Gleich vorweg. Ich gebe zu, „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“ nicht gelesen zu haben. Und ich habe es auch nicht vor. Das hat mehrere Gründe. Zum einen lese ich, wie ich in meinem Blog mal geschrieben habe, Bestseller sowieso nicht. Zum anderen interessiert mich das Thema nicht. Und schließlich weiß ich von jemanden, der es bereits gelesen hat, dass das Buch sprachlich eher bescheiden ist, also nichts für Genußleser.
Nun ist also der Hype um den S/M-Schocker, wie er gern positioniert wird, auch in Deutschland angekommen. Das Buch hat sich katapultartig in die Bestsellerverkaufslisten hineingeschossen.
Ihren Teil zur umfangreichen Berichterstattung trug dabei die katholische Buchhandelskette Weltbild bei, die mitteilte, aktiv nichts dafür zu unternehmen, was für die Verbreitung des Buches hilfreich sei. Das allein war wieder eine Pressenotiz wert und hilft, das Sommerloch zu stopfen.
„Die hier beschriebene Unterwerfung der Frau widerspricht dem Welt- und Menschenbild, von dem wir uns als Buchhändler leiten lassen. Wir sehen das Buch als sehr problematisch an“ – so ist das Produkt in den Filialen bestickert.
W&V hat Weltbildsprecherin Eva Großnitzky interviewt. Dort sagt sie: „Deshalb distanzieren wir uns als Buchhändler inhaltlich von diesem Titel und geben kritischen Stimmen Raum. Wer allerdings das Buch in Kenntnis dieser Problematik erwerben will, kann dies über eine gezielte Suche im Onlineshop tun oder es in der Filiale bestellen.“ Nachlesbar ist die Meldung hier.
Das ist nichts Ungewöhnliches. Die Ladenkette Weltbild gehört zwölf deutschen Bistümern, ist von seiner Programmausrichtung an katholische Leitlinien gebunden und setzt diese mal mehr mal weniger konsequent um. Neu in diesem Zusammenhang ist die prompte Reaktion der von Czslanyky so geliebten Empörungsmaschinisten: Weltbild führe – so polterten sie bei Twitter und Co. – die Zensur wieder ein. Weltbild beschneide die elementaren Grund- und Freiheitsrechte des Kunden, ein Buch seiner Wahl zu erweben.
Das ist natürlich völliger Unsinn. Ob man diese sehr merkwürdige und eher doppelmoralige Verkaufsstrategie des Unternehmens nun gutheißt oder nicht: Weltbild hat die Zensur nicht eingeführt. Im rechtsstaatlichen Gefüge hat Zensur eine ganz klare Definition (s. Artikel 5 des Grundgesetzes).
Weltbild ist weder in der Lage noch willens, die Rede- oder Pressefreiheit einzuschränken noch den Zugang zu allgemein (sic!) zugänglichen Quellen zu behindern, und damit einen Informationsfluss zu unterdrücken. Aber genau das wäre Zensur.
Der bistümliche Buchhandel ist ja nicht der einzige, bei dem man „Shades of Grey…“ kaufen kann, und das Unternehmen ist sich dessen auch bewusst. Das Buch ist im Handel omnipräsent, also allgemein zugänglich. Es ist ja auch bei Weltbild erhältlich, nur eben nicht aufgetürmt auf den Warenpräsentationstischen sondern im „Giftschrank“. Schließlich will man am Kuchen doch ein wenig mit naschen.
Viel wichtiger aber wiegt eine ganz andere Frage: Jedes Handelsunternehmen muss die Freiheit haben, zu entscheiden, welche Produkte zum Warensortiment passen und welche nicht. Ein Unternehmen, das sich in einer gewissen Tradition und bestimmter Werte verpflichtet sieht, hat das Recht, Produkte nicht anzubieten, die der Unternehmensausrichtung engegenstehen. Das hat nichts mit Zensur zu tun sondern mit dem eigenen Verständnis der Unternehmenskultur.
„Shades of Grey“ ist ja kein Einzelfall. Weltbild hat immer wieder sein Sortiment überprüft und Produkte nicht gelistet. Vor einigen Jahren waren es zum Beispiel DVDs mit Filmen von und mit Tom Cruise. Begründet wurde dies mit Cruises Zugehörigkeit zu Scientology und dass er als Produzent an jedem Verkauf mitverdient.
Werte Empörte,
folge ich Ihrer Argumentation, ist es nicht auch Zensur,
- wenn mein Supermarkt kein Tchibo-Regal mehr hat und ich meine wöchentlich wiederkehrende Lust auf Ramschkauf dort nicht mehr befriedigen kann?
- wenn in der benachbarten Tankstelle keine herpetologische Fachzeitschriften zu haben sind, obwohl ich die doch unbedingt kaufen will?
- wenn ein Erdinger Sportgeschäft keine Trikots des amtierenden Fußballmeisters anbietet?
- wenn die aus gewerkschaftlicher Tradition stammende Büchergilde Gutenberg oder der Bertelsmann-Club nur selektiv Bücherlizenzen erwirbt und sein Sortiment auf diese Art begrenzt hält?
- wenn mein Lieblingsfilmkunstkino partout nicht den neuen Batman spielen will?
Oder sind das nicht alles schlicht Entscheidungen von Unternehmen, bestimmte Produkte nicht ins Sortiment zu nehmen oder auszulisten?
Genau! Letzteres ist der Fall. Man muss nicht immer alles bei jedem kaufen können.
Weil aber die katholische Kirche hinter Weltbild steht steht, meinen nun wieder selbsternannte Gralshüter des Guten, die Keule „Grundgesetz“ herauszuholen und auf die Klerikalen einzudreschen. Hier von Zensur zu schreien ist besonders beschämend vor denen, die in anderen Teilen der Welt ihr Leben für diese Rechte riskieren.
Dabei ist mir persönlich völlig egal, wem Weltbild gehört und ob dort „Shades of Grey“ verkauft wird oder nicht. À propos „Shades of Grey“ – wie gut, dass ich das sowieso nicht lesen wollte…