Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Kulturpessimist über die Datenflut schwadroniert, in der die Menschen einzeln oder kollektiv zu ertrinken drohen. Big Data ist unser Verderben! Der Kopf, so der jüngst verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, kommt nicht mehr mit. Unsere Hirne bilden sich zurück, bis wir, so der Boulevard-Neurologe Manfred Spitzer, den Zustand der „Digitalen Demenz“ erreicht haben.
In Wahrheit scheint die Menschheit in einer Flut von Bedenkenträgern zu versinken. Jeder und sein Bruder ist offenbar bemüht, noch’n Buch zu schreiben, in dem der baldige Untergang der christlich-abendländischen Kultur aufgrund digitaler Überlastung aller Beteiligten vorausgesagt wird. Da tut es richtig gut, zur Abwechslung ein Buch zu lesen, bei dem der Schreiber – in diesem Fall der amerikanische Statistiker Nathan Yau – verstanden hat, dass es einen Unterschied gibt zwischen Daten und Information, und dass es vor allem darum geht, die angeborene Fähigkeit des Menschen, komplexe Strukturen in einfache Bestandteile zu zerlegen und darin Muster zu erkennen , durch die intelligente Aufbereitung der immer größer werdenden Datenmengen zu unterstützen.
Es geht bei ihm um Datenvisualisierung, eine ebenso wichtige wie anspruchsvolle wissenschaftlich-publizistische Disziplin, die laut Yau viel mehr ist als nur die hübsche Aufbereitung von Zahlen. Richtig verstanden, meint er, gehe es darum, eine Abstraktion der realen Welt zu schaffen und damit Daten in Geschichten umzuwandeln. Ein Datensatz ist für ihn eine Momentaufnahme, die etwas einfängt, das sich bewegt und verändert. Eine gute Visualisierung wandelt Daten in Übersichten um und setzt somit den Prozess in Gang, mit dem der Mensch auf einzigartige Weise imstande ist, Daten in Wissen zu verwandeln.
Dass dazu eine Mischung aus verschiedenen Kompetenzen gehört, ist für Yau selbstverständlich. Der Ideale Visualisierungsfachmann ist für ihn eine Kreuzung aus Statistiker, Gestalter und Geschichtenerzähler. Und von denen gibt es, wie er schreibt, leider viel zu wenige angesichts der explosionsartig zunehmenden Anzahl von Daten und Quellen, aus denen wir aufgefordert sind, einen Sinn zu erkennen. Sein Buch, „Einstieg in die Visualisierung: Wie man aus Daten Informationen macht“ (Sybex-Verlag) kann man als Lehrbuch für angehende Infografiker lesen, man kann es aber auch mit Genuss als ein Parforceritt durch die bunte Welt der Daten und ihrer Darstellung lesen. Und auf dem Weg werden uns die Augen geöffnet für den Zauber, den gute Visualisierung wirken kann, wenn nämlich aus trockenen Zahlenkolonnen plötzlich greifbare und verständliche Einsichten werden und über dem Kopf des Lesers die berühmte Glühbirne aufleuchtet, die besagt: Das habe ich verstanden!
Gute Visualisierung kann Glücksgefühle auslösen und eingefleischte Fehlinformationen korrigieren. Nur ein Beispiel unter vielen: Afrika wird regelmäßig unterschätzt, weil der Kontinent auf unseren Weltkarten wegen der Mercatorprojektion immer viel zu klein dargestellt ist. Der deutsche Designer Kai Krause hat das Bild gerade gerückt, indem er (siehe oben) den Umriss des Schwarzen Erdteils mit Karten diverserer anderer Länder wie China, die USA und Indien füllte und dabei noch Platz fand für Osteuropa, Deutschland, Frankreich und Spanien. Und das ist wieder so ein Glühlampenmoment: Afrika ist ja riesig! Wer hätte das gedacht?
Gute Visualisierung, und da hat Yau ja so Recht, ermöglicht uns, Dinge zu sehen, die uns bislang verborgen geblieben sind – die aber eigentlich die ganze Zeit vor unserer Nase lagen, wenn wir sie nur hätten sehen können! Aber was noch wichtiger ist: Gute Visualisierung ist sozusagen der Schwimmring, der uns davor bewahrt, in der Datenflut zu versinken. Das macht Mut für die Zukunft, denn Big Data ist keine Sau, die von der IT-Branche gerade durchs Dorf getrieben wird, sondern ein Teil unserer Realität. Ohne intelligente Visualisierung werden wir wie Blinde durch diese Welt der digitale Daten tapsen.