Das Zeitungssterben ist ja in vollem Gänge. „Frankfurter Rundschau“ und „Financial Times Deutschland“ sind prominente Beispiele hierzulande. In meiner Heimat Amerika sieht es noch schlimmer aus. Dort sind Tageszeitungen laut einer von der Website „Newspaper Death Watch“ veröffentlichten Studie die am schnellsten schrumpfende Industrie der USA. Der Passauer Prof. Wolfgang Henseler hat schon ausgerechnet, wann die letzte Tageszeitung das Erscheinen einstellen wird, nämlich ungefähr im Jahre 2036. Bis dahin, so hat er durch Extrapolation der bekannten Auflagen- und Anzeigenentwicklung errechnet, wird es sich für keinen Verlag mehr lohnen, Nachrichten und Meinungen auf tote Bäume zu drucken.
Und nun das: Die „International Herald Tribune“, seit mehr als 30 Jahren meine tägliche Morgenlektüre, verschwindet auch! Das schreibt die Zeitung selbst in ihrer heutigen Ausgabe, die ich – pikanterweise – neuerdings nur noch elektronisch auf dem iPad lese, weil die es die aktuelle Printausgabe leider morgens nicht bis in den fernen Lungau schafft, wo ich seit ein paar Monaten wohne.
Die gute Nachricht lautet: Die IHT wird weiterleben, jedenfalls vorerst. Sie wird nur anders heißen.
Dazu muss man etwas über die wechselvolle Geschichte dieser weltweit einzigartigen Gazette wissen, deren größtes Kuriosum darin besteht, eine amerikanische Zeitung zu sein, die nicht in Amerika, sondern in Paris erscheint.
Das kam so: Der junge James Gordon Bennett, Jr. (1841 – 1918), reicher Verlegersohn aus New York, hatte es daheim wohl ein bisschen zu bunt getrieben – Alkohol, Weibergeschichten, das Übliche halt. Als er auch noch verspätet zu einem Dinner bei den Eltern seiner Verlobten erschien und coram publico in den Kamin pinkelte (oder in den Flügel, wie andere Zeugen behauptet haben), musste er für eine Weile die Stadt verlassen und wandte seine Schritte in die Stadt des Lichts, wo er so etwas für der Vorläufer jener „Lost Generation“ war, die später wie Ernest Hemmingway, Scott Fitzgerald, Cole Porter, Gertrude Stein, John Steinbeck, T. S. Eliot, John Dos Passos, Isadora Duncan, Erich Maria Remarque und andere Enttäuschte aus der Ersten Weltkriegsgeneration Paris zur zweiten Heimat erklärten. Wer mehr darüber wissen will, sollte sich Woody Allen’s Meisterwerk „Midnight in Paris“ nochmal anschauen.
Bennett machte aus der Europa-Ausgabe der väterlichen „New York Herald“, eine der aufregendsten Zeitungen seiner Zeit. Er sponsorte die Arktisexpedition des Polarforschers George W. DeLong, die 1881 mit dem Tod DeLongs und seiner 19 Mannschaftskameraden endete (was die Zeitungsauflage noch weiter in die Höhe trieb!), gewann 1888 das erste transatlantische Rennen für Segeljachten, stiftete den „Coupe Aéronautique Gordon Bennett“ für Ballonfahrer und ließ sich nach seinem Tod auf dem Cimetière de Passy in seiner Lieblingsstadt Paris beerdigen.
Nach seinem Tod ging es mit dem väterlichen Blatt bergab, das 1924 mit dem Erzrivalen „New York Tribune“ verschmolzen wurde. Was zeigt, dass Zeitungssterben keineswegs eine Erfindung des Internet-Zeitalter ist. Die Pariser Edition firmierte fortan als „New York Herald Tribune, European Edition“, und später als „International Herald Tribune“, kränkelte jahrzehnelang vor sich hin, und wurde 1991 von einem Konsortium gerettet, die von den beiden übriggebliebenen großen US-Tageszeitungen „New York Times“ und „Washington Post“ getragen wurde. 2003 übernahm die „Times“ alle Anteile und begann, die „IHT“, wie sie liebevoll genannt wurde, langsam zur eigenen internationalen Ausgabe auszubauen.
Vielleicht war es deshalb nur logisch, dass Mark Thompson, CIO der “New York Times Company“, heute das Aus nach 125 Jahren verkündet hat. Die IHT wird in Zukunft als „International New York Times“ erscheinen, mit verändertem Logo, aber – zumindest vorerst noch – mit eigener Redaktionsmannschaft in Paris erscheinen. Und doch wird für uns alte Tribunalisten etwas anders sein. Und mir wird weh ums Herz bei dem Gedanken.
Okay, ich weiß: Nichts ist in der Zeitungsbranche so beständig wie der Wandel. Ich habe selbst in mehr als 40 Journalistenjahren am eigenen Leib den Übergang von Blei- zu Lichtsatz und dann nochmal den Übergang zu Desktop Publishing miterlebt. Und ich bin mir selbst ja untreu geworden, weil ich morgens nicht mehr das Rascheln von Papier genieße, sondern mit dem Zeigefinger auf dem Display „umblättere“. Aber trotzdem…