die Bildersuche bemüht, findet genau das Gegenteil dessen, was sich die Polizei gewünscht hat. Zwar finden sich auf Twitter durchaus Bilder, die die Beamten als freundliche und verrauenswürdige Menschen zeigen, aber das Gros der Bilder zeigt prügelnde, enorm gewaltbereite Polizisten. Das ist der bildliche Beweis von Polizeigewalt. Schlagende Polizisten, Bilder von blutüberströmten Menschen, die verhaftet werden, brutales Vorgehen, schmerzverzerrte Gesichter wie Zeit Online zusammenfasst. Was das Image der amerikanischen Polizei aufpolieren sollte, verkehrte sich umgehend ins Gegenteil. Statt der erwarteten „Kuschel“-Bilder übernahm der amerikanische Wutbürger bei Twitter und tweetete, was sein Handy hergab. Die Gewalt, die vom Staate ausgeht. In kürzester Zeit sammelten sich unter dem Hashtag #myNYPD hunderte Fotos, die alles andere als geeignet sind, das Bild der amerikanischen Polizei ins rechte Licht zu rücken… und das geht seit Tagen so und zieht immer weitere Kreise. So gesehen, hat die New Yorker Polizei weit mehr provoziert als einen der üblichen Shitstorms, die genauso schnell vergehen, wie sie gekommen sind. Denn hier sind es nicht nur ein paar empörte Gutmenschen, die zum Boykott irgendwelcher Produkte wegen irgeneiner anstößigen Kampagne aufrufen. Hier agiert der frustrierte Wutbürger, der sich ohnmächtig fühlt und nun einen Kanal und eine Öffentlichkeit gefunden hat… und Gleichgesinnte.
Weltweit wurden mittlerweile die Medien auf das Thema aufmerksam und berichteten über diesen PR-GAU, der so richtig nach hinten losging. Und wie das in solchen Fällen immer ist: Die Medienberichterstattung befeuert das Thema zusätzlich und erhitzt die Gemüter. Das machen die Kommentare unter den Meldungen deutlich: Stellt Fotos von prügelnden Bullen ruhig rein. Vielleicht erkennt sie jemand und sie werden endlich rausgeworfen. Bullen untereinander krümmen sich sowieso kein Haar. Vielleicht ist der Pranger wirklich nötig, damit man diese Idioten aus der grauen Masse der Uniformierten endlich rausbekommt liest man auf Zeit Online. Denke, eine ähnliche Sammlung bekäme man auch unter #myPolizei hin steht in den Leserkommentaren auf Spiegel-Online. Was in New York funktioniert wird twittert, kann man auch auf andere Städte übertragen. Was heißt: Die Aktion könnte Schule machen. Twitter könnte einmal mehr seine Medien-Macht beweisen, und zum Sammelbecken dokumentarischer Amateurfotos von staatlicher Gewalt gegen Demonstranten, Mitglieder der Occupy-Bewegung, Kleindealer oder den ganz einfachen unbescholtenen Bürger und Straßenverkehrsteilnehmer werden. Bilder sind schnell gemacht, ein Handy mit Fotofunktion hat heutzutage fast jeder dabei.
Zwar warnt der Berliner Medienrechtler und Anwalt Tim M. Hoesmann auf seinem Blog, die Veröffentlichung von Bildern, die Polizeibeamte zeige, verstoße gegen geltendes Recht, aber das dürfte kaum jemanden daran hindern.
Pressefotografen ist es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsegrichts in Karlsruhe erlaubt, Polizisten zu fotografieren, da sich diese auf das auf die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit berufen können. Dieses Recht gilt jedoch nicht für alle Fotografen, insbesondere nicht für Fotografen, welche selbst Teil der Demonstrantion sind, bzw. die Bilder nicht aus einem objektiven Interesse an der Berichterstattung publizieren, sondern wie in der aktuellen #myNYPD Kampagne, um die Polizisten in ein schlechtes Licht zu rücken. Das VG Göttingen hat in einem Urteil entschieden, dass das Fotografieren eines Polizisten durch den “einfachen” Bürger nicht gerechtfertigt ist“, so Hoesmann.
Wieder einmal beweist sich, dass es PR-Strategen gibt, die „das Internet“ nicht verstanden haben und es instrumentalisieren wollen. Und wieder beweist sich, dass das Netz bzw. die Netzcoummunity trotz aller Reglementierungsversuche noch immer nach ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten agieren und reagieren. Bleibt als Quintessenz: Ein Satz mit „X“… das war wohl nix!
