Es wäre jetzt billig zu sagen: „Ich hab’s gewusst!“ Aber irgendwas war komisch bei dem Gespräch, dass ich letztes Jahr mit Ramalinga Raju, dem Vorstandsvorsitzende von Satyam Computer, dem viertgrößten IT-Dienstleistungsunternehmen Indiens, in seinem Büro in Hyderabad (Foto oben) geführt habe. Es war irgendwie eigenartig: Die Floskeln, die Firmenbosse im Presseinterview so von sich geben – „wir sind hervorragend aufgestellt“, „wir werden unsere ehrgeizigen Wachstumsziele erreichen und übertreffen“ – klangen bei ihm besonders hohl und mechanisch, als ob er irgendwie mit dem Kopf ganz woanders gewesen sei.
Nun, heute weiß ich natürlich auch warum: Dem Mann ging schon damals der Arsch auf Grundeis. 20 Prozent des veröffentlichten Umsatzes und 90 Prozent der angeblichen Gewinne waren erstunken und erlogen. Als wir dasaßen und höfliche Platituden austauschten, hat er wohl gerade eimerweise Blut und Wasser geschwitzt, nach dem Motto: „Wo nehme ich nur die Millionen her, um die vielen Löcher zu stopfen?“ Er muss sich vorgekommen sein wie ein einarmiger Tapzierer mit Hämorriden.
Der plötzliche Kolapps von Satyam wird bereits als das „Enron Indiens“ bezeichnet, was jedoch prinzipiell falsch ist. In Texas haben raffgierige Manager ihr Unternehmen in einen Selbstbedienungsladen umfunktioniert. Raju hat alles gegeben, was er hatte, um die leuchtende Fassade seines Unternehmens abzustützen und steht am Ende ohne einen Cent da. So wie leider auch seine Aktionäre, die erleben mussten, wie ihre Anteilsscheine über Nacht 80 Prozent ihres Wertes verloren haben. Nur: Man kann Raju keine kriminelle Absicht unterstellen: Er wollte nur nicht seine Mitgliedschaft in Indiens feinstem Herrenclub verlieren, in dem neben ihm nur noch Nandan Nilekani von Infosys, Azim H. Premji von Wipro und Ratan Tata, der Chef des gleichnamigen Industrie- und Service-Konglomerats, saßen.
Man könnte ihn also wie die Merkles, Blenheims, Gatsbys oder Buddenbrooks dieser Erde ablegen unter dem Stichwort „gescheiterte Großmannssucht“. Aber leider hat das persönliche Drama auch eine globale Dimension. Denn mit dem Fall des Hauses Satyam gerät ein Grundkonzept der vernetzten Weltwirtschaft ins Wanken: Er bringt das Prinzip des Outsourcing/Offshoring insgesamt in Verruf. In den letzten zehn Jahren hat sich Indien zum Mittelpunkt der IT-Welt entwickelt, wo Hunderttausende von vergleichsweise preiswerten, aber hochqualifizierten Software-Entwickler, Systemadministratoren und sonstige IT-Profis die digitalen Geschäfte der größten (und viele der kleineren) Firmen der Welt besorgen und am Laufen halten.
Alleine bei Satyam liefen die IT-Prozesse von General Electric, General Motors, Nestlé, McGraw-Hill sowie der U.S.-Regierung zusammen. Und gemeinsam mit der Bertelsmann-Tochter Arvato wurden seit Ende 2007 gezielt mittelständische Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die „innovativen Lösungen und Offshore Services“ des indischen Konzerns geworben.
Das Debakel wird Wasser auf die Mühlen derjenigen CIOs gerade in Deutschland sein, die ohnehin dem Thema Outsourcing im Allgemeinen und Indien im Besonderen zunehmend skeptisch gegenüber stehen. Einer nicht-repräsentative Umfrage des Beratungshauses Experton Group im Auftrag des IT-Dienstleisters Atos Origin hat vor kurzem ergeben, dass nur jeder dritte deutsche CIO eine Auslagerung von IT-Dienstleistungen nach Indien in Erwägung zieht; in Großbritannien liegt der Anteil bei 80 Prozent.