3 Antworten
Ich finde einen Satz vor allem nachdenkenswert, auch wenn ich ihn hier etwas vereinfache: „Die Internet-Gemeinde schafft sich seine eigenen Gesetze.“ Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis: Der Gesetzgeber in seiner traditionellen demokratisch legitimierten Form hinkt immer hinter dem Wähler-, bzw. dem Bürgerwillen her, weil es viel zu lange dauert, bis sich eine neue Rechtsnorm seinen Weg durch die Instanzen bzw. in die Parlamente bahnt. Der Otto-Normalbürger im Zeitalter des Internet empfindet kein Unrechtsbewusstsein, wenn er Bilder oder Videos per Internet mit Freunden (auch Facebook-Freunde sind „Freunde“) teilt. Das haben aber diejenigen noch nicht verstanden, die heute die Gesetze machen – zum Beispiel ein „Leistungsschutzrecht“, das Deutschland zum internationalen Gespött macht. Kant hat uns mit seinem „sapere aude“ aufgefordert, uns unseres Verstandes zu bedienen. Wenn unser Verstand uns etwas anders sagt als die Gesetzbücher, dann müssen eben die Gesetzbücher geändert werden. Danke für diese Erkenntnis!
Lieber Tim,
prinzipiell gebe ich Dir zu Deinen Anmerkungen absolut recht, aber mir geht es hier weniger um juristische Fragen als um soziologische. Daher eine kleine Präzisierung:
„Das Netz“ ist im Prinzip auch nur die Summe der Interaktionen von Milliarden von Menschen. Diese sozialen Interaktionen laufen nun mal nach bestimmten Verhaltensmustern („Gesetzmäßigkeiten“) ab, auch im Netz. Dabei spielt es sicherlich eine Rolle, welche kulturelle Prägung welche Netzmenschen „mitbringen“. Diese Verhaltensmuster sind zum Teil vorhersehbar. Das heißt: Gibt man einen Impuls/Reiz, folgt eine zum Teil erwartbare Reaktion, das kann man in unserem Kulturkreis wunderbar am Empörungsmaschinismus ablesen, der foralen Belehrungswut und Besserwisserei, der Kommentierlust, den Shitstorms wie auch dem virtuellen Gekuschel…
Da die Verhaltensmuster bekannt und viele Reaktionen vorhersehbar sind, ist die Netzgemeinde durch bestimmte Impulsgaben steuerbar und auch manipulierbar, das gilt für Werbung (digitale Schnäppchenjagd als Beispiel) ebenso wie für die Meinungsbildung. Nun muss man aber das Verhalten des Netzschwarms studieren um zu wissen, in welche Richtung die Masse sich bewegen lässt, und in welche nicht, welche Impulse zünden und welche ohne Reaktion bleiben bzw. eher eine Wirkung entfalten, die so nicht beabsichtigt war.
Tja: Tut man das nicht, erlebt man eben das, wie die NYPD.
So sollte man zum Beispiel wissen, dass Twitter von einer bestimmten „Spezies“ dominiert wird: Zynische, selbstverliebte und boshafte Arschlöcher, die sich für nichts wirklich begeistern lassen, außer für sich selbst und ihre pontierten Gehässigkeiten. Sie ziehen alles in den Schmutz, kritisieren und verlachen alles. Damit werden sie bei ihren Followern zum Star (Elite)… Zudem sind sie grundsätzlich rebellisch, trotzig und legen sich gern mit den ganz Großen an. Und sie haben kategorisch immer eine ganz andere Meinung zu allem – ihre eigene. Und nur die gilt.
Klingt etwas überzeichnet, aber diese Twitterer gibt es nun mal weltweit zu Hauf. Da liegt es auf der Hand, dass Kampagnen, die dazu gedacht sind, das ramponierte Image aufzupolieren, nach hinten losgehen werden. Denn die Raubtier-„Twitterer“ warten nur auf solche Gelegenheiten und solche Beute.
Ach ja: Dass das Netz diesen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, heißt natürlich nicht, dass man nicht auch gute wie herbe Überraschungen erleben kann, denn nicht alles ist vorhersehbar, nicht alles ist plan-/manipulierbar und viele Dinge entwickeln sich mit rasendem Tempo in alle möglichen Richtungen.
Warum soll sich ein Mensch verändern, nur weil er vom Stammtisch zu Twitter wechselt. Arschlöcher gibt es hier wie dort zuhauf – aber zum Glück gibt es auch andere…