Was sich lange als konservative Blockadetaktik, hier und dort möglicherweise sogar mit leichten rassistischen Untertönen, ausnahm, wird natürlich jetzt im Nachhinein als weise Vorausschau verklärt. „Deutsche Firmen dagegen mögen es lieber, wenn sich der Outsourcing-Anbieter näher an der Heimat befindet“, schrieb vor kurzem das CIO-Magazin. Am allerliebsten bleiben sie mit ihrer IT daheim, sagen das aber nicht gerne laut. In sofern bestärkt der Niedergang von Satyam einen fatalen Trend in der deutschen IT, denn angesichts stagnierender oder schrumpfender IT-Budgets und steigender Anforderungen an vernetzte Kernprozesse in fast allen Unternehmen ist eine globale Strategie langfristig der einzige Ausweg. Nur das Internet erlaubt es, die Kosteneffizienz so zu steuern, dass am Ende ein Optimum herauskommt. Krise hin, Krise her: Deutschland hat nicht annähernd genügend und häufig auch nicht die richtigen IT-Fachkräfte, um im internationalen Wettbewerb vorne zu bleiben. Outsourcing ist kein Luxus, sonder lebensnotwenig!
Daran ändert Satyams Zusammenbruch gar nichts, zumal der Konzern mit Sicherheit entweder en bloc oder en detail von der Konkurrenz gekauft und weitergeführt wird. Dazu sind die bestehenden IT-Prozesse der Kunden viel zu eng mit Hyderabad verflochten. Dem Vernehmen nach haben sich auch bereits die ersten ausländischen Kunden mit vertraulichen Solidaritätsadressen an ihre Satyam-Kollegen gewandt, nach dem Motto: „Wir halten Euch die Stange – egal was kommt!“
Ändern wird sich aber mit Sicherheit eine ganze Menge in punkto Aufsichtspflicht. Wie konnte sich ein Wirtschaftsprüfer wie PricewaterhouseCoopers so hinters Licht führen lassen, fragen sich nicht nur Insider. „Wenn du ein Wirtschaftsprüfer bist und dein Klient sagt, er habe eine Milliarde Dollar auf der Bank, dann fragst du nach bei der Bank“, sagte Hugh Young, Chef der Equity-Abteilung von Aberdeen Asset Management, der International Herald Tribune. Und andere vermuten, dass Satyam für PWC das werden könnte, was Enron für die ehemals mächtigen Prüfer von Arthur Andersen war – nämlich das Ende. „Pricewaterhouse hat die Bilanzen abgezeichnet, also sind sie auch dafür verantwortlich“, sagte Ravi Nath, ein Anwalt mit der indischen Kanzlei Rajinder Narain, die mehrere Satyam-Investoren vertritt. Und was die amerikanische Börsenaufsicht dazu sagen wird, lässt sich auch schon ahnen: Immerhin ist Satyam (noch) an der NYSE gelistet – unter anderem dank PWC-Testat.
Und was sagt Raju zu all dem? Nichts, jedenfalls nicht mehr, seitdem er in seinem Abdankungsbrief sich „herzlich“ für seinen Fehltritt und die ganze Duplizität entschuldigt hat. Angeblich ist er in Hyderabad auf Tauschstation gegangen, was in der ausufernden Millionenstadt im Herzen des Dekkan-Hochlands wunderbar möglich ist. Dort lebte er bislang in einer Luxusvilla. Ohne Geld wird es in Zukunft vielleicht bald eine bescheidenere Behausung sein. Es gibt dort davon genug.
Dem Vernehmen nach hat Ramalinga Raju (und sein Bruder) die letzten Nächte mit 28 weiteren Häftlingen (Dieben, Mitgiftvergehen und anderen Kriminellen) in einer Zelle auf dem Boden liegend verbracht. Kaution wurde abgelehnt. Auch das ist Indien. Wenn er wirklich alles verloren und sich nicht bereichert hat, dann hat er eigentlich nur ein paar Peanuts (Spielgeld von tatsächlichen oder Möchtegern- Kapitalisten) verbrannt. Eigentlich kennen wir das ja sonst von unserem Staat, der das dann mit einem Nachtragshaushalt regelt. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man vom (Fast-) Heiligen zum unliebsamen Kriminellen gebrandmarkt wird. Ich respektiere Ramalinga Raju weiterhin für sein soziales Engagement und das was er seinem indischen Volk zurückgegeben hat. Allein der von ihm ins Leben gerufen Notrufdienst 108 hat bisher tausende von Leben gerettet.
…und nun sitzt er im Knast, liest spirituelle Bücher und erlebt, wie Stück um Stück die Wahrheit rauskommt: Er ist halt doch offenbar ein ganz normaler Betrüger (in der Größenordnung 1 Milliarde Dollar). Schon erstaunlich, wie man sich tarnen kann.
Übrigens: In Indien ist es Tradition, große Gauner zu besingen. Rhan Yar Khan hat deshalb schon mal den „Raju Jail Song“ geschrieben